23.06.2014

Abschiebehaft

Die Regierung will die Haftgründe für Flüchtlinge verschärfen. Doch schon die alte Rechtslage überfordert die Behörden

Tür an Tür mit Kriminellen

Asyl Der europäische Gerichtshof beanstandet die deutsche Praxis der Abschiebehaft. Eine taz-Umfrage zeigt: Nicht alle Bundesländer reagieren darauf

Aus Berlin Konrad Litschko

Wenige Stunden war der Urteilsspruch alt, da öffneten sich in der JVA Volkstedt in Sachsen-Anhalt die Türen für sieben Männer. Auch die 30 km entfernte JVA Halle entließ zur selben Zeit eine Frau aus ihrer Zelle. Teils Monate hatten die Flüchtlinge aus Mali, dem Libanon und Vietnam auf ihre Abschiebung gewartet. Nun kamen sie, unverhofft, vorerst in Freiheit. Sachsen-Anhalt reagierte als erstes Bundesland auf ein Urteil des europäischen Gerichtshofs (EuGH) - und am konsequentesten. Die Richter missbilligten letzten Donnerstag die deutsche Praxis, Flüchtlinge, die vor der Abschiebung stehen, auch in herkömmlichen Gefängnissen unterzubringen: Das verstoße gegen die Menschenwürde und die Rechte von Migranten. Drei Abschiebehäftling hatten gegen ihre Inhaftierung neben verurteilten Gewalttätern und Betrügern geklagt. Der EuGH Maß der Klage grundsätzlich Bedeutung zu: Sein Urteil gelte „grundsätzlich“ und „ohne Ausnahme“. Sachsen-Anhalt, dass keine spezielle Abschiebehaftanstalt hat, habe schon vor dem Urteil Gespräche über eine Kooperation mit anderen Bundesländern geführt, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums. Vorerst „wird es keine Abschiebehaft in Sachsen-Anhalt geben“. Mit dieser Reaktion ist das Bundesland bisher allerdings allein. Denn nach einer bundesweiten Umfrage der taz inhaftieren derzeit noch vier weitere Länder Abschiebehäftlingen in normalen Haftanstalten - und reagieren keineswegs so prompt. So sitzen im SPD-angeführten NRW derzeit noch 32 Flüchtlinge nehmen rund 130 Strafgefangenen in der JVA Büren ein. Innenminister Ralf Jäger (SPD) will den Standort nun „weiterentwickeln“. Auch prüfe man „alternative Unterbringungskonzepte“. Nur: Bis dahin bleiben die Flüchtlinge hinter Gittern-trotz des Urteils. Jäger verteidigt sich: Büren sei schon jetzt eine „spezielle Einrichtung“, mit eigenen Hafthäuser für die Abzuschiebenden, „großzügigen“ Besuchsregeln und kostenloser Rechtsberatung. Künftig solle für die Flüchtlinge „zweifelsfrei zum Ausdruck kommen, dass es nicht um das Verbüßen einer Strafe geht“. Dem grünen Regierungspartner reicht das nicht. Deren Flüchtlingspolitische Sprecherin Monika Düker fordert „schnellstmöglich“ Alternativen zu Büren. Auch in den drei weiteren betroffenen Ländern (siehe Karte) hat man keine Eile. Im grünen-rot-regierten Baden-Württemberg, wo die Haftanstalten in Mannheim und Schwäbisch Gmünd Flüchtlinge mit aufnehmen, wird sich laut einem Sprecher noch „abgestimmt“. Alle drei Abschiebehäftling seien aber vorerst in Rheinland-Pfalz, im dortigen Abschiebegewahrsam in Ingelheim, untergebracht. Ebenso in Hessen, wo Abzuschiebende mit in der JVA Frankfurt am Main landen, will Schwarz-Grün das Urteil vorerst „sorgsam auswerten“, so Innenminister Peter Beuth (CDU). Im Thüringer Innenministerium sieht man ebenfalls „keine unmittelbaren Konsequenzen“. In dem Land werden Flüchtlinge mit der in der JVA Goldlauter untergebracht. Beide Ministerien wollen nun Kooperation mit anderen Ländern „ausloten“. Offen bleibt, wann Ergebnisse folgen. Die Länder beruhigen: Derzeit habe man ja gar keine Abschiebehäftlinge. Das aber ist nur eine momentane Aufnahme. Viele Flüchtlinge befinden sich nur kurzzeitig in Haft - bevor sie abgeschoben werden. Dies erfolgt meist in Einreiseländer, die ihre Asylverfahren nach den europäischen Dublin-II-Regeln übernehmen sollen. Die Zahlen können heute also schon wieder anders sein. Günter Burkhardt von Pro Asyl fordert deshalb die „sofortige Freilassung aller Abschiebehäftlinge“. „Da gibt es nichts zu prüfen“, so Burkhardt. Tatsächlich war das Urteil erwartbar. Schon 2010 legte die EU in einer Richtlinie fest, Abschiebehäftlinge nur noch in gesonderten Einrichtung unterzubringen. Einige Bundesländer schwenkten ein. Andere folgten erst zu Jahresbeginn, als der Bundesgerichtshof die Klage dem EuGH vorgelegt hatte. So ist seit Januar in Niedersachsen nun die JVA Langenhagen wieder reines Abschiebegefängnis. In Bayern werden seit Februar Flüchtlinge in der eigenen Anstalt in Mühldorf, nicht mehr in der JVA München-Stadekheim untergebracht. Ob dies nur vorteilhaft ist, bezweifelt ein Sprecher des Innenministeriums. Immerhin wären die zur Ausreise verpflichteten in Stadelheim weniger isoliert gewesen, hätten Zugang zu einer Bibliothek gehabt. Tatsächlich stehen auch die reinen Abschiebegefängnisse in der Kritik. Im brandenburgischen Eisenhüttenstadt etwa liegt dieses weit abgelegen an der polnischen Grenze, hinter hohen Gitterzäunen und direkt neben der Erstaufnahmestelle für eintreffende Asylbewerber. Mehrere Flüchtlinge begaben sich dort im letzten Jahr in den Hungerstreik, ein Mann erhängte sich. Die Zustände bezeichnet der Flüchtlingsrat als „Albtraum“. In Bremen, wo Flüchtlinge seit Jahren in einem Polizeigewahrsam untergebracht werden, gesteht selbst eine Sprecherin des Innensenators, die „gefühlte und erlebte Isolierung“ der Abschiebehäftlinge. Einige hätten gar wieder entlassen werden müssen, „da sie psychisch derart unter dieser Einzelhaft litten“. Pro Asyl Geschäftsführer Burkhardt stelle deshalb die Grundsatzfrage: „Warum werden Flüchtlinge überhaupt eingesperrt? Flucht ist kein Verbrechen.“ Burkhardt fordert, Abschiebehaft „generell abzuschaffen“. Auch Grünen-Fraktionssprecherin Katrin Göring-Eckhardt will ein Ende: Alternativ könne man etwa Meldeauflagen einführen. Tatsächlich gibt es in Sachsen, Saarland und Mecklenburg-Vorpommern bereits keine Abschiebehaft mehr, die Flüchtlinge werden in Einrichtung in benachbarten Ländern geschickt. Am Montag beschloss auch Hamburg, seine festgenommenen Flüchtlinge künftig nach Schleswig-Holstein, in die Abschiebeanstalt Rendsburg, zu schicken. Noch diese Woche sollen die beiden derzeitig betroffenen Männer überstellt werden. Laut nationaler Antifolterstelle, einen unabhängigen Verband, der deutsche Hafteinrichtungen prüft, wurden 2013 immerhin noch 4812 Flüchtlinge vor ihrer Abschiebung inhaftiert. Und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) arbeitet derzeit an einer Asylrechtsreform, die eine Inhaftierung von Flüchtlingen wieder erleichtert (siehe Interview). Dies, so heißt es in einem Entwurf des Gesetzes, könne erfolgen, wenn der Flüchtling „unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist“ ist, sich vor einer „polizeilichen Kontrolle verborgen“, über seinen Asylantrag „eindeutig unstimmigr Angaben gemacht“ oder Ausweispapiere vernichtet hat. Da Asylsuchende selten offiziell einreisen, könnte damit künftig fast nach Belieben Haft verordnet werden. Burkhardt von Pro Asyl warnt vor einem „gigantischen Inhaftierungsprogramm“. Zum EuGH-Urteil äußerte sich das Bundesinnenministerium zurückhalten. Man habe dieses zu Kenntnis genommen, sagte Sprecher Johannes Dimroth. Nun prüfe man „den sich hieraus ergebenden rechtlichen Umsetzungsbedarf“. Praktisch, so Dimroth, könnten nun „insbesondere“ die Länder reagieren. Wenn sie es denn täten.

