05.04.1996

Offene Türen hinter hohen Mauern

Abschiebehaftanstalt Büren sieht sich als „soziale Einrichtung“

Von Burkhard Battran (Text und Fotos)

Büren. Über die sechs Meter hohen Mauern kommt so leicht keiner. Innerhalb der drei „Hafthäuser“ für jeweils 100 Gefangene stehen alle Türen offen. „Umschluss“ heißt das Zauberwort im modernen Strafvollzug. Den Gefangenen steht es frei, andere Gefangene auf ihren „Stuben“ zu besuchen, sich auf eine Partie Billard zu verabreden, ein Tischtennis-Turnier auszutragen oder im Fitnessraum Gewichte zu stemmen. Auch Sonderwünsche, wie Ölfarben und eine Staffelei sind kein Problem - wozu gibt es denn einen „Freizeitkoordinator“?

Ein Ferienclub ist der Knast aber deswegen noch lange nicht. Seit knapp zwei Jahren beschäftigt jede Justizvollzugsanstalt einen hauptamtlichen „Freizeitkoordinator“. Halligalli hinter Gitterstäben ist das zwar nicht, aber doch deutlich mehr als Dauerlauf und Tischfußball.

„Am Anfang stand der Gefangenenfußball“, erinnert sich Horst Köhler. Der 33-jährige Vollzugsbeamte ist als „Freizeitkoordinator“ dafür zuständig, die rund 200 Häftlinge in Deutschlands größtem Abschiebeknast, der JVA Büren, bei Laune zu halten. Kein leichter Job. „Mit der Zeit wurden die Aufgaben immer vielschichtiger und umfangreicher, sodass mit der Bezeichnung „Sportaufseher“ die Tätigkeitsfelder längst nicht mehr unter einem Hut zu bringen waren.“

„Es hat sich eine Menge getan und das ist gut so“, erläutert Anstaltsleiter Peter Möller (56), dem sehr daran gelegen ist, seine Haftanstalt als „soziale Einrichtung“ zu führen. „Für uns in Büren ist das eine besondere Herausforderung, denn wir haben es hier kaum mit „Kriminellen“ im üblichen Sinn zu tun. Ich persönlich kann es niemandem verübeln, wenn er in einem anderen Land nach einer besseren Perspektive sucht.“

Die beschnittene Freiheit nach außen durch eine möglichst große Freiheit nach innen ausgleichen - auf diese kurze Formel lässt sich die Philosophie der JVA Büren zusammenfassen. Ein Anspruch der in der Realität oft nur schwer in die Tat umzusetzen ist.

Das beginnt schon beim Essen „Manchmal haben wir hier 40 verschiedene Nationalitäten. Das sind nicht selten 20 Kulturkreise mit speziellen Nahrungsgewohnheiten.“ Um hier den Bedürfnissen der Gefangenen gerecht zu werden setzt sich Horst Köhler besonders für die Einrichtung von „Gefangenenküchen“ ein, wo die Häftlinge ihren gewohnten Speiseplan selbst zubereiten können.

Der „Kreativ-Workshop“ nimmt eine zentrale Stellung in Köhlers Verantwortungsbereich ein. Nicht alle Gefangenen finden im Schrauben sortieren und Paletten packen ihre Erfüllung. Sie haben die Möglichkeit, kunsthandwerklich tätig zu werden. Eine Arbeit die wie jede andere, mit fünf bis acht Mark Stundenlohn entgolten wird.

In den letzten Wochen lief die „Osterproduktion“ auf Hochtouren. „Es gab schon Anfragen vom Großhandel, aber wir wollen nicht zu einer Massenmanufaktur werden.“ Eine Arbeitspflicht besteht nicht. Trotzdem nutzen die meisten der oft praktisch mittellosen Insassen die Möglichkeit ein wenig „Kohle zu machen“.

Vor zehn Tagen wurde der Kasache Eduard Tobler (40) nach Büren überstellt. Ein Maler und Bildhauer von internationalem Format. „Es wäre eine Schande, diesen Mann Ostereier bemalen zu lassen.“ Für Tobler beschafft Köhler gerade taugliche Ölfarbe und Leinwand. „Dann machen wir hier eine Ausstellung“, - und fügt fast bedauernd hinzu: „falls er lange genug bleibt“, denn die Fluktuationsrate ist hoch in Büren. Gerade Häftlinge aus ostdeutschen Ländern verweilen oft nur wenige Wochen.

In jedem Fall wird es zum Sommer ein größeres Fußballturnier geben. „Im Fußball sind wir ganz stark.“ Im letzten Jahr besiegte die Mannschaft „Haus 3“ den TV-Büren mit 10:3. Das lässt einiges hoffen.

Offene Türen: „Freizeitkoordinator“ Horst Köhler (2. von rechts) bemüht sich um ein ständiges Gespräch mit den Gefangenen.
Osterproduktion: Es muss nicht immer Schrauben sortieren sein. Auch kunsthandwerkliches Arbeiten ist möglich.
„Ich male jeden Tag“: Der Kasache Eduard Tobler ist ein international bekannter Künstler. Er sitzt wegen „Passvergehens“ in Abschiebehaft.