29.04.2018

Abschiebehaft Boxsack und rotes Plastikgeschirr

In der ersten hessischen Abschiebeeinrichtung in Darmstadt-Eberstadt leben die ersten Häftlinge in 10 Quadratmeter großen Zellen.

Von Jens Joachim (Text) und Michael Schick (Fotos)

Hessens erste eigene Abschiebehafteinrichtung, die vor einem Monat in Darmstadt-Eberstadt in Betrieb genommen wurde, liegt idyllisch am Waldrand in einem gemischten Wohn- und Gewerbegebiet. Vor dem Eingang blüht ein Fliederbusch. Doch die Idylle und der grüne Rasen im Innenhof trügen. Direkt neben dem Abschiebeknast befindet sich hinter einer hohen Mauer die größte Strafanstalt Südhessen. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) sitzen Männer ein, die eine Freiheitsstrafe bis zwei Jahren verbüßen. Vor den Gefängnismauern baut das Land mehrere Gebäude in denen bisher Freigänger der benachbarten JVA untergebracht waren, zur ersten hessischen Abschiebehafteinrichtung um. Am Freitag waren die ersten zehn Zellen mit Flüchtlingen, die abgeschoben werden sollen, belegt. Bis Ende Mai soll die Einrichtung nach Angaben von Innenminister Peter Beuth (CDU) auf 20 Haftplätze erweitert werden. In einigen Monaten sollen 50 Plätze und perspektivisch sogar 75 Haftplätze auf dem Gelände in Eberstadt zur Verfügung stehen. Das Areal wird durch mehrere hohe Metallzäune mit Stacheldraht gesichert, „damit es keine Entfluchtungen geben kann“, wie sich der leitende Polizeidirektor Frank von der Au am Freitag bei einem Rundgang ausdrückte, an dem auch Minister Beuth und der für die Einrichtung zuständige südhessische Polizeipräsident Bernhard Lammel teilnahmen. In den vergangenen Wochen sind bereits vier Männer abgeschoben worden, ein fünfter wurde nach einem Gerichtsbeschluss in einer Strafhaftanstalt untergebracht. Die meisten der derzeit zehn Insassen sind laut Polizeipräsident Lammel Straftäter. 2017 hatte das Land Hessen 213 Personen in Abschiebehafteinrichtungen untergebracht, 2016 waren es 208 und 2015 erst 129 Menschen gewesen.

Bis Ende März hat Hessen 470 Menschen abgeschoben

Laut einem Ministeriumssprecher wurden im vergangenen Jahr 1148 Menschen aus Hessen in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Bis Ende März gab es 470 Abschiebungen. Die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung könne sich ähnlich wie in Rheinland-Pfalz bei etwas mehr als zwei Wochen einpendeln, sagte von der Au. Er berichtete, dass es in der Einrichtung „friedlicher als erwartet“ zugehe und es einen „respektvollen Umgang“ gebe. „Die allermeisten warten auf ihr Flugticket und wollen nach Hause.“ Innenminister Beuth äußerte, die Abschiebehaft sei nur die „ultima ratio“. Die schwarz-grüne Landesregierung wolle eigentlich erreichen, dass Menschen ohne Bleiberecht freiwillig in ihre Heimatländer zurückkehrten und bietet dafür auf finanzielle Unterstützung an. Wenn diese Angebote nicht angenommen würden und sich die Menschen Abschiebeversuchen widersetzen, sei die Abschiebehaft das letzte Mittel. Die Einrichtung, für die die Landesregierung Ende vorigen Jahres die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen hatte, werde auch deshalb benötigt, „um die hohe Akzeptanz der Bevölkerung für die Integration von Flüchtlingen zu erhalten“. Die rund 10 Quadratmeter großen und vergitterten Einzelzellen, die von der Au beim Rundgang als „Appartements“ bezeichnete, sind mit jeweils einem Bett, Tisch, Stuhl, Kleiderschrank, Kühlschrank und Fernfernseher ausgestattet. Aus Sicherheitsgründen sind die Möbel am Boden festgeschraubt worden. Zudem steht den insassenrotes Plastikgeschirr zur Verfügung, damit sie nicht sich selbst oder andere verletzen können. Im Gegensatz zu Strafgefangenen genießen die Abschiebehäftlingen laut von der Au wesentlich mehr Freiheiten. Sie dürfen ihre eigene Kleidung tragen, von Besuchern etwa Kekse bekommen und haben ein größeres Freizeitangebot. Im Gemeinschaftsraum steht ein Tischkicker und im Sportraum eine Tischtennisplatte und ein Boxsack, „wo Aggression abgelassen werden können“, wie von der Au sagt. Auf die Wände sind auf Anregung einer Sozialarbeiterin Pusteblume mit davonschwebenden Flugschirmen geklebt worden. Das idyllische Bild steht für das Motiv „Die Gedanken sind frei“, verrät von der Au. Frei fühlen werden sich die Insassen während ihrer Zeit im Abschiebeknast in Eberstadt allerdings sicher nicht.

 

Grünfläche hinter Gittern: Blick in den Freistundenhof.
Ein Bett und der mit roten Plastikgeschirr gedeckte Tisch stehen schon für den nächsten Abschiebehäftling bereit.