10.09.2012

„Abschiebeknast ist rassistisch“

120 Menschen demonstrierten auf dem Boehringer Marktplatz und vor der Justizvollzugsanstalt

Von Frederik Grabbe

Büren. Viele junge Menschen haben sich am Samstag in Büren versammelt, um gegen die Abschiebehaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Büren zu demonstrieren. Mit Musik- und Wortbeiträgen unterstrichen sie ihre Forderung - und scheuten nicht davor zurück, der Politik harsche Vorwürfe zu machen.

Ganz voll ist der Marktplatz nicht. 120 Demonstranten haben sich nach Angaben der Polizei versammelt. Einige tragen Dreadlocks, haben gefärbte Haare, sind eher dunkel gekleidet. Sie haben beschriebene Banner mitgebracht: „Steter Tropfen höhlt den Stein. Abschiebehaft abschaffen“, „Grenzen auf für alle“, „Gegen Abschiebung. Unsere Wurzeln, wo wir wollen. Bleiberecht für Roma“ ist dort zu lesen. Zur Demo aufgerufen hatten verschiedene Initiativen aus OWL. Vom Marktplatz aus fuhren die Teilnehmer zu JVA.

Die Protestler sind meist jung und „eher dem linken Spektrum zuzuordnen“, sagt Michael Biermann von der Kreispolizeibehörde, der mit einigen Kollegen vertreten ist. Er betont die „harmonische Zusammenarbeit“ mit den Demonstranten. Dennoch: Eigentlich setzen sich hier Menschen für Menschen ein. Warum dann Polizei?

„Die Spur von Lichtenhagen führt unübersehbar nach Büren“, sagt einer der Initiatoren der Demo, Thomas Schrödter von der Paderborner Gruppe „Ausbrechen“. Nachdem in Rostock-Lichtenhagen 1992 ein Wohnheim für Asylbewerber von Neonazis in Brand gesteckt worden sei, habe sich das Asylrecht grundlegend verschlechtert. Insbesondere klagt er die „unwürdigen Bedingungen“ in der JVA Büren-Stöckerbusch an, die 1994 in eine Abschiebehaft umgebaut worden war. „Nazis morden“, sagt er in Anspielung auf Lichtenhagen, „der Staat schiebt ab. Das ist das gleiche Rassistenpack“, stellt er die politische Abschiebung mit den Neonazis-Morden gleich.

Detaillierter geht Frank Gockel von der Initiative „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ auf die Zustände in der JVA ein. Er berät mit seiner Gruppe Häftlinge in der Abschiebehaft. „Fast alle Haftbeschlüsse der Häftlinge, mit denen wir gesprochen haben, beinhalten Formfehler. Ein Drittel von ihnen ist unrechtmäßig in Haft. Sie sind in Vierer- und Sechser-Zellen untergebracht – 20 bis 22 Stunden am Tag, wenn sie nicht in der JVA arbeiten“, zählt er auf.

Die Liste der Klagen ist lang. Unter anderem dürften sie nur von Telefonzellen aus telefonieren, für einen Preis, der weit über dem gängigen Tarif liege. Gockel schildert den Fall des 19-jährigen Raschid Sbaai, der 1999 in einer Isolationszelle umgekommen ist. Er erstickte, weil eine Matratze Feuer fing. Als die Wärter kamen, war Raschid schon tot (die NW berichtete). Die Todesumstände wurden nach Angaben der Gruppe „Ausbrechen“ nie aufgeklärt. Kommt es letztlich zur Abschiebung, „werden Familien getrennt, Menschen zurück in Not und Elend und zu ihren Folterknechten geschickt“, so Gockel.

Die Kritik ist eher ambivalent: Einige sehen in der Abschiebehaft eine humanitäre Katastrophe. Ihnen geht es darum zu helfen. Andere klagen den Staat an und vergleichen ihn mit einem neo-faschistischen System, sowie die Musik Gruppe „Lebenslaute“. Sie vergleichen die Praxis der Abschiebehaft mit faschistischen Methoden, ziehen Parallelen zum Dritten Reich. Und das geht deutlich zu weit.

 

Heizten ein: die Hip-Hop-Band „Les Refugees“ sang für Staaten ohne Grenzen. Foto: Frederik Grabbe