03.12.2014

Thesen zur Diskussion über Abschiebehaft

Im Sommer 2014 wurde die Abschiebehaftabteilung der JVA Büren geschlossen, weil das Trennungsgebot von Abschiebe- und Strafhaft nicht eingehalten worden war. Danach begann in NRW eine Diskussion der Verantwortlichen in der Politik, wie die Zukunft der Abschiebehaft in diesem Bundesland aussehen sollte. Dies war auch für uns der Anlass, unsere Gedanken dazu im Verein zu diskutieren und aufzuschreiben. Daraus sind die folgenden Thesen zur Abschiebehaft entstanden.

Sie sind auch als PDF-Datei zum Ausdrucken erhältlich.

1. Abschiebehaft abschaffen

Der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ fordert, Abschiebehaft abzuschaffen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von wichtigen Argumenten:

  1. Freiheit ist eines der grundlegenden Menschenrechte und wird sowohl im Grundgesetz, in der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besonders geschützt.
  2. Freiheitsentziehung ist eine der schwerwiegendsten Maßnahmen, die unser Rechtssystem vorsieht – sie darf nicht für die bloße Erleichterung der Durchführung eines Verwaltungsaktes eingesetzt werden.
  3. Die Praxis hat gezeigt, dass bei den Anträgen und Gerichtsbeschlüssen zur Verhängung von Abschiebehaft unglaublich viele Fehler passieren.
    Der BGH muss regelmäßig und in großer Zahl Haftbeschlüsse wegen Rechtswidrigkeit aufheben.
  4. Wenn überhaupt, darf Abschiebehaft auch nach der Rückführungsrichtlinie nur verhängt werden, wenn es keine milderen Maßnahmen gibt.
    Aber wieso sollte es eigentlich keine milderen Maßnahmen geben?
  5. Im Sommer 2014 waren aus NRW unter 10 Personen, bundesweit deutlich unter 100 Personen in Abschiebehaft. Lohnt es sich angesichts solcher Zahlen überhaupt, ein aufwändiges Abschiebehaftsystem zu betreiben?
    Welches Problem wird mit diesem, für die Betroffenen gravierendem Grundrechtseingriff, eigentlich gelöst?

Statt Abzuschiebenden auch noch die Freiheit zu entziehen, muss die Entwicklung und Ausgestaltung einer „Willkommenskultur“ gefördert werden.

Das heißt, wir brauchen Unterstützung bei der Legalisierung des Aufenthalts.
Zum Beispiel für (werdende) Familienväter oder Mütter, Menschen, die sich eine berufliche Existenz aufbauen/aufgebaut haben, die eine Ausbildungsmöglichkeit haben, familiäre und soziale Bindungen haben, deren Lebensmittelpunkt in Deutschland liegt und so weiter.

2. Abschiebehaft wirksam beschränken

Durch die Entscheidungen des EuGH vom 17. 7. 2014 (C-473/13 und C-514/13) und des BGH (u.a. vom 25. 7. 2014, V ZB 137/14) zur notwendigen Trennung von Abschiebehaft und Strafhaft, muss die Organisation von Abschiebehaft grundsätzlich überdacht werden. Wenn die Politik meint, nicht auf Abschiebehaft verzichten zu können, dann fordern wir, folgende Vorgaben einzuhalten.

2.1 Beantragung von Abschiebehaft

     

a)  Wie bisher muss es ein mehrstufiges rechtliches Vefahren geben, das die Verhängung von Abschiebehaft durch unabhängige Richterinnen und Richter überprüft.

b)  Das muss auch dann gelten, falls – wie unter 3. gefordert – Abschiebehaft nicht mehr als Freiheitsentziehung, sondern nur in Form einer Freiheitsbeschränkung organisert wird. Das erfordert zwar eine Gesetzesänderung, aber nur so kann ein effektiver Grundrechtsschutz gewährleistet werden.

c)  Die Haftanträge bei den Ausländerämtern dürfen nur von Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern mit der Befähigung zum Richteramt gestellt werden.

d)  Um die hohe Fehlerquote zu reduzieren und sicherzustellen, dass Erlasse eingehalten und z.B. mildere Mittel wirklich geprüft werden, soll eine Kommission beim Innenministerium die Entscheidungen von Ausländerämtern überprüfen. Es gibt eine Pflicht zur unverzüglichen Meldung.

e)  Das Land muss Schulungen anbieten für Richterinnen und Richter, die Abschiebehaftverfahren durchführen und für die antragstellenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörden.

2.2 Keine neuen Haftgründe

Neue, zusätzliche Haftgründe aus der „Aufnahmerichtlinie“, wie „Feststellung der Identität“ oder „Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen“, dürfen auf keinen Fall Realität werden

2.3 Abschiebehaft wirklich nur als letztes Mittel

Es darf keine Abschiebehaft für besonders schutzbedürftige Menschen geben. Daher wird Abschiebehaft in diesen Fällen ausgeschlossen:

a)  Menschen über 65 Jahren,

b)  Jugendliche unter 18 Jahren oder nach ausländischem Recht Minderjährige,

c)  Kranke und Behinderte,

d)  Schwangere,

e)  Alleinerziehende,

f)  Mütter oder Väter (damit Familien nicht auseinandergerissen werden).

g)  Alle die im Asylverfahren sind, dürfen nicht inhaftiert werden. Auch die nicht, die nur ein Asylbegehren geäußert haben, aber den Antrag noch nicht stellen konnten.

h)  Flüchtlinge, die in anderen Staaten ein laufendes Asylverfahren haben.

