11.02.2019

Abschiebung Ein Besuch in der Unterbringungseinrichtung in Büren

Von Alexander Schäfer (Text) und Andreas Rother (Fotos)

Büren – Drei Stunden nimmt sich Anstaltsleiter Dr. Nicolas Rinösl Zeit, um seine Einrichtung zu zeigen und die Abläufe dort zu erläutern. Der 42-jährige setzt auf eine offensive Medienarbeit, um endlich aus den Negativ-Schlagzeilen herauszukommen. Doch ausgerechnet in der vergangenen Woche wurde bekannt, dass ein Arzt der skandalerprobten Anstalt Ende November suspendiert worden war. Er soll laut Medienberichten ungewöhnlich große Mengen des Schmerzmittels Opioid Tramadol bestellt haben. Bei einer Bestandskontrolle soll der Verbleib der Medikamente nicht nachzuvollziehen gewesen sein. „Hat ein Knast-Arzt mit Drogen gedealt?“ Lautete prompt eine Schlagzeile in der Presse. Die zuständige Bezirksregierung Detmold bestätigte die Suspendierung, machte sonst aber keine Angaben.

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135 Menschen warten aktuellen Büren auf Abschiebung.

Die meisten sind zwischen 16 und 35 Jahre alt.

Im Schnitt sind sie 34 Tage in Büren inhaftiert.

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Zur Ruhe kommt die Einrichtung also nicht, dabei sollte alles anders werden als im vergangenen Jahr. Rinösl bestätigt drei Vorfälle, bei denen insgesamt sieben Personen aus der Anstalt flüchten wollten. Vier entkamen, drei von ihnen scheiterten. So brach sich ein Mann - nachdem er die Fassade eines Hafthauses von Fenster zu Fenster hinaufgeklettert war - beim Sprung von der 6,50 Meter hohen Außenmauer den Fuß. Rinösl bestätigt auch einen Vorfall, bei dem drei seiner Mitarbeiter verletzt wurden. Ein Inhaftierter hatte randaliert und war außer Kontrolle geraten. Zudem sorgte 2018 ein Suizid für Schlagzeilen. Der Vorwurf: Der psychisch kranke Mann hätte in ein Krankenhaus gehört, nicht nach Büren. Die Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag sprach von „katastrophalen Zuständen“.

Im Mai 2015 wurde auf dem Gelände und in den Gebäuden der ehemaligen Justizvollzugsanstalt Büren die Abschiebehaftanstalt für bis zu 140 Personen in Betrieb genommen. Nach Europarecht dürfen Abschiebehäftlingen nicht in gewöhnlichen Gefängnissen untergebracht werden. Die Anstalt liegt abseits in einem Wald gelegen, etwa acht Kilometer außerhalb der Stadt Büren. Die Anfahrtsszenerie mit den hohen Bäumen links und rechts der Fahrbahn hat etwas Beklemmendes. Keine Straße führt zur Seite ab, es geht nur in Richtung Haftanstalt. Für die, die hierhin kommen, ist tatsächlich Endstation. Von Büren aus geht es nur noch zum Abschiebeflieger. „Es passiert das, was sie verhindern wollten. Es ist das Ende des Traums, in Europa Fuß zu fassen“, beschreibt Niklas Rinösl die Lage „seiner“ Insassen. Sie hätten teils tausende Euro für Schlepper gezahlt und kehrten nun als Gescheiterte zurück. Das bedeute einen großen Frustfaktor.

Rinösl ist deshalb froh, dass mittlerweile auch ein Psychologe zu seiner Belegschaft zählt. Zudem gebe es vier Sozialarbeiter. Auch Ärzte und Krankenpfleger stehen bereit. Der größte Teil der Mitarbeiter sind natürlich Sicherheitsleute. Neben den rund 100 staatlichen Vollzugsbeamten stellt der private Sicherheitsdienst KBS 60 Mitarbeiter zur Verfügung. Sie empfangen an der Eingangspforte Besucher der Einrichtung und bringen Sie in die Gebäude mit dem Besuchsraum.

Es ist sehr ruhig an diesem Nachmittag im Februar. Der Besuchsraum mit Spielecke für Kinder und separaten Räumen für Anwaltsgespräche ist leer. Untergebrachte können täglich von 9 bis 19 Uhr Besuch empfangen. Auf dem eingezäunten Innenhof sind nur wenige Inhaftierte unterwegs. Sie  drehen stupide ihre Runden im Kreis rund um den Fußballplatz. Der wird sonst häufig und viel benutzt, doch heute liegt noch Schnee.

