01.04.2022

Bad Berleburger in Abschiebehaft – Frau bricht zusammen

„Fall Muradyan“

Lars Peter Dickel

Bad Berleburg/Büren.  Die neuesten Entwicklungen im Fall Robert Muradyan. Dem Familienvater und seiner Frau geht es schlecht. Aber es gibt Unterstützung.

„Robert sitzt jetzt in Abschiebehaft in Büren“, berichtet der Bad Berleburger Hotelier Andreas Benkendorf über die neuesten Entwicklungen im Fall des armenischen Familienvaters Robert Muradyan, der in sein Heimatland abgeschoben werden soll. Der 43-jährige war am Donnerstag bei einem Termin im Ausländeramt des Kreises Siegen-Wittgenstein festgenommen worden. Seine Lebensgefährtin Marine Boghean und die jüngere gemeinsame Tochter Arbi (5) wurden dagegen nach Bad Berleburg zurückgeschickt.

Arbeitgeber setzt alle Hebel in Bewegung

Robert Muradyans Arbeitgeber Benkendorf setzt seit gestern alle Hebel in Bewegung, um ein Bleiberecht für Muradyan, dessen Lebensgefährtin und die gemeinsamen Töchter Arpi und Viktorya (14) zu erreichen. „Es ist unglaublich, was sich da tut. Wir bekommen Unterstützung aus dem ganzen Land“, berichtet Benkendorf. Helfer aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein haben jetzt auch eine Petition für ein Bleiberecht der Bad Berleburger Familie formuliert. Es handelt sich um das „Bündnis Recht zu bleiben“, das auch schon bei der aserbaidschanischen Familie Muradi aus                             Aue-Wingeshausen geholfen hat. Das sind erste Lichtblicke.

Aber Benkendorf berichtet auch von Schattenseiten: „Büren muss der schlimmste Abschiebeknast sein, den es gibt.“ In dem ehemaligen Gefängnis bei Paderborn wird Muradyan bis zu seinem Abschiebetermin am 7. April in Haft bleiben. Der Termin gilt laut Benkendorf auch für dessen Lebensgefährtin und die Kinder. Durch eine Übersetzerin hatte Benkendorf erfahren, wie es seinem Mitarbeiter geht: „Er hat durch die engen Fußfesseln Schmerzen gehabt und hat Angst in den engen Hafträumen.“

Partnerin und Töchter in Angst

Angst haben auch die Töchter und ihre Mutter. „Marine kann mit der Situation schlecht umgehen. Sie hat am Donnerstag einen Zusammenbruch gehabt. Um die Kinder hat sich dann eine Bad Berleburger Familie gekümmert. Sie sind spazieren gegangen und haben Waffeln gebacken. Aber abends, wenn es dunkel wird, hat Arpi immer Angst“, berichtet Benkendorf. „Robert tröstet sie dann immer.“

„Im Kreis­haus schnappt die Falle zu“

Das Bünd­nis „Recht zu Blei­ben“ ver­öf­fent­lich­te am Frei­tag eine Stel­lung­nah­me zum Fall Mu­ra­dyan und sieht er­heb­li­che Par­al­le­len zum Fall Mu­ra­di und spart nicht mit hef­ti­ger Kri­tik am Vor­ge­hen der Be­hör­den: In der Stel­lung­nah­me heißt es: „Wie­der kam es zu einer Fest­nah­me in der Kreis­aus­län­der­be­hör­de - dies­mal mit An­le­gen von Fuß­fes­seln, aber nach dem be­kann­ten Sche­ma: ein üb­li­cher Ter­min zur Ver­län­ge­rung der Dul­dung wird ge­nutzt, um die Ehe­leu­te unter fal­schen An­ga­ben zu se­pa­rie­ren und Herrn Mu­ra­dyan fest­zu­set­zen. Die Fuß­fes­seln wur­den der­art fest an­ge­legt, dass es für Herrn Mu­ra­dyan schmerz­haft war. Eine Lo­cke­rung gab es trotz Bit­ten nicht. Die Par­al­le­len zum Fall von Frau Mu­ra­di sind of­fen­sicht­lich [...] Mit der gest­ri­gen Ver­haf­tung und Ver­brin­gung in Ab­schie­be­haft ist deut­lich, dass diese Ma­sche Sys­tem hat: die Ter­mi­ne im Kreis­haus sind eine Falle, die zu­schnappt, wenn die Men­schen arg­los ihrer Pflicht nach­kom­men. Wie­der­holt stellt sich die Frage, in­wie­fern die Be­hör­de zu einer Angst­be­hör­de in der Com­mu­ni­ty der Ge­flüch­te­ten wird. [...] Das Bünd­nis ist scho­ckiert über die un­ver­hält­nis­mä­ßi­ge und un­mensch­li­che Härte, wel­che die Kreis­be­hör­de prak­ti­ziert und schein­bar für an­ge­mes­sen und stei­ge­rungs­fä­hig hält. [...]

