09.01.2011

„Da war ich schockiert“

Frank Gockel wird nicht müde, Menschen in Abschiebehaft das Recht zu bringen

Von Christian Schlichter

Die Lesung aus dem Jesajabuch beschreibt einen Gerechtigkeitsfanatiker. Unermüdlich setzt sich Gottesknecht ein für das Recht der Menschen und den Willen Gottes. Frank Gockel ist solch ein Mensch, dem Unrecht keine Ruhe lässt, weil er getrieben ist auch von christlicher Nächstenliebe.

Manchmal muss er Öl in das Getriebe der Gerechtigkeit gießen, manchmal aber auch Sand in die Räder der Behörden streuen. Je nachdem, was für seine Schützlinge besser ist. Seit Jahren engagiert sich Frank Gockel für Flüchtlinge, besucht sie in der Abschiebehaftanstalt in Büren bei Paderborn. Seine Hauptaufgabe sieht der Träger des Aachener Friedenspreises 2006 darin, den Männern das Recht zu bringen, dass ihnen oft verwehrt wird. Ganz im Sinne des Jesajatextes der ersten Lesung. Wenn es auch nicht dunkel ist in der Justizvollzugsanstalt Büren, ungemütlich ist es dort allemal für jene, von denen viele völlig zu Unrecht hinter den Gittern sitzen.

Radikale Sozialarbeit sei das, was er tue, hat einmal ein Freund zu Frank Gockel gesagt. Und genauso sieht der 39-jährige seine Arbeit. Zu der kam er, als er Mitte der 1990er Jahre seiner Mutter half, das aktuelle Programm ihrer Frauengruppe zu füllen. Die plante einen Besuch in der damals noch neuen Abschiebehaftanstalt Büren. „Ich war dann so schockiert, dass ich gedacht habe, da muss man doch etwas tun“, sagt Gockel. Er trat in den noch jungen Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft“ ein. Seitdem hat sich sein Leben radikal verändert.

Sein Studium der Physik und Informatik brach er ab, die politische Arbeit in der Studentenvertretung ließ er auslaufen. Fortan konzentrierte er sich darauf, für die Flüchtlinge zu kämpfen und ihnen zum Recht zu verhelfen. Seit 1996 ist für Gockel aus dem Engagement mittlerweile ein Beruf geworden. Er arbeitet als Flüchtlingsberater bei zwei Vereinen in Detmold und Bielefeld. Zudem ist er Vorsitzender der Bürener Gruppe. Dort sitzen rund 150 Männer aus ganz Nordrhein-Westfalen ein, für Frauen gibt es ein kleineres Abschiebegefängnis in Neuss.

Die Bürener engagieren sich mit 50 Mitgliedern, 13 von ihnen als Betreuer für die Flüchtlinge in Haft. Im Jahr 2006 wurde ihnen für dieses Engagement der Aachener Friedenspreis verliehen.

Abschiebehaft bedeutet, dass eine Ausländerbehörde einem Menschen bis zu seiner Abschiebung monatelang, derzeit im Durchschnitt rund 48 Tage, die Freiheit entziehen kann, erklärt Gockel: „Der einzige Grund dafür ist, dass der Behörde die Durchführung der Abschiebung damit erleichtert werden soll.“ Immer wieder hat er das erlebt.

Um zu helfen, müssen sich jetzt zur höchsten Instanz

Die Männer in diesem regulären Knast sitzen nicht aus Strafe dort, sondern als Absicherung für die Behörden. Dabei kommen viele Flüchtlinge nur deshalb hinter Gitter, weil Ämter überfordert sind oder sich einfach nicht auskennen im Recht. Bis September 2009 konnte der Bürener Verein mitunter schnell helfen. In rund einem Drittel aller Fälle waren die Menschen durch eine einfache Klage wieder draußen. Bei der Einweisung waren Fehler gemacht worden oder es gab keine Rechtsgrundlage für den Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt. Doch dann wurden Bestimmung verändert.

Reichte bislang noch eine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht, muss der Verein heute vor den Bundesgerichtshof ziehen. Das ist teuer und kompliziert. „Daran, dass die Flüchtlinge zu Unrecht einsitzen, ändert das nichts. Wir können es nur nicht mehr durch einen Richter feststellen lassen.“ Manchmal verzweifelt Gockel.

Bei den Männern im Knast weit draußen in einem Waldstück ohne Busanbindung acht Kilometer vom nächsten Ort entfernt, hört Frank Gockel immer wieder die gleichen Fragen: Wieso sitze ich in einem Staat, der für seine Rechte bekannt ist, plötzlich in einem Gefängnis? Für den Aufenthalt, den sie mit 50 Euro am Tag selbst bezahlen müssen, haben sie meist nicht einmal einen Bescheid oder ein Papier. Und selbst wenn, verstehen sie oft das Amtsdeutsch nicht.

Die meisten werden nachts aus dem Schlaf gerissen und in die Haft gebracht. Deshalb brauchen Sie zunächst einmal Kleidung. Frank Gockel und seine Mitstreiter stellen Kontakte, vermitteln zu Rechtsanwälten und Versuchen Eskalation zu verhindern.

Als Christ sieht er die Dinge eindeutiger

„Das juristische Recht ist viel zu kompliziert, da gibt es Vorschriften wie Sand am Meer“, empört sich Gockel. Moralisch sieht er das als Christ eindeutiger. Jeder Mensch müsse das Recht haben, dort zu leben, wo er will - mit allen Konsequenzen -, fordert er. Ein Ziel für das Gockel neben einigen - auch kirchlichen - Auszeichnung seiner Arbeit, auch von Neonazis bedroht wird. Für seinen Einsatz, Menschen im Kerker zu helfen, musste er bereits einiges auf sich nehmen.

Das macht Frank Gockel jedoch aus Überzeugung gerne. Sein Verein ist ihm eine Hilfe. In dem geht es um christliche Nächstenliebe und politische Bewusstseinsbildung. „Gründungsmutter war eine Caritasfrau, Gründungsvater ein politisch Autonomer“, erzählt er. Bis heute finden beide Vereinstraditionen in der Menschlichkeit zusammen. Manchmal mit lauter Stimme. Da widerspricht Gockel dem Jesajatext. Um den Flüchtling zu helfen, gelte es - anders als bei Gottes Knecht, der nicht schreit und lärmt -, dass Unrecht öffentlich zu machen.

Kämpfer für das Recht der Flüchtlinge: Frank Gockel Foto: Christian Schlichter
Eine frühere Aufnahme zweier Männer, die inhaftiert waren, um abgeschoben zu werden, im Gespräch mit dem damaligen Direktor. Foto: Achim Pohl