17.05.2012

Verhältnismäßigkeit

Auch wenn der Gesetzgeber sehr weitgehende Vorschriften zur Inhaftierung in das Aufenthaltsgesetz geschrieben hat, kann er damit nicht die Grundrechte unserer Verfassung aufheben. Freiheit ist ein Menschenrecht und der entsprechende Artikel 2 des Grundgesetzes kann selbst vom Bundestag nicht wesentlich geändert werden.

Daraus ergibt sich, dass der Staat bei jedem Eingriff in das Grundrecht der Freiheit prüfen muss, ob die Schwere des Eingriffs noch im Verhältnis steht zum Verhalten des Betroffenen oder der daraus entstehenden Gefahr.

Ein Beispiel aus einem ganz anderen Gebiet: Wenn ein Auto zugeparkt worden ist und nicht mehr aus der Parklücke herausfahren kann, wird der Fahrer / die Fahrerin die Polizei benachrichtigen. Die Polizei kann jetzt jedoch nicht einfach das andere Auto wegschleppen lassen, was die Ausfahrt versperrt. Sondern zunächst muss sie versuchen, mit einem weniger schweren Eingriff auszukommen. Also wird die Polizei versuchen, den Eigentümer oder die Eigentümerin des anderen Autos zu benachrichtigen und ihn bzw. sie auffordern, das die Ausfahrt blockierende Auto wegzufahren. Erst wenn die Eigentümer nicht zu erreichen sind, kann das Auto weggeschleppt werden und solange muss der Fahrer / die Fahrerin des zugeparkten Autos abwarten. Eine andere Situation liegt vor, wenn die Verkehrssicherheit durch das blockierende Auto gefährdet wäre: dann kann es durchaus verhältnismäßig sein, das Auto sofort abzuschleppen.

Unsere Schlussfolgerung ist: Eine Abschiebung rechtfertigt nicht einen so schweren Grundrechtseingriff wie es Freiheitsentziehung in einem Gefängnis darstellt. Deshalb fordern wir: „Abschiebehaft abschaffen!“ Der größere Teil unserer Gesellschaft und Politiker hält allerdings wohl das Recht zu bestimmen, wer in Deutschland leben darf und wer nicht, für wesentlich wichtiger als das Grundrecht auf Freiheit. Liegt das vielleicht daran, dass von dieser Frage "nur" Ausländer und Ausländerinnen betroffen sind?

Aber auch wenn die Rechtsprechung nicht so weit geht, Abschiebehaft grundsätzlich für unverhältnismäßig zu halten, ist es klar, dass bei jedem richterlichen Beschluss eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit von Abschiebehaft notwendig ist. Insbesondere natürlich, wenn es um die Verlängerung von Abschiebehaft geht oder es sich herausstellt, dass es mit der Beschaffung von Passersatzpapieren nicht vorwärts geht.

Seit November 2011 weist § 62 Abs. 1 Satz 1 im Aufenthaltsgesetz sogar noch einmal ausdrücklich darauf hin: "Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann."
Das bietet die Möglichkeit, der Ausländerbehörde Geld und/oder regelmäßiges Vorstellen bei der Behörde oder der Polizei als Sicherheit und Ersatz für Abschiebehaft anzubieten.

weiter zum Verfahren; zurück zur Übersicht