In den drei Hafthäusern warten insgesamt 135 Menschen auf ihre Abschiebung. Alles Männer, vor allem Nordafrikaner, die meisten zwischen 18 und 35 Jahre alt. Im Schnitt sind sie 34 Tage in Büren, die Spannbreite der Aufenthaltsdauer reicht von einem Tag bis zweieinhalb Monate. Sie sitzen in Büren aufgrund eines richterlichen Beschlusses ein - „zur Sicherung ihrer Ausreise“. Bei ihnen besteht die Gefahr, dass sie sich der Abschiebung zu entziehen versuchen. Weil sie zum Beispiel schon einmal untergetaucht waren. „Prominenter Gast“ in Büren war Sami A. Der zuvor in Bochum lebende Islamist und ehemalige Leibwächter von Osama bin Laden wurde von hier nach Tunesien abgeschoben. Derzeit sei kein bekannter Gefährder in Büren untergebracht, sagt Rinösl. Er ist froh, dass er im Gegensatz zu früher nun erfahre, wen die Ausländerbehörden in seiner Anstalt absetzen. Das sei nicht immer so gewesen. Das Vorleben der Inhaftierten sei unbekannt gewesen. Datenschutz. Gefährlich fand Rinösl das.

Schließlich habe jeder Zweite eine strafrechtliche Vorgeschichte. Vermutlich sei der Anteil sogar noch höher. „Wir haben alles hier. Mörder, Vergewaltiger, alle Formen von Drogendelikten und Eigentumsdelikten“, sagt der Anstaltsleiter. Der 42-jährige kommt nicht aus dem Vollzug, war vorher bei der Bezirksregierung Detmold Planfeststeller. Der Jurist hat sich aber in die Materie eingearbeitet und sagt ganz offen, dass er über den offiziellen Namen Unterbringungseinrichtung nicht glücklich ist. „Abschiebehaft wäre ehrlicher.“ Zwar sind die Haftbedingungen weniger streng als im Strafvollzug, doch gibt es vergleichbare Probleme: Drogen, Gewaltausbrüche und so weiter.

Aufgrund der Vorfälle im vergangenen Jahr wurden Ende 2018 die Regeln für die Abschiebehaft verschärft. CDU und FDP in NRW wollen mit Sanktionen für Gefährder und notorische Störer die Sicherheit erhöhen. So sind nur noch Mobiltelefone ohne Kamerafunktion zulässig. Leihhandys werden aber zur Verfügung gestellt. Bargeld ist verboten, damit es nicht zum Kauf von Drogen missbraucht werden kann. Wer wiederholt gegen die Regeln verstößt, k mit Einschränkungen etwa bei der Handy- oder Internetnutzung bestraft werden.

Rinösl zeigt ein Haftraum hinter einer schweren blauen Eisentür. Die Einrichtung mit in der Regel Fernseher, Kühlschrank und Wasserkocher erinnert mehr an eine Jugendherberge als einen Knast. Wenn, ja wenn da nicht die Gitterstäbe vor dem Fenster wären. Seit der Ausbrüche im vergangenen Jahr gibt es in Büren wieder Natodraht, also die Variante des Stacheldrahtes, der ein durchkommen im Grunde unmöglich macht. „Die Schwachstellen“ von früher sein so beseitigt worden.

Dabei gab es in der Vergangenheit sogar Pläne, die ehemaligen Justizvollzugsanstalt so umzubauen, dass sie eben nicht wie eine Abschiebehaftanstalt aussieht. Der Vollzug sollte neu erfunden werden. „Normales Leben minus Freiheit“ oder „5-Sterne-Hotel mit Mauer“ bringt Jurist Rinösl die dahinter stehende Philosophie auf den Punkt und macht aus seiner Skepsis kein Geheimnis. Zehn Million Euro seien dafür schon bereitgestellt gewesen.

Doch dann kippte die Stimmung. Erst draußen im Land, dann in der Einrichtung. Nach dem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt wuchs der Druck auf die Politiker, mehr und schneller abzuschieben. Das erhöhte den Druck auf Einrichtungen wie in Büren. Die Zusammensetzung der Inhaftierten änderte sich. „Früher hatten wir noch eine Frauenabteilung und Familien hier“, erzählt Rinösl. Manchmal waren nur 30 Personen untergebracht. Jetzt wird Büren von 140 auf 175 Plätze ausgebaut, um damit auf den deutlichen Anstieg der Ausreisepflichtigen zu reagieren. Räume sind bereits ausreichend vorhanden, es fehlt nur noch Personal.

