01.09.2021

Hinter Mauern

Was ist eigentlich Abschiebehaft? Warum werden Menscheneingesperrt, die keine Straftat begangen haben?                                                                                                                                                        Sebastian Nitschke: Der Zweck ist eigentlich die Abschiebung einfacher zu machen, Menschen schon vorher gefangen zu nehmen und den Flug und alle notwendigen Papiere zu organisieren. Größer könnte man antworten: wegen rassistischer Strukturen in der Gesellschaft. Detaillierter muss man auf das Nationalstaatsprinzip schauen und dass ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte jeder einem Land zugeordnet wurde und festgelegt, wer unter welchen Bedingungen wo rein kommt und wieder entfernt wird. So entstehen Abschiebung und später Abschiebegefängnisse.                                                                                                           Lina Droste: Es wird oft von „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige“ gesprochen. Dabei wird total beschönigt, dass es sich um Gefängnisse handelt. Es gibt Gitter und Türen, die von Bediensteten auf- und abgeschlossen werden. Es ist keine freundliche Einrichtung, die Menschen sind ihrer Freiheit beraubt.

Wer wird inhaftiert?

Nitschke: Menschen, die keinen legalen Aufenthaltsstatus oder keinen mehr haben, weil er endet oder ihr Asylantrag abgelehnt wurde und sie nicht ausreisen. Es gibt verschiedene Gründe im Gesetz, die Abschiebehaft  ermöglichen. Die wurden in den letzten Jahren so erweitert, dass praktisch jede ausreisepflichtige Person auch in Abschiebehaft genommen werden kann: vermeintliche Falschangaben bei der Identität, unangemeldete Abwesenheit von der Unterkunft oder „illegale“ Einreise. Aber fast jede geflüchtete Person reist juristisch gesehen illegal ein, weil es kein Visum zum Zweck der Asylantragstellung gibt.                                                                                                                                                                                                                                                                          Droste: Ein absurder Haftgrund ist der, dass Menschen eine hohe Geldsumme aufgebracht haben, um nach Deutschland zu fliehen. Es wird angenommen, dass, wer so viel Geld aufbringt, alles tun wird, um die Abschiebung zu verhindern. Das trifft aber auf so ziemlich alle Menschen zu.

Das Buch ist entstanden aus Abschlussarbeiten, für die sie mit Inhaftierten gesprochen und zum anderen Dokumente und Haftunterlagen untersucht haben. Was erzählen die Menschen?

Nitschke: In Darmstadt lautet das Motto „Normales Leben minus Freiheit“. Die Menschen hatten minimal mehr Bewegungsfreiheit als in Strafhaft, eine Stunde Hofgang eine Stunde im Freizeitraum. Ansonsten waren sie auf ihren Zellen. Sie haben uns erzählt: Man macht nichts, liegt nur rum und schaut auf dem Handy irgendwas im Internet. Guthaben mussten sie selber zahlen. War das aufgebraucht, konnten sie nichts machen, außer zu schlafen. Wenn ich gefragt habe, wie es ihnen geht, haben manche nur gelacht, andere sagten, alles sei scheiße. Jemand der vorher in Strafhaft war, sagte, dort sei es besser, weil er dort arbeiten und Geld verdienen konnte. Ins Gefängnis zu kommen, obwohl sie nichts gemacht haben, ist für viele ein Schock und ein Vertrauensverlust. Viele kommen aus Diktaturen und dachten, in Europa sei alles frei, und dann erleben Sie sowas.                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Droste: Die Menschen berichten, dass sie die Verfahren als ungerecht erlebt haben, dass ihre Rechte beschnitten und sie vor Gericht nicht angehört wurden. Viele berichten von Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Angst. Im Winter klagten viele über Kälte. Das sind keine herausstechenden Situation, sondern Muster.

Hat sich die Ungerechtigkeit auch in den Dokumenten und Haftunterlagen gespiegelt, die sie gelesen haben?

Nitschke: Oft ist es so, dass das Amtsgericht den Antrag der Ausländerbehörde gar nicht richtig prüft, sondern einfach zustimmt. Ich habe selbst erlebt, dass das Urteil während der Verhandlung beim Richter auf dem Tisch lag. Die hat auch nur 5 Minuten gedauert, dann verhängte der Richter ein paar Wochen Haft und das was. Wenn man Beschwerde einlegt, prüft das Landgericht. Prüft es richtig, kann es zur Aufhebung der Haft kommen. Manche prüfen sowie das Amtsgericht und lehnen ab. Je höher die Instanz, desto öfter werden Entscheidungen aufgehoben. Das passiert aber in der Regel nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern aus formalen.

Sie haben sich auch mit dem Instrument der Isolationshaft beschäftigt. Inwiefern findet das in Abschiebegefängnissen statt?

