08.09.1999

Frage nach Umgang mit Abschiebehäftlingen

Betrifft: Berichte „19-jähriger Afrikaner in Arrestzelle erstickt“ in der NW Ausgabe vom 31. August und „Dieser Mensch hätte nicht sterben müssen“ in der NW-Ausgabe vom 1. September.

Auf den Tod des jungen Marokkaners in der Abschiebehaft kann man nur mit Bestürzung reagieren, dass wieder ein Abschiebehäftling in seiner Verzweiflung und unter der massiven psychischen Belastung durch die drohende Abschiebung und die Abschiebehaft zu Tode gekommen ist.

Es stellt sich nicht nur die Frage, ob er durch das Anzünden seiner Kleidung und andere Gegenstände in der Arrestzelle in einer Kurzschlussreaktion sein Tod herbeiführen wollte oder ob er „nur“ auf seine Situation aufmerksam machen und gegen das Unrecht der Inhaftierung von fast sechs Monaten und die Strafverlegung in eine Arrestzelle protestieren wollte, sondern grundsätzlich die Frage nach Rechtsmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit von Abschiebehaft.

Psychische Krise endet tödlich

Etwa 90 Prozent aller Abschiebehäftlingen haben keinerlei Straftaten begangen müssen in der Regel mindestens sechs Monate Abschiebehaft hinnehmen, wenn sie in dieser Zeit nicht abgeschoben werden. Dies gilt auch für diejenigen, die bereit sind, sich abschieben zu lassen, aber von ihren Botschaften keine Einreisegenehmigung in ihr Heimatland erhalten. Der Tod des jungen Marokkaners und die Hintergründe seines Todes werfen aber insbesondere auf folgende Fragen nach dem Umgang mit den Abschiebehäftling und deren Behandlung in der JVA Büren auf:

1. Der junge Marokkaner geriet offensichtlich durch die gegen ihn verhängte Arreststrafe von sieben Tagen und die damit verbundene Isolationshaft in eine tödlich endende psychische Krise. Es muss daher die Frage gestellt werden, ob diese Bestrafung überhaupt gerechtfertigt, notwendig oder gerecht war, da er beim Fußball mit einem anderen Mithäftling in eine tätliche Auseinandersetzung geraten war, an der sich dann noch weitere Inhaftierte beteiligt haben.

2. Sind diese massiven Sanktionsmaßnahmen, insbesondere bei Abschiebehäftlingen, die in ständiger Angst vor der drohenden Abschiebung leben und ihre Inhaftierung als ein großes Unrecht und Inhumanität empfinden müssen und daher unter einer starken psychischen Belastung stehen, nicht als unverantwortliche Gefährdung anzusehen? Die in der JVA ehrenamtlich tätigen Betreuerinnen und Betreuer haben sich in der Vergangenheit in Gesprächen mit der Anstaltsleitung wiederholt mit Nachdruck gegen diese Sanktionsmaßnahmen ausgesprochen.

3.Warum wurden und werden vor einer Verhängung solcher massiven Sanktion nicht die Angebote der ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft“ genutzt in solchen Konflikt- und Krisensituation Gespräche mit dem Betroffenen zu führen und die Betreuung zu übernehmen, obwohl in den vergangenen fünf Jahren es in den aktiven Mitgliedern  des Vereins häufig möglich war, positiv auf diese einzuwirken, sodass bedrohliche Hungerstreiks oder Selbsttötungsabsichten aufgegeben wurden oder Aggression abgebaut werden konnten?

4.Warum sind in der Abschiebehaftanstalt immer noch keine Stellen für einen Psychologen und für Sozialarbeiter eingerichtet worden, obwohl dies nach dem Justizvollzugsgesetz vorgeschrieben ist, dass ansonsten für die Abschiebehaftanstalt Büren Geltung hat?

Veränderung dringend notwendig

5. Warum wurden bisher den berechtigten Beschwerden der Inhaftierten über die medizinische Versorgung, die mangelhafte Information über Diagnose und Medikamentierung, die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung durch den Haftrichter vor einer Verlängerung der Abschiebehaft und über die häufig schleppende Bearbeitung von sogenannten „Bittstellern“ oder dem Wunsch nach gewählten Sprechern der Häftlinge nicht Rechnung getragen, und entsprechende Abhilfe geschaffen?

Der erschütternde Tod des jungen Marokkaners sollte Anlass sein, die angesprochenen Fragen ernsthaft zu erörtern und die dringend notwendigen Veränderungen herbeizuführen und zu veranlassen              

Michael Landschütz, Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.,Peter-Hille-Weg 38,                     33098 Paderborn