01.08.1995

Folter im Abschiebeknast in Büren

Fürsorgliche Folter zum „Schutz der Gefangenen“

Wenn Peter Möller über seine Jungs spricht, dann eigentlich nur in den besten Tönen. Irgendwie kann er sie ja verstehen, sogar ihren - wie er es nennt - „natürlichen Freiheitsdrang“. Nur manchmal muss etwas strenger werden, aber dass nur im wohlverstandenen Interesse seiner Schützlinge, versteht sich.

Peter Möller ist Leiter des größten deutschen Abschiebeknastes in Büren bei Paderborn. Gegenwärtig sitzen hier 300 Menschen, deren Abschiebung erzwungen werden soll. Wenn einzelne ausrasten, wenn sie anfangen zu schreien oder zu schlagen oder versuchen, sich umzubringen, dann kommen Sie in die sogenannte Gummizelle und werden gefesselt.

Ein Kosovo-Albaner, dem dies insgesamt neunmal widerfahren ist, hat die in Büren praktizierte Fesselungstechnik in Zeichnungen dokumentiert: Dem auf dem Boden liegenden Flüchtling werden die Hände hinter dem Rücken gebunden, dann die Beine nach hinten gebeugt, die Füße aneinandergefesselt und mit den Händen verschnürt.

Man kennt diese Form der Fesselung aus Amnesty-International-Bericht, genannt wird sie „Schaukel“. Sie ist äußerst schmerzhaft, besonders im Bereich der Schulter- und Kniegelenke; wegen des Durchblutungsstaus aber auch an Armen und Beinen. Für das renommierte Berliner „Zentrum für die Behandlung von Folteropfern“ handelt es sich bei dieser Fesselungstechnik um Folter. Der Betroffene werde dadurch in eine Zwangshaltung versetzt, und zwar vorsätzlich und auf demütigende Weise.

Folter in deutschen Abschiebegefängnissen? Das klingt recht heftig und irgendwie überzogen. Ein Fernsehteam des ARD-Europamagazins hat Peter Möller aber freimütig Auskunft gegeben: „Diese Form der Fesselung“, so Möller, „die ich seinerzeit angeordnet habe, wird von Außenstehenden und den Gefangenen als Folter empfunden, obwohl sie aus unserer Sicht mehr dem Schutz des Gefangenen dienen soll.“

Das ist eine ungewöhnlich weitgehende Form der Selbstbezichtigung. Normalerweise gibt es nur unzählige Vorwürfe und keine Beweise. Seit einigen Monaten werde diese Form der Fesselung nicht mehr praktiziert, sagt Müller. Vielleicht deshalb nicht mehr, weil eine Ärztin gegen ihn Strafanzeige erstattet, hat wegen Körperverletzung im Amt?

Warum es für einen außer sich geraten Flüchtling gut sein soll, wenn er gefesselt wird, zumal es in der Gummizelle nichts gibt, womit sie sich oder anderen etwas antun können: Kein Fenster, keinen Tisch, keinen Stuhl, kein Bett, nur zwei Videokameras hinter Panzerglas an den Stirnseiten der Zelle und eine Gegensprechanlage, wozu also die Fesselung, wenn nicht zur sorgsam inszenierten Demütigung eines wehrlosen Menschen?

Peter Möller äußert sich gern über seine Arbeit. Eine Schulklasse aus Büren, die sich bei ihm über Sinn und Zweck der Abschiebungshaft erkundigte, erklärte er geduldig auf: „Ein geliebter Kanarienvogel wird ja auch in einen Käfig gesperrt.“ Peter Möller scheint sich für einen Tierfreund zu halten, vielleicht ist er sogar einer. Interessant ist jedenfalls, dass er an Tierliebe denkt, wenn es um Ausländer geht. Den Schülern von Büren konnte er deshalb auch gleich erklären, warum es innerhalb der Knastanlage so viele Zäune gibt: „damit die Leute nicht alle durcheinanderlaufen“.

Aufgrund der Anzeige ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Paderborn gegen ihn - mit welchem Ergebnis, das wird sich zeigen. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass Möller schlimmer ist als seine Amtskollegen in anderen deutschen Abschiebeknästen. Er redet halt mehr als andere und ermöglicht uns deshalb ungewohnte Einblicke in die Lebensverhältnisse hinter den Zäunen. Dafür sollten wir ihm eigentlich dankbar sein.                                                                             Jürgen Salm

Der Titel erschien zuerst in Freitag Nr. 8/95