01.05.2015

Hochsicherheitstrakt soll human werden

Das Land NRW macht die ehemalige JVA Büren wieder zur zentralen Abschiebungseinrichtung

Von Hubertus Gärtner und Florian Pfitzner

Büren. Mit den Stimmen von SPD und Grünen hat der Düsseldorfer Landtag ein Abschiebungsvollzugsgesetz für NRW verabschiedet. Ab sofort dürfen in der ehemaligen Justizvollzugsanstalt Büren im Kreis Paderborn wieder Abschiebehäftling untergebracht werden. Abschiebehaftanstalt könne in einem Rechtsstaat nur das letzte Mittel („Ultima Ratio“) sein, betont NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Man wolle den Vollzug in Büren „so human wie möglich gestalten“ und „den allgemeinen Lebensverhältnissen angleichen“.

Wie kann das praktisch geschehen? Die in einem einsamen Waldstück gelegene Einrichtung wirkt immer noch wie ein Hochsicherheitstrakt. Dafür sorgt schon eine unüberwindbare Betonwand, die alle Haftgebäude und die Menschen dort einschließt. Derzeit sind alle Schilder und Hinweise demontiert. Das sorgt zusätzlich für eine gespenstische Atmosphäre. Der frühere JVA-Leiter Udo Wehrmeyer, eigentlich ein freundlicher Herr, ist für die Presse nicht zu sprechen. Er müsse „die Übergabe für den kommenden Montag vorbereiten“, heißt es an der Pforte.

Die ersten Abschiebungshäftlinge sollen Mitte Mai wieder nach Büren kommen. Die „Belegungszahlen“ werde sich „in der Anfangsphase sukzessiv in Richtung 40 bis 50 Personen entwickeln“, teilte ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage mit. 100 Plätze seien vorgesehen. Die zukünftige Personalausstattung werde den besonderen Anforderungen in der Abschiebungshaft Rechnung tragen. „Zu Beginn der Betriebsphase werden etwa 50 staatlich Beschäftigte im Schichtdienst tätig sein.“ Hinzu kommen Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes.

Vor 20 Jahren hat das Land NRW die ehemalige NATO-Kaserne im Wald „Stöckerbusch“ bei Büren zu einem Gefängnis ausgebaut. Platz war für 384 Abschiebehäftling und für 151 gewöhnliche Strafgefangene. Als im letzten Jahr der Europäische Gerichtshof entschied, dass Abschiebehäftlinge nicht in einem gewöhnlichen Gefängnis zusammen mit Strafgefangenen, sondern nur in spezielle, offenere Einrichtung untergebracht werden dürfen, war das Ende der Justizvollzugsanstalt Büren besiegelt. Alle Strafgefangenen wurden verlegt, die letzten etwa 20 noch verbliebenen Abschiebehäftlinge nach Berlin und Eisenhüttenstadt gebracht. Rund 150 Mitarbeiter der JVA wurden von der Arbeit freigestellt oder versetzt.

Kommando zurück

Nun heißt es „Kommando zurück“. „Das Land NRW benötigt eine zentrale Einrichtung für Abschiebehäftlinge“, sagt der Sprecher des Innenministeriums. Der Flüchtlingsrat NRW zweifelt die Legitimität der Abschiebungshaft hingegen an. Das Instrument diene allein dazu, die sogenannte Rücküberstellung für die beteiligten Behörden zu erleichtern, sagt Geschäftsführerin Birgit Naujoks. „Es werden Menschen eingesperrt, die keine Straftat begangen haben, sondern denen unterstellt wird, sie würden sich durch Untertauchen einer Abschiebung entziehen und sich dann womöglich des illegalen Aufenthaltes schuldig machen.“ Naujoks erinnert an die Aussagen des Innenministers, nach denen mehr als 90 Prozent der ausreisepflichtigen Menschen das Land freiwillig verlassen.

