01.07.1994

Die Abfertigung (Auszug)

Auszug aus die Zeit vom 1.7.1994  -  Ein abschrecken der Erfolg

                                                   Ein Jahr neues Asylrecht    

                                                   von Jochen Buchsteiner und Martin Klingst   

Die Abschiebung

Das neue Recht sollte die schnelle Abschiebung erleichtern. Das ist gelungen -  unmenschliche Behandlung ist häufig die Folge.

Das neue Recht sollte die Verfahren beschleunigen.                                                                                                                                                                            Das ist gelungen auf der Strecke blieb die Sorgfalt.

Zwei Drittel aller Flüchtlinge dürfen - zumindest vorübergehend - in Deutschland bleiben, das restliche Drittel aber muss zurück, notfalls mit Gewalt. Seit das neue Recht gilt, werden immer mehr Asylbewerber in Abschiebehaft genommen.

Allein in Nordrhein-Westfalen sitzen knapp 1000 ein - fast doppelt so viele wie vor einem Jahr. In vielen Bundesländern wurden Zellen freigemacht und Container auf das Gefängnisgelände gestellt, stillgelegte Knäste wurden notdürftig renoviert, leerstehende Kasernen der Bundeswehr und der Alliierten umgebaut und mit hohen Mauern und Zäunen umschlossen.

„Eine traurige, aber unvermeidliche Folge“, sagt Johannes Winkel, Sprecher des Düsseldorfer Innenministeriums. „Wenn mehr Menschen zurückkehren müssen, versuchen natürlich mehr unterzutauchen, also kommen auch mehr ins Gefängnis.“ Unvermeidlich?

Die Abschiebehaft sei nicht dazu bestimmt, die Tätigkeit der Ausländerbehörde zu erleichtern, urteilte das Frankfurter Oberlandesgericht im Januar und ließ einen 16-jährigen Algerier frei, der fünf Monate hinter Gittern saß, weil die Ausländerbehörde auf einen neuen Pass wartete.

Die Ämter beantragen beim Amtsgericht zunehmend Abschiebehaft, weil sie den ausreisepflichtigen Asylbewerber nicht in der Unterkunft angetroffen haben oder er keinen Pass besitzt. Die Standardbegründung nach dem neuen Gesetz: Es bestehe der begründete Verdacht, der Flüchtling wolle sich der Abschiebung entziehen. „Und leider geben die Richter dem Haft-Antrag allzu oft leichtfertig statt“, zürnt der Frankfurter Anwalt Reinhard Marx.

Auch Sachsen-Anhalts christdemokratische Justiz- und Innenminister Walter Remmers gesteht ein, dass die Abschiebehaft mitunter zu lange dauere. Im nordrhein-westfälischen Büren, wo eine der größten deutschen Abschiebehaftanstalten steht, sitzen einige Algerier schon seit einem dreiviertel Jahr ein.

Nicht bloß traurig, sondern „zynisch und unmenschlich“, nennt Helmut Leuninger von Pro Asyl diese Politik. „Kein Wunder“, sagt er, „dass sich bereits zehn Ausländer im Knast umgebracht haben.“

Einer von ihnen war der 43-jährige Chinese Zhou Zhegen. Er erhängte sich in der Justizvollzugsanstalt Volkstedt, nahe Halle, an einem Wasserrohr - am Vorabend des fünften Jahrestages vom Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

Nach dem Selbstmord liefen die Abschiebehäftlinge Amok. Sie warfen Fenster ein, hebelten Zellentüren aus und verbarrikadierten sich. Gegen fünf Uhr morgens gaben sie freiwillig auf. „Repressalien müssen sie nicht befürchten“, sagt Vollzugsleiter Thomas Wurzel, „das war für alle eine sehr schwierige Situation. Die Wut, den Hilfeschrei kann ich verstehen.“

Er erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ausländerbehörde in Oschersleben: „Die haben sich nicht um den Chinesen gekümmert, obwohl sie zuständig waren.“ Schon im April, einen Monat nach dem Zhou  Volkstedt gekommen war, schrieb Wurzel dem Amt: Er fürchte, Zhou wolle sich im Falle seiner Abschiebung umbringt. Das schließe er aus dessen Handbewegungen. Die Ausländerbehörde reagierte nicht, und Wurzel bestellte auf eigene Faust eine Dolmetscherin: „Damit der endlich mal mit jemand reden konnte, und wir erfuhren, was mit ihm los war.“

Die Dolmetscherin bestätigte Wurzels Verdacht. Er schrieb erneut nach Oschersleben. Wieder keine Antwort. „Die kamen nicht einmal, nachdem Zhou sich aufgeknüpft hatte.“

Stattdessen ging einen Tag nach seinem Tod in der Justizvollzugsanstalt Volkstedt ein Brief vom Amtsgericht ein: Die Abschiebehaft gegen Zhou werde auf Antrag der Ausländerbehörde für drei Monate verlängert. Dafür hatte man in Oschersleben Zeit gefunden.

„Die Einsamkeit, ihre Trennung von Frau und Kindern, die ungewisse Zukunft und das fehlende Verständnis dafür, warum sie ins Gefängnis müssen, belasten die Gefangenen am meisten“, erzählt Nothelm Steuernagel, Leiter der Vollzugsabteilung, Westfalen-Lippe und zuständig für die Abschiebehaftanstalt Büren. Es fehlt an Personal, in Büren stehen für 60 Gefangene nur drei Wächter zur Verfügung.

Nothelm Steuernagel hat sich deshalb an die Kirchen und freien Wohlfahrtsverbände gewandt; sie möchten doch einspringen, mit den Ausländern regelmäßig Gespräche führen, sie sinnvoll beschäftigen.

 

Die Abschiebung

Das neue Recht sollte die schnelle Abschiebung erleichtern.                                                                                                                                                                        Das ist gelungen  -  unmenschliche Behandlung ist häufig die Folge  

Auch in Volkstedt hilft sich Vollzugsleichter Wurzel mit ehrenamtlichen über die Runden. Ein Pfarrer kommt einmal die Woche, und hin und wieder schauen Mitglieder der Straffälligen- und Gefährdetenhilfe bei den ausländischen Gefangenen herein. „Das reicht bei weitem nicht, nur was soll ich tun?“ fragt Thomas Wurzel. „Wir haben nicht mal Geld für eine englische Zeitung.“

Vor zwei Jahren kam Nasreen Ahmed aus Pakistan in die Bundesrepublik. Ende Februar wurde sein Asylantrag abgelehnt. Weil er nicht innerhalb einer Woche ausgereist war und keinen Pass mehr besaß, nahm man ihn am 2. März in Abschiebehaft. Seither wartet er in Volkstedt auf seine Reisedokumente.

„Ich habe nichts verbrochen, immer mit den Behörden zusammengearbeitet, und jetzt steckt man mich ins Gefängnis. Das kann ich nicht verstehen“, sagt er. „Hätte ich gewusst, wie man mich hier behandelt, ich wäre nie nach Deutschland gekommen.“

Damit hat sich, jedenfalls aus Sicht der Asyl-Scharfmacher, die monatelange Abschiebehaft gelohnt. Nasreen Ahmed wird, zurück in Pakistan, gewiss verbreiten, wie es ihm in der Bundesrepublik ergangen ist.