10.11.1995

Letztes Glied an einer Kette

Bielefelder Flüchtlingsrat besucht Justizvollzugsanstalt für abgelehnte Asylbewerber in Büren/Kritik an Abschiebeverfahren

Von Jörg Rinne

Bielefeld. Für Britta Jünemann ist die Sachlage eindeutig: „Die Abschiebepraxis in Deutschland ist ein undurchschaubares funktionierendes System.“ Undurchschaubar, weil die Öffentlichkeit über die oft skandalösen Praktiken der zuständigen Behörden keine Informationen bekomme; funktionierend, weil der Verwaltungsapparat vom ersten bis zum letzten Rat exakt aufeinander abgestimmt sei.

Die Aktivistin vom Bielefelder Flüchtlingsrat wollte sich selbst ein Bild über die Situation abgelehnter Asylbewerber in Abschiebehaft machen und besuchte deshalb zusammen mit vier weiteren Organisationsmitgliedern die Einrichtung in Büren. Die ehemalige belgische Kaserne dient bis zu 650 Ausländern als letzter Aufenthaltsort in Deutschland, bevor sie zwangsweise in ihre Heimatländer überführt werden. Derzeit leben 220 Häftlinge der abgelegenen Anlage mitten im Wald. „Die Flüchtlinge werden vor der Öffentlichkeit regelrecht weggeschlossen“, berichtet Jünemann. „Dabei muss man klarstellen, dass es sich dir nicht um straffällige Menschen handelt.“ Die Verweildauer in den Vier-bis Sechs-Bett Zellen……………… Monaten liegen, in der Praxis werden in Härtefällen bis zu einem Jahr daraus. „Die Haft dient nur dazu, den Behörden die geplante Abschiebung zu erleichtern“, kritisiert Jünemann den Freiheitsentzug. Durchschnittlich bleiben die Häftlinge 42 Tage in Büren, täglich bewacht von 35 Justizvollzugsangestellten und 50 privaten Sicherheitskräften, Freigang und leichte Arbeitsdienste eingeschlossen.

“Häftlinge stehen unter Druck

„Eines der größten Probleme ist die mangelnde Verfahrensberatung“, berichtet Flüchtlingsrat-Mitglied Jürgen Schultheiß. Folgeanträge für das Asylverfahren könnten oft nicht rechtzeitig gestellt werden, da Fristen mangels Aufklärung abgelaufen sein. Auch eine psychosoziale Betreuung findet trotz gegenteiliger Aussage der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei nur unzureichend statt.

„Die Abschiebehäftlinge stehen unter einem enormen psychischen Druck und haben oft Angst, in ihrem Heimatland wieder verfolgt zu werden“, macht Christian Stolze die Situation deutlich. Kommunikationsprobleme zwischen Aufpasser und Insassen würden die Lage zusätzlich verschärfen, denn Dolmetscher - oft für komplexe verwaltungspolitische Vorgänge benötigt - stünden nicht immer zur Verfügung.

Allein der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ kümmert sich intensiv um die in Not geratenen Flüchtlinge. „Die Initiative umfasst rund 70 Mitglieder, die schon 1500 Häftlinge beraten konnten“, berichtet Stolze.

Die Kritik der Bielefelder Flüchtlingshelfer richtet sich ausdrücklich nicht gegen die JVA-Bediensteten: „Sie sind das letzte Glied am Ende einer Kette“, erklärte Stolze. „Bei unserem Besuch haben wir festgestellt, dass sich viele Mitglieder des Bewachungspersonals isoliert und unwohl fühlen.“

Der Flüchtlingsrat fordert angesichts dieser Zustände eine rigorose Einschränkung der Abschiebehaft, da viele andere Möglichkeiten, wie z.B. eine polizeiliche Meldepflicht abgelehnter Asylbewerber, noch nicht ausgeschöpft seien. Gleichzeitig wollen die Mitglieder ein höheres Verantwortungsbewusstsein bei den einzelnen Behörden erreichen. „Es darf nicht sein, dass Justizvollzugsanstalten auf die zentralen Ausländerbehörden verweisen, die wiederum auf den Bund als Schuldigen verweisen“, meint Britta Jünnemann. „Am Ende wird es niemand gewesen sein.“

Die Justizvollzugsanstalt Büren hat Platz für rund 650 Abschiebehäftling Foto: Brüggemann