Droste: In Büren gab es während meiner Forschung einen ganzen Trakt, der „1b neu“ genannt wurde. Es gibt Kameraüberwachung und verschiedene Stufen der Isolation, zu schärfsten gehört die Fixierung der Gefangenen. Mit Corona hat sich das viel stärker ausgeweitet, Menschen werden direkt bei der Aufnahme isoliert mit der Begründung, dass sie in einem bestimmten Corona-Testzyklus seien. Wer wann getestet wird und in Isolationshaft muss, wird nicht transparent gemacht. UnterstützerInnen sagen, dass das auch an einer neuen Gefängnisleitung liegt, die eine respektive Politik fährt. Wenn jemand stört oder als störend empfunden wird, ist es leichter, die Person zu isolieren als Streitereien zu schlichten, sich mit einer Person auseinanderzusetzen, der es psychisch schlecht geht. Und es gibt seit Jahren großen Personalmangel in Büren. Aber statt die Zahl der Inhaftierten zu reduzieren, werden ihre Rechte beschnitten und sie leichter händelbar gemacht fürs Personal.

Es wird öffentlich viel über Abschiebung an sich gesprochen, aber über die Haft quasi gar nicht. Wie kommt das?

Droste: Ich glaube, dass die Thematik in ein rassistisches Bild passt. Es ist ja nicht nur bei Abschiebehaft so, dass Menschen als Andere und nicht Dazugehörige konstruiert werden. Gleichzeitig wird von gefährlichen Menschen oder Straftätern gesprochen, was ja so nicht stimmt. In Büren werden Menschen aus ganz NRW inhaftiert. In migrantischen Communities kennen Menschen Büren als Ort, während die „weiße“ Bevölkerung häufig kaum was davon mitbekommen. Es passiert auch, dass Menschen inhaftiert werden und dann für ihr Umfeld verschwunden sind, weil sie erst einmal generalpräventiv isoliert werden und keine Möglichkeit haben, Kontakt aufzunehmen zu Beratungsstellen und FreundInnen.

Nitschke: Und es gibt nicht so viele Abschiebegefängnisse. Ich würde sagen, in Büren war es Kalkül, das Gefängnis dorthin zu legen. Büren ist eine Kleinstadt, das Gefängnis kilometerweit im Wald. Es ist ziemlich abgelegen von den Augen der Gesellschaft.

In der aktuellen Debatte um Afghanistan wird ja deutlich, dass dort Menschen vor einem terroristischen Regime fliehen. Könnte das die Debatte auch um Abschiebung und Abschiebehaft beeinflussen?

Nitschke: Ich fürchte, nein. In Bezug auf Syrien war die Öffentlichkeit auch sehr groß, aber im gleichen Zeitraum wurden die Asylgesetze verschlechtert, die neuen Gefängnisse gebaut und erweitert. Die Verwaltung hat die Strategie, zu sagen, wir haben Menschen, denen es erwiesen schlecht geht, darum müssen wir umso mehr investieren, um die anderen abzuschieben, damit die Akzeptanz in der Bevölkerung bestehen bleibt. Das ganze Jahr wurde nach Afghanistan abgeschoben, obwohl bewaffnete Kämpfe und Terroranschläge zum Alltag gehörten.

Wenn man einen Ausblick versucht, was würden Sie sich als AktivistInnen und WissenschaftlerInnen wünschen?

Droste: Die sofortige Abschaffung der Abschiebehaft an erster Stelle. Bis dahin ist es ein Bohren von dicken Brettern, immer Demos zu organisieren, Lobbyarbeit auf Landesebene zu machen, Gruppen zusammenzubringen und das Thema breiter in die Öffentlichkeit zu tragen.                                                                                                                              Nitschke: Dem würde ich mich anschließen. Aus wissenschaftlicher Perspektive betrachte ich immer die gesellschaftliche Realität, wie sie historisch entstanden ist. Wenn man über „Wirtschaftsflüchtlinge“ spricht, muss man sich auch ansehen, dass die Länder, in denen die Wirtschaften so schlecht funktionieren, europäische Kolonien waren. Selbst nachdem sie „politisch“ unabhängig geworden sind, sind sie nicht ökonomisch unabhängig geworden. Das hängt miteinander zusammen. Aber es gibt keine Aussicht, dass die westlichen Länder helfen wollen, globale Gerechtigkeit zu schaffen.                                                                                                      Droste: Im Kleinen ist es gut, nicht wegzuschauen, sondern die Menschen in den Abschiebeknästen zu besuchen, mit ihnen zu sprechen und transparent zu machen, was hinter den Mauern passiert.

Lina Droste, Sebastian Nitschke Die Würde des Menschen ist abschiebbar. ISBN: 978-3-96042-102-3 edition assemblage / 288 S. / 16 Euro

Offiziell heißt das 1994 in Betrieb genommene, in einem Wald im Kreis Paderborn gelegene Abschiebegefängnis in Büren „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA)“.