12.04.1996

Schon im Ansatz menschenfeindlich

Forum der Leser

Betrifft: „Offene Türen hinter hohen Mauern“ in der NW vom 5. April.

Endlich haben die geneigten Leserinnen und Leser der Neuen Westfälischen einen realistischen Eindruck in die Lebensbedingungen im Abschiebeknast Büren bekommen. Jetzt wissen wir endlich, dass sogar hinter Gittern Ostereier bemalt werden. Wie niedlich. Und wie verständnisvoll klingt es doch, wenn ein international renommierter Maler aus Kasachstan von dieser Schmach verschont bleibt und stattdessen mit richtiger Ölfarbe malen darf. Hoffentlich bleibt er lange genug im Knast, dann kommt vielleicht noch eine Ausstellung zusammen. Es ist nur allzu verständlich, dass die Anstaltsleitung um Imagepflege bemüht ist, dafür gibt es auch allen Grund. Selbst wenn man dem Autor Burkhard Battran nur die besten Absichten unterstellt, bleibt jedoch die unkritische, Urlaubsstimmung erzeugende Annäherung an das Knastleben eine journalistische Instinktlosigkeit erster Güte.

Es wäre doch ein leichteres gewesen, zu fragen, warum denn diese Ostereier eigentlich hinter Gittern bemalt werden müssen. Die übliche Form dieser Brauchtumspflege dürfte wohl in Freiheit stattfinden. Da erfahren wir, dass der kasachische Künstler wegen Passvergehen „sitzt“. Kein Wort über den eigentlichen Skandal, der sich damit verbirgt. Was ist aus diesem Land schon wieder geworden, wenn Menschen mit Freiheitsentzug bestraft werden, weil sie keinen deutschen Pass besitzen.

Darüber, Herr Battran, muss auch geschrieben werden. Andernfalls sind sie - zumindest moralisch - mitschuldig am systematischen Abbau von Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Verfassung, auch wenn dieser Abbau noch so schöngeredet wird.

Der Abschiebeknast ist ein Kernstück der repressiven Ausländer- und Flüchtlingspolitik vor allem der Bundesregierung. Es ist schon im Ansatz menschenfeindlich und -verachte und wird deshalb nie eine „soziale Einrichtung“.                                                                                                                                          Reinhard Brockmeier                                                                                                         Flüchtlingsrat für den Kreis Paderborn                                                                                                                                                    Ledeburstraße 41, 33102 Paderborn

Ein Kurort im tiefen Bürener Wald?

Betrifft „Offene Türen hinter hohen Mauern“ in der NW vom 5. April.

„Die Polin macht mir die Tür auf und ich gehen hinein … ins Paradies … Notenständer, Noten, eine Frau auf dem Podium. Vor mir sitzen junge, hübsche Mädchen, gut gekleidet in Faltenrock und Pulli, mit Musikinstrumenten in ihren Händen …“ Dieses Bild eines Orchesters fiel mir ein, als ich den Artikel über die soziale Einrichtung JVA Büren gelesen hatte. Die Beschreibung stammt aus dem Buch von Fania Fenelon: Das Mädchenorchester von Auschwitz!

Mir hat der Artikel, den ich während des Frühstücks las, den Appetit gründlich verdorben. Ist das der Beitrag der Büren Haftanstalt zur Osterausgabe der Neuen Westfälischen. Und der Beitrag der Bürener Lokalredaktion zur NW zur Verniedlichung eines Gefängnisses? Friede, Freiheit, Eierkuchen im Knast?

Eine soziale Einrichtung ist der Knast in Büren also. Eine Manufaktur, die in Kreativ-Workshops das Bemalen von Osterartikeln anbietet. Ein Kurort in tiefen Bürener Wald? Eine Einrichtung, die ausgebaut ist wie ein Hochsicherheitsgefängnis jetzt eine Erholungsanstalt? In der Ausländer gehalten werden, weil sie gegen irgendwelche deutschen Vorschriften verstoßen haben, gegen die Deutschen nicht verstoßen können. Dessen Außenmauern nicht nur ausbruch- sondern auch abbruchsicher sind. Fünf Millionen Mark würde der Abbruch der Mauer kosten.

Einen Freizeitkoordinator gibt es dort, Freizeit im Knast? Wie soll das gehen? Vielleicht wird ja aus der Justiz-Vollzugs-Anstalt jetzt eine Jedermann-Vergnügungspark-Anstalt. Vielleicht gibt es bald sogar Wochenendaufenthalte für interessierte Deutsche, quasi im Austausch. An diesem Wochenende besuchen wir euch, am nächsten Wochenende ihr uns. Kluburlaub in Büren. Betten sind ja noch frei.

Möglicherweise macht die Arbeit in einem Gefängnis Menschen mit der Zeit naiv oder vielleicht sogar mehr. Wie ist es zu erklären, dass der hauptamtliche „Freizeitkoordinator“ jetzt von einer Bilderausstellung im Knast träumt? Oder wenn er bedauert, dass ein Gefangener nicht länger bleibt? Normale Überlegungen sind das für mich nicht mehr. Vielleicht bietet er ja sogar demnächst einen Tag der offenen Tür an. Dann würde er sehen, wie sozial die Bürener Einrichtung wirklich von seinem „Patienten“ empfunden wird.

„Kurdirektor“ Möller könnte dann sicher mit seinen Freizeitkoordinator die sozialen Philosophien zusammen mit dem Kreativ-Workshops und der Manufaktur einpacken. Denn es gebe keine „Patienten“ mehr. Die wären nämlich weg. Und würden wie hoffentlich der renommierte und international bekannte kasachische Maler in ganz Europa verkünden, wie man heutzutage in Deutschland mit Ausländern umgeht und wie „soziale Einrichtung“ in Deutschland aussehen: Wie moderne Konzentrationslager.

Noch eine Bemerkung zum Schluss: Meines Erachtens hat sich der Bürener NW-Redakteur von der JVA-Leitung zu einem Werkzeug machen lassen. Damit hat die NW auch ein Stück Glaubwürdigkeit verloren. Schade.                                                                                                             Reinhard Menne, Am Kleeberg 14a, 33178 Borchen