Eine zusätzliche Bedingung für Abschiebehaft muss sein, dass vorher ein Abschiebeversuch stattgefunden hat, bei dem sich der/die Betroffene nachweislich der Abschiebung entzogen hat. Damit ist gemeint, dass er/sie nach Ankündigung nicht da gewesen ist; nicht aber, dass eine zufällige Abwesenheit von der eigenen Wohnung als Entziehung ausgelegt wird.

2.4 Dauer von Abschiebehaft maximal zwei Wochen

Die Dauer von Abschiebehaft darf maximal zwei Wochen betragen. Notwendige Papiere für Abschiebungen müssen von den Ausländerbehörden im Vorhinein beschafft werden.

2.5. Freiwillige Ausreisen fördern

Wenn ein Ausländer freiwillig ausreisen will, muss das auch aus der Abschiebehaft jederzeit möglich sein und von den Behörden aktiv unterstützt werden. Es kann nicht sein, dass Abschiebehaft eine freiwillige Ausreise behindert oder verzögert.

3. Abschiebehaft grundsätzlich anders gestalten

Wie in der Rückführungsrichtlinie vorgesehen, muss es bei Abschiebehaft im Vergleich zur Strafhaft deutlich andere Bedingungen geben. Den Betroffenen wird ja schließlich auch keine Straftat vorgeworfen. Im Rahmen eines für die Durchführung von Abschiebehaft jedenfalls notwendigen Abschiebehaftvollzugsgesetzes sind daher folgende Punkte zu berücksichtigen.

Im Weiteren wird der Begriff „Abschiebehaft“ der Einfachheit halber noch verwendet, obwohl unsere Vorstellung in eine grundsätzlich andere Richtung geht.

3.1. Grundsatz zum Vollzug von „Abschiebehaft“

Die Organisation von „Abschiebehaft“ muss auf Freiheitsentzung verzichten und mit so wenig Freiheitsbeschränkung wie möglich gestaltet werden.

3.2. Merkmale der Unterbringung

a)  Mitbestimmung bei der Ernährung und die Möglichkeit selber zu kochen.

b)  Freiheit zur Kommunikation (Telefon, Internet).

c)  Keine Postkontrollen.

d)  Keine Einschränkungen in Bezug auf Privatbesuche.

e)  Finanzielle Leistungen wie für andere Flüchtlinge.

f)  Keine geschlossenen Bereiche in der „Abschiebehaft“-Einrichtung.

3.3. Anwesenheitskontrolle

Eine Ein- und Ausgangskontrolle für die „Abschiebehaft“-Einrichtung ist möglich.

Es gibt dazu auch Alternativen: Ähnlich wie bei der 3-Tage-Regelung für den Bezug von Sozialleistungen, kann die Kontrolle bei der Auszahlung von Taschengeld erfolgen.

Eine zu häufige oder elektronische Kontrolle lehnen wir ab: Sowohl die Verwendung von Fußfesseln als auch der Zwang, täglich einen Sprachcomputer anzurufen, entsprechen nicht unserem Bild vom respektvollen Umgang mit Menschen und vom Schutz der Menschenwürde. Sie beinhalten außerdem die Gefahr der Ausweitung solcher Zwangsmaßnahmen auf ganze Bevölkerungsgruppen.

3.4. Organisation

Die Trägerschaft einer „Abschiebehaft“-Einrichtung sollte durch eine NON-PROFIT- Organisation erfolgen. Eine Kontrolle der Einrichtung ist wichti

a)  Die Kontrolle der Einrichtung muss von Innen und von Außen erfolgen.

b)  Ein Beschwerde- und Qualitätsmanagement ist erforderlich.

c)  Es muss einen unabhängigen Beirat geben.

d)  Halbjährliche Durchführung eines „Runden Tisches“.

3.5. Betreuung und Unterstützung

Flüchtlinge vor einer Abschiebung brauchen Betreuung und Unterstützung, statt Bewachung und Maßregelung. Daher braucht eine „Abschiebehaft“-Einrichtung:

a)  Fachpersonal, das nicht bewacht sondern betreut.

b)  Frühestmögliche Information über die geplante Abschiebung: Flugdatum, -zeit, -ziel und Flugnummern.

c)  Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialarbeiter.

d)  Kostenlose Rechtsberatung und Verfahrensbegleitung (wie Pflichtverteidigung).

e)  Medizinische Versorgung mit freier Arztwahl.

f)  Seelsorger für alle Konfessionen.

g)  Möglichkeit von Nichtregierungsorganisationen, die Betroffenen zu besuchen.

3.6. Ort

Ob eine „Abschiebehaft“-Einrichtung in NRW zentral oder mehrere dezentral geschaffen werden, ist differenziert zu betrachten. Wenn es weiterhin so wenige Fälle gibt, sind dezentrale Einrichtungen problematisch und es kommt zu Isolation.

Andererseits müssen lange Wege für die Betroffenen und ihre Angehörigen auch unbedingt vermieden werden.

Die Einrichtung muss mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein.

3.7. Schlussfolgerung

Aus diesen Kriterien für die Neugestaltung von Abschiebehaft folgt, dass die Betroffenen eigentlich auch ohne Weiteres in der Asylunterkunft bleiben können.

Daher können wir nur erneut darauf hinweisen, dass eine Abschaffung von Abschiebehaft ernsthaft als Alternative geprüft werden muss.