02.09.1999

Asylpolitik fordert erneut Todesopfer

Der Abschiebehäftling Rachid Sbaai hat in der Justizvollzugsanstalt Büren Suizid begangen. Anstaltsleiter Peter Möller spricht von einer „Trotzreaktion“

Büren (taz ruhr) - Der Freitod des 19-jährigen Rachid Sbaai am Montag in der Justizvollzugsanstalt in Büren hat zu heftiger Kritik an der Praxis der Abschiebehaft geführt. Der Sprecher der Grünen Landtagsfraktion, Roland Appels sagte, er sei entsetzt, „dass die inhumane Ausländer- und Asylpolitik in Deutschland erneut ein Opfer gefordert hat.“ Abschiebehaft werde zu schnell verhängt und dauere zu lange. Appels Forderung: NRW Justizminister Diekmann solle klären, „warum der Brand in der Zelle erst bemerkt und gelöscht wurde, als lebensrettende Maßnahmen nicht mehr möglich waren.“

Claus-Ulrich Prösl, Vorsitzender des Arbeitskreises Asyl NRW, geht davon aus, dass die Angst vor der Abschiebung und vor möglichen Verfolgungsmaßnahmen in der Heimat Sbaai in den Suizid getrieben habe. Prößl: „Die deutsche Abschiebepraxis ist menschenunwürdig und lebensgefährlich. Sie gehört auf den Prüfstand.“

Der 19-jährige Rachid Sbaai war am Montagmorgen in eine Arrestzelle, in der ausschließlich Abschiebehäftling einsitzen, gebracht worden und hatte dort eine Matratze und Kleidungsstücke angezündet. Als die Wärter gegen 10:30 Uhr die Zellentür öffneten, konnten sie den Flüchtling nur noch tot aus der raucherfüllten Zelle ziehen.

Anstaltsleiter Peter Möller geht von einer „Trotzreaktion“ Sbaais aus. Der Flüchtling habe einen Mitinhaftierten bei einer Schlägerei verletzt und „zum Schutz der Mitgefangenen“ (Möller) eine fünftägige Arreststrafe antreten müssen. „Dort hat er dann gezündelt. Er wollte sich aber nicht umbringen.“ Der Häftling sei „sehr impulsiv und spontan“ gewesen und habe oft Ärger mit einem Teil der Mithäftlinge angefangen. Der 59-jährige Möller war vor einigen Jahren in die Kritik geraten, weil er Flüchtlinge der Schaukelfesselung unterworfen hatte, die von Amnesty International und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen als Folter bewertet wird. Er hatte sich in einem Fernsehbericht dazu bekannt, diese Behandlung selbst angeordnet zu haben.

Nun untersucht die Staatsanwaltschaft Paderborn den Todesfall. Es sei noch nicht ganz klar, wie Sbaai das Feuerzeug in die Arrestzelle geschmuggelt habe. Schließlich habe sich der Flüchtling bevor er in die Arrestzellen gebracht wurde, vollständig entkleiden und neue Kleider anziehen müssen.

Rachid Sbaai sollte nach Algerien abgeschoben werden und das, obwohl er wahrscheinlich marokkanischer Staatsbürger war. Anstaltsleiter Möller bestätigt, dass seine Identität nicht geklärt war. „Er saß als Algerier bei uns“. Auch die Staatsanwaltschaft ist sich der Nationalität Sbaais „nicht ganz sicher“. Frank Gockel schon. Der Sprecher des Vereins „Hilfe für Menschen Abschiebehaft Büren“ hat Kontakt mit Sbaais in Marokko und Frankreich lebenden Verwandten aufgenommen. „Sbaai wäre dennoch nach Algerien abgeschoben worden, wenn die algerischen Behörden entsprechende Papiere ausgestellt hätten.“ Er resümiert: „Afrikanische Flüchtlinge werden nicht unbedingt in ihr Herkunftsland, sondern in den Großraum abgeschoben.“

Sbaai hatte seit dem 9. März in Abschiebehaft gesessen. Er starb an dem Tag, an dem sich der Todestag Kola Bankoles zum fünften Mal jährte. Der Nigerianer Bankole war 1994 in einer Lufthansa-Maschine an einem Knebel erstickt. Beim sechsten Versuch, ihn abzuschieben. Pro Asyl führt insgesamt 37 Fälle, von Flüchtling auf, den Zusammenhang mit der Abschiebung oder in Abschiebehaft zu Tode kam. Durch Suizid, Erstickung oder weil sie in dem Land, in das man sie abschob, getötet wurden. Allein in den letzten fünf Jahren. „Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.“    Marcus Meier

Auf dem Gang des Bürener Abschiebeknastes. Foto:Michael Kerstgens