Der Flüchtlingsrat hält die ehemalige JVA Büren als zentrale Abschiebungshaftanstalt für ungeeignet. Naujoks sieht „erhebliche Probleme“, schon allein die baulichen Voraussetzungen, die Mauern und die Gitter vor den Fenstern „stehen einem ordnungsgemäßen Vollzug von Abschiebungshaft entgegen“. „Wir werden dagegen klagen“, kündigte Frank Gockel, Sprecher der Arbeitsgruppe Abschiebungshaft im Bielefelder Arbeitskreis Asyl, an. Das Land NRW sieht in dem jetzt mit heißer Nadel gestrickten Gesetz eine bis Ende 2015 befristet Übergangsregelung. Die genaue Ausgestaltung solle dann in einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren erfolgen.

Der CDU-Abgeordnete Daniel Sieveke hält die Abschiebehaft für ein „notwendiges Mittel“. Denn die Adressaten seien Menschen, „die illegal eingereist sind und denen nach gründlicher Prüfung kein Bleiberecht zusteht“. Die CDU habe sich bei der parlamentarischen Abstimmung enthalten, weil Sachverständige erhebliche Zweifel an der Europa- und Verfassungsrechtskonformität des Gesetzes geäußert hätten, erklärte der CDU-Innenexperte Theo Kruse.

Die Flüchtlingsexpertin der Grünen im Landtag, Monika Düker, sagte, Freiheitsentzug kenne ein Rechtsstaat eigentlich nur im Zusammenhang mit Straftaten. „Ausreisepflichtig zu sein und der Verdacht, sich der Abschiebung entziehen zu wollen, reichen aber bei einem Flüchtling aus, um hinter Gitter zu kommen.“ Düker sieht daher einen „Zwei-Klassen-Rechtsstaat“. Für eine entsprechende Gesetzesänderung fehle derzeit jedoch sowohl im Bundesrat als auch im Bundestag eine Stimmenmehrheit. Deshalb müssen wir als Land richterlich angeordnete Haft vollstrecken.“ „Nur ein sehr kleiner Teil der ausreisepflichtigen Person wird tatsächlich in Abschiebehaft genommen“, betont auch der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Dirk Wedel. Er bewertet den Freiheitsentzug wie der Innenminister als „Ultima Ratio“.

Kommentar

Prinzipien über Bord

Hubertus Gärtner

Über den großen Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland wird derzeit viel dikutiert. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) wird von einer großen Mehrheit sicherlich Lob und Zustimmung erhalten, wenn er die zentrale Abschiebungshaftanstalt in Büren reaktiviert. Allerdings lässt sich über die Frage, ob Abschiebungshaft grundsätzlich notwendig ist, trefflich streiten.

Völlig fragwürdig erscheint es indes, wenn in einer ehemaligen Haftanstalt, die einem Hochsicherheitstrakt gleicht, ausreisepflichtige Flüchtlinge eingesperrt werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass höchste Richter die Abschiebungshaft in Büren eines fernen Tages erneut für rechtswidrig erklären werden. Die NRW-Landesregierung nimmt das offenbar sehenden Auges in Kauf. Ihre Rede von der „human Ausgestaltung“ wirkt zynisch. Ganz besonders bitter aber ist, dass die Grünen den Steigbügel halten. In der Opposition waren sie stets entschiedene Gegner der Abschiebungshaft. Nun sind sie an der Macht. Und werfen ihre Prinzipien über Bord.

Extrem gesichert: So sieht die ehemalige Justizvollzugsanstalt Büren heute in der Außenansicht aus. Die hohe Betonmauer und der davor befindliche Zaun machen eine Flucht nahezu unmöglich. In Kürze werden in der Einrichtung wieder Abschiebehäftling untergebracht. Foto: Hubertus Gärtner

Kontrolle: Schild am Eingang der ehemaligen JVA. Foto: Gärtner

Verantwortlich: NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Foto: DPA