02.12.2015
Letzter Halt Abschiebe-Anstalt
Hinter dicken Mauern: Die Insassen versuchen alles, um dortbleiben zu dürfen, während die Gegner mit den Hütern der Gesetze um das Aufenthaltsrecht Ringen. Ein Blick in den Alltag einer ungeliebten Einrichtung
von Benedikt Wermter
Büren. Mehr als 10.000 Menschen müssen jedes Jahr Deutschland verlassen, die meisten werden aus der Freiheit abgeschoben. Wer sich der erzwungenen Ausreise widersetzt, weil er kein Asyl bekommen hat, oder wer ohne Papiere erwischt wird, landet vielleicht in Büren - mitten in Ostwestfalen gelegen. Hier steht eines der größten Abschiebegefängnis in Deutschland. Und hier könnte es bald wieder voll werden.
Sie sind zu dritt. Unterwegs in einem alten Skoda-Kombi. Den Wagen lenkt ein großer Mann in schwarzem Shirt, er hat eine Halbglatze und grinst fröhlich. Sein Name ist Frank Gockel, studierter Physiker, doch seit er sich mit anderen als Naturgesetzen beschäftig, ist er in besonderer Mission unterwegs. Hinter Paderborn sind er und seine beiden Begleiter nach Büren abgebogen. Nun führt der Weg durch den Wald. 10 km links und rechts Bäume. Dann eine Lichtung, ein Parkplatz, dahinter Beton: sechs Meter hohe Mauern, eingefasst von einem grünen Zaun, der gespickt ist mit Stacheldraht, Scheinwerfern, Kameras. Auf einem Schild steht „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige“. Die drei sind am Ziel.
Insgesamt finden 100 Menschen hier Platz
Sie werden bereits erwartet. Am Eingang zu dem Betonkomplex haben sich eine Reihe älterer Herrschaften eingefunden, mit rosa fahrenden Baskenmützen, Typ Religionslehrer. Sie alle bilden den Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ (HFMIA). Eine Gruppe von Aktivisten, die aus humanitären Gründen oder politisch motiviert Abschiebe-Häftlinge unterstützt. Ein Dutzend von ihnen kommt mehrmals pro Woche nachmittags für zwei Stunden nach Büren. Sie nehmen sich Haftbeschlüsse vor, übersetzen den Abschiebehäftlingen - von denen viele nicht verstehen, was gerade vor sich geht - die Dokumente. Sie vermitteln Anwälte und schauen, ob sich eine Haftbeschwerde lohnt. Für viele der Menschen, die hier darauf warten, in ihrer Heimat zurücktransportiert zu werden, sind die Hafthelfer der letzte Ausweg. Frank Gockel, der große Mann in Schwarz, ist Vorsitzender des Vereins. Für den 37-jährigen ist die Abschiebe-Anstalt das zum Beton gewordene Symbol eines Unrechtsstaates. Er will helfen, dass jene nicht verschwinden, denen ein Papier sagt, dass sie „illegal“ sind.
Einer, der das Gefängnis in den 90er Jahren mit aufgebaut hat, ist Udo Wehrmeier. „Nach dem Balkan-Krieg wurde es ruhiger und hat man das Gefängnis auch für Eierdiebe und Schwarzfahrer genutzt“, sagt der 66-jährige am geöffneten Fenster seines Büros in der obersten Etage des Verwaltungsakts. Draußen regnet es.
Eigentlich sollte Wehrmeier gar nicht hier sein. Er war in Ruhestand gegangen und sein Gefängnis nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs geschlossen worden. Die Richter in Straßburg hatten die gemeinsame Unterbringung von normalen Sträflingen und Abzuschiebenden 2014 untersagt. Die Einrichtung musste umgebaut werden. Dann kehrte Wehrmeier zurück.
„Seit Mai bis Ende August“, sagte er in die kalte Luft hinein, „wurden von hier 66 Menschen abgeschoben, 25 durften wieder raus. Aktuell ist Platz für 50 Ausreisepflichtige. Maximal 100 Menschen können insgesamt aufgenommen werden. Wenn mehr Personal bereitsteht. Im Schnitt sitzen die ausreisepflichtigen 11,5 Tage hier.“ Das sind die Fakten. Wehrmeier reiht sie langsam und mit Bedacht aneinander.