Rinösl ist froh über die Verschärfungen, Kritik daran kann er nicht nachvollziehen. NRW habe im Vergleich zu anderen Bundesländern noch immer das liberalste Gesetz für die Abschiebehaft. Dennoch hofft er, dass Gewalseskalationen, Randale und Angriffe auf das Personal der Vergangenheit angehören. Illusionenen macht er sich aber keine. „Es ist wie im richtigen Gefängnis. Sie müssen mit allem, was vorstellbar ist, rechnen. Und wenn sie da noch eine Schippe drauflegen, dann sind sie in der Realität.“

Eigentlich ist es sogar noch schlimmer als im richtigen Knast. Wer in Büren sitzt, hat in Deutschland nichts mehr zu verlieren.

Verein                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Demo in Büren

Seit 25 Jahren bietet der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Beratung für die Gefangenen in Büren an. Pressesprecher Frank Gockel kritisiert die Zustände in der Anstalt. So unternehme die Einrichtungsleitung alles, um unabhängigen Beobachtern den Blick auf die Haftbedingungen vor Ort weitestgehend zu verwehren. Selbst schwere Vorwürfe gegen Mitarbeiter, zum Beispiel laut Gockel die Anweisung einer leitenden Mitarbeiterin, Medikamente unter das Essen eines Gefangenen zu mischen, führten nicht zu unabhängigen und effektiven Kontrollen. Das seit Ende Dezember umgesetzte Abschiebehaftvollzugsgesetz bedeutet aus seiner Sicht eine massive Beschränkung der Rechte von Gefangenen. Am 31. August soll wegen der Missstände eine Demonstration in Büren stattfinden.    asc

Tausende müssen jährlich das Land verlassen

„Für uns steht das individuelle Asylrecht, das Grundrecht auf Asyl, in unserer Verfassung nicht zur Disposition“, sagte NRW Flüchtlingsminister Dr. Joachim Stamm (FDP) Ende Januar im Düsseldorfer Landtag. Das bedeutet aber nicht, dass Stamp und die schwarz-gelbe Koalition bei Abschiebungen keine Härte zeigen. Im Gegenteil: In Nordrhein-Westfalen wird eine konsequente Politik gefahren. Es ist das Bundesland mit den meisten Abschiebungen. Zwischen Januar und November 2018 schickte NRW 5548 Menschen unter Polizeizwang zurück in ihre Heimatländer oder in Drittstaaten. Im Jahr zuvor waren es 6308. Bundesweit wurden 2018 insgesamt rund 20.000 abgelehnte Asylsuchende abgeschoben. Allerdings hat NRW aufgrund seiner Größe auch die meisten Antragsteller für Flüchtlingsschutz.

Ende Oktober waren rund 235.000 Ausländer in Deutschland ausreisepflichtig. Die meisten von ihnen - fast 178.000 - wären allerdings aus humanitären Gründen geduldet. Rund 40 Prozent der Abschiebungen scheitern an Widerständen der Herkunftsländer. Stamp arbeitet deshalb weiter an einen nationalen Migrationsgipfel.

Weil das Thema sehr negativ aufgeladen sei, plant Stamp eine neue Veranstaltungsreihe. Die Regierung will dabei mit Bürgern über Integration ins Gespräch kommen, um Vorurteile abzubauen. Gesprochen werden soll „auch mit den sogenannten Wutbürgern“, so Stamp. Auftakt ist am 27. März in Essen.                                                                                                                                                                

 

Ein Haftraum: In der Regel gibt es hier neben Bett, Schrank und WC auch Fernseher, Kühlschrank und Wasserkocher.
Zitat

“ Ich gehöre nicht zu denen, die stolz auf hohe Abschiebequoten sind. Joachim Stamm NRW Flüchtlingsminister
Der Besucherraum: Montags bis sonntags von 9 bis 19 Uhr können die Inhaftierten besucht werden.
Der Innenhof: Esgibt insgesamt drei Hafthäuser, jedes hat einen eingezäunten Außenbereich.
Noch Mobiltelefone ohne Kamerafunktion sind in Büren zulässig. Es gibt Leihhandys.