„Bestehende Knäste müssten umgewidmet werden“

Reform   Künftig könnten Plätze in der Strafhaft fehlen, um mehr Flüchtlinge einsperren zu können, sagt Anwalt Hubert Heinhold

taz: Herr Heinhold, Bundesinnenminister Thomas de Maiziere plant ein neues Gesetz zur Abschiebehaft. Welche Folgen hätte das?

Hubert Heinhold: Die Regierung will die Abschiebehaft massiv ausweiten. Wenn ein Flüchtling aus einem anderen EU-Staat nach Deutschland kommt, kann Deutschland ihn unter bestimmten Umständen dorthin zurückschieben. Künftig soll in solchen Fällen grundsätzlich Fluchtgefahr angenommen werden. Dann könnten diese sogenannten Dublin-Flüchtlinge, bis Zurücküberstellung in einem anderen EU-Staat ins Gefängnis müssen. Das kann Monate dauern.

Die Abschiebehaftzahlen könnten sich dann verzehnfachen. Was würde das für die Behörden bedeuten?

Sie müssten die Kapazitäten enorm erweitern. Der europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in normalen Gefängnissen rechtswidrig ist. Die Behörden müssten also künftig bestehende Knäste in Abschiebeknäste umwidmen - so schnell neu zu bauen, ist unrealistisch. Weil Gefängnisse aber in der Regel überfüllt sind, würden in der Folge künftig noch mehr Plätze für Strafhaft fehlen.

Welche Unterschiede gibt es in der Praxis zwischen Strafhaft und Abschiebehaft?

Abschiebehäftlingen haben keine Straftat begangen, die Haft dient nur der Durchsetzung der Abschiebung. Die Häftlinge dürfen dort deshalb in der Regel jeden Tag Besuch empfangen, je 3 bis 4 Stunden vormittags und nachmittags. Sie können sich innerhalb des Knastes frei bewegen, die Zellen sind meist offen, es gibt keine Zwangsarbeit. In der Strafhaft sind die Bedingungen deutlich restriktiver.                                                    Interview: Christian Jakob

Hubert Heinhold                                                                                                                                                                          65, Rechtsanwalt in München, stellvertretender Vorsitzender von Pro Asyl des Bayerischen Flüchtlingsrates e.V.

Foto: privat
Abschiebehaft in Deutschland Aktuelle Haftzahlen Stand: Mitte Juli
Quellen: Landesinnenministerium

Asyl für Baden-Württemberg bietet der rheinland-pfälzische Abschiebeknast Ingelheim Foto: Tim Wegner/laif