Büren und andere Abschiebe-Gefängnisse könnte schon bald eine größere Bedeutung zukommen. Die Merkel-Regierung signalisiert in der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte, härter gegen Menschen ohne Bleiberecht und ohne Aussicht auf einen erfolgreichen Asylantrag vorzugehen. Nur 33 Prozent der abgelehnten Asylbewerber würden abgeschoben. „Da sind wir noch nicht gut genug“, sagte die Kanzlerin kürzlich. Schon im Sommer verschärfte das Kabinett die Gesetze. Nun kann theoretisch jeder, der Geld ein Schlepper gezahlt oder sein Pass vernichtet hat, in Abschiebehaft kommen. Zudem werden Anfang September oder über 150 Flüchtlinge in Büren neben den Abschiebe-Häftlingen untergebracht.
Die schweren Hydrauliktüren öffnen sich surrend. Besucher müssen an dieser Sicherheitsschleuse alles abgeben, sogar Stift und Papier. Nur einige genau abgezählte Münzen dürfen Röntgengerät und Metallgitterdetektor passieren - für die Kaffeeautomaten.
Im Erdgeschoss eines Verwaltungsgebäudes befindet sich der Besucherraum. In einem Schwung schieben sich etwa 30 Ausreisepflichtige an die Tische. Sie kommen vom Balkan, aus der Ukraine oder Georgien, aus arabischen und afrikanischen Ländern.
An einem der Tische sitzt Nelson B. Der kompakte Mann trägt einen bleichen blauen Pulli, Badehose und Badelatschen. Warum er in Deutschland sei? „I am gay“, sagt er Ghanaer zaghaft und fragend. Fast unter Tränen erzählt der 31-jährige, dass er 2011 geflohen sei, weil in seine eigene Familie habe töten wollen. Er überreicht einen Brief, in dem er beschreibt, wie er von seinem Vater geschlagen wurde, wie der ihn schließlich Gift in das Essen gerührt habe. Seine Homosexualität sei eine Schande für die Familie. Er erzählt von vier Männern, die ihn verprügelt hätten, einer habe ihn mit einem Messer attackiert. Er lässt drei Finger an der rechten Hand gefühllos nach hinten schnappen.
Nelson B. sprich mit hoher und leiser Stimme, um den Hals hängt eine Lederkette mit Haizzahn, den er zwischen den Fingern der rechten Hand reibt, wenn er spricht. Im Februar 2012 hat er ein Asylantrag gestellt, nach anderthalb Jahren folgte die Ablehnung. B. tauchte daraufhin ab, so steht es in seinem Haftbeschluss. Bis er am 13.Juni 2015, frühmorgens in einem Büro für Fußballwetten in Köln von einer Zivilstreife festgenommen und vier Tage später im blauen VW-Bus der Ausländerbehörde durch die Pforte von Büren gefahren wurde. In einigen Tagen soll er ausgeflogen werden. Auf „Mr. Frank“ ruhen und all seine Hoffnungen.
Frank Gockel sagt, es gebe keine fünf Menschen in Deutschland, die das Chaos der Gesetze im Abschiebe-Haftrecht durchblicken. „Man kann da relativ schnell aufsteigen in dieser kleinen Gilde.“ Jetzt hat er eine volle Stelle beim Flüchtlingsrat. Über seine Klientel sagt er: „Wer in Büren sitzt, hat oft ein schlechtes Netzwerk gehabt oder es selbst vermasselt. Oder beides. Dann helfen wir.“
Die Helfer arbeiten schnell und routiniert. Ab und zu kopiert jemand Papiere, über ihre Handys stellen Sie die Verbindung zu Übersetzern her, falls Sprachprobleme die Verständigung verhindern.
Eigentlich ist ihre Arbeit einfach. Sie suchen Formfehler in den Haftbeschlüssen. Etwa solche, die Amtsrichter machen, indem sie den Wortlaut der Ausländerbehörde in der ersten Person übernehmen. Oder weil die Abschiebe-Häftlinge ein paar Tage zu Ende Unrecht in einem normalen Gefängnis eingesessen haben. Oder weil Dokumente fehlen. „Das ist stupide Fließbandarbeit“, sagt Gockel. „Dieselben Richter machen immer denselben Fehler. Da muss ich nur kurz drauf schauen.“
Der Autor arbeitet für das Rech Rechercheszentrum CORRECTIV, dass seine Arbeit aus Zuwendungen von Stiftung und Bürgern finanziert.