Kin­des­wohl ge­fähr­det

Herr Mu­ra­dyan ist ak­tu­ell in der Ab­schie­be­haft Büren und soll mit Frau und zwei Kin­dern am 7. April nach Ar­me­ni­en ab­ge­scho­ben wer­den. Ar­me­ni­en ist ein Land, das die Kin­der nicht ken­nen und des­sen Spra­che sie nicht spre­chen. Das Kin­des­wohl wird hier of­fen­sicht­lich nicht ge­prüft und fin­det keine Be­ach­tung durch die Be­hör­de. In der Stel­lung­nah­me des Krei­ses wird das Kin­des­wohl nicht er­wähnt. Er­wähnt wird aber die ab­sur­de Lö­sung, aus­zu­rei­sen nach Ar­me­ni­en und mit einem Ar­beits­vi­sum wie­der ein­zu­rei­sen. Das als ernst­haf­ten Vor­schlag zu prä­sen­tie­ren, zeigt, wie weit weg vom All­tag die Be­hör­de ar­bei­tet. Frau Bo­ghe­an ist durch einen Un­fall in der Kind­heit ein­ge­schränkt und braucht me­di­zi­ni­sche Hilfe. Die Fa­mi­lie hat ein ei­gen­stän­di­ges Ein­kom­men und für die Mut­ter ist ab der Früh­jahrs­sai­son ein Ar­beits­platz in der Küche fest ein­ge­plant. Das Bünd­nis un­ter­stützt die For­de­rung nach einer si­che­ren Zu­kunft für die Fa­mi­lie in Bad Ber­le­burg. Der Pe­ti­ti­ons­aus­schuss NRW wurde ein­ge­schal­tet.

Das ist seit gestern nicht mehr möglich. Und auch die drohende Familienabschiebung bereitet Marine Boghean und ihren Kindern Angst. „Sie wissen, dass sie jederzeit abgeholt werden können“, sagt Benkendorf. Auch der Hotelier hat kaum geschlafen. Er kümmert sich um den Rechtsbeistand für die Familie und der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“, hat schon wichtige Tipps gegeben.

Bürgermeister setzt sich ein

Auch Bad Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann setzt sich für ein Bleiberecht ein: „Robert Muradyan und seine Familie sind seit Beginn ihrer Zuweisung nach Bad Berleburg sehr beliebt und im besonderen Maße um Integration bemüht. Die gesamte Familie spricht gut oder sogar sehr gut Deutsch“, schreibt Fuhrmann in einer Stellungnahme. Aber auch das große ehrenamtliche, soziale Engagement von Muradyan würdigt der Bad Berleburger Bürgermeister: „Herr Muradyan ist handwerklich sehr geschickt und war – übrigens ebenso wie Herr Muradi – unter anderem bei der Herrichtung von Wohnungen für weitere Geflüchtete ehrenamtlich im Einsatz. Er hat zudem unter anderem auch bei der Renovierung des interkulturellen Mehrgenerationentreffpunktes in Bad Berleburg mitgewirkt.“

Als einen wesentlichen Punkt nennt Fuhrmann auch, dass der 43-jährige seit 2020 in festen Arbeitsverhältnissen Geld verdient. Dass er für den Hotelier Andreas Benkendorf nahezu unverzichtbar geworden sei, bringt Fuhrmann auf eine entscheidende Frage: „Die Frage – nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund – ist, ob es nicht möglich und hilfreich wäre, die angekündigte Änderung der Gesetzeslage durch den Bund abzuwarten, um dadurch der Familie ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland zu ermöglichen?“

Bernd Schneider spricht von „erbärmlichen Vorgehen“

Das Kreistagsmitglied von Bündnis90/Die Grünen aus Bad Berleburg, Bend Schneider, kritisiert Landrat Andreas Müller und auch dessen zuständigend Dezernenten: „Herr Landrat Müller, Herr Dezernent Rosenthal, was für ein erbärmliches Vorgehen. Solche Menschen in Ketten legen, ist das wieder deutscher Staat und deutsche Verwaltung? Einfach mal stillhalten und gar nichts tun, wie das moderne und humane Behörden in Deutschland in solch sensiblen Fällen andernorts praktizieren.“

Foto: Sven Frohwein Die Initiative "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren" betreut in der Haftanstalt Büren (Ostwestfalen) Menschen, die in Abschiebehaft geraten sind.
Der in Bad Berleburg lebende Armenier Robert Muradyan hat diese Fotos mit seinem Handy gemacht. Sie zeigen ihn in Fußfesseln, nachdem er in der Ausländerbehörde in Siegen festgenommen worden ist. Foto: Robert Muradyan / WP
Robert Muradyan. Dem Familienvater aus Armenien droht die Abschiebung. Foto: Robert Muradyan / WP