25.04.1995

„Ein Jahr im Knast kapier‘ ich nicht, bei den Behörden läuft was schief“

Was denken Büren über die Abschiebehaftanstalt? Die NW fragte vor Ort

Büren (fin). Den Abschiebeknast haben sie fast vor der Haustür, doch das Geschehen und die Schicksale hinter den Mauern von „Stöckerbusch“ erscheint vielen Bürenern schwer einsehbar. Mit dem, was sie wissen, ergreifen Sie dennoch Partei, wenn es um das Problem Abschiebehaft geht - wie die Meinungsumfrage der NEUEN WESTFÄLISCHEN zeigt. Nicht jeder aber mag mit seinem Namen und Foto öffentlich dazu stehen.

„Für Leute, die nicht straffällig geworden sind, ist es eine unheimliche Zumutung hinter Gitter gesteckt zu werden“, meint Elke Koch (31) und zählt dazu auch die Tatsache, dass einige Häftlinge auf ihre Abschiebung „so lange warten müssen“. Sie ist auch nicht damit einverstanden, „was für Personal auf die Leute losgelassen wird - ohne richtige Ausbildung“. Dass es einen Verein gibt, der sich um die Inhaftierten kümmert, findet die Krankengymnastin im Erziehungsurlaub „auf jeden Fall gut: Die versuchen, was möglich ist, zu tun“. In so einer Gruppe mitzuarbeiten könnt ihr wohl auch passieren, „wenn ich mal ein privates Schicksal mitbekommen würde“.

„Mein Fall wär so ein Verein nicht“, meint ein 37-jähriger Elektriker aus Siddinghausen, der mit seinem Namen allerdings nicht in der Zeitung erscheinen möchte. Politisch Verfolgte würde er in Deutschland aufnehmen wollen - er denkt aber, dass unter den Abschiebehäftlingen „viele Wirtschaftsflüchtlinge“ sind. Für die solle man das Geld nicht in Haftanstalten stecken, sondern in Entwicklungshilfe.

„Undurchschaubar“ erscheint Franz Huhmann das Geflecht der Abschiebehaft. Unter den Häftlingen könnten „hochanständige Leute“ ebenso sein wie andere, die glauben, „hier das Paradies zu finden“. „Wenn wir sie nicht haben wollen“, meint der 72-jährige Brenkener, müssten die Abschiebungen „schneller und höflicher“ durchgeführt werden. Als Normalbürger wisse man aber nicht, was für Typen in der JVA untergebracht sein: „Wenn die Matratzen anzünden, kann ich mir nicht vorstellen, dass die anständig sind.“

Auch „nicht ganz aufgeklärt“ fühlt sich Marie-Luise Stolte: „es sollen Straffällige sein, aber das stimmt ja gar nicht.“ Wenn jemand nicht innerhalb von vier Wochen abgeschoben werden könne, müsse derjenige ihrer Auffassung zufolge eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. „Ein Jahr im Knast, das kapier‘ ich nicht, sagt die 58jährige Bürenerin. „Bei den Behörden läuft da was schief.“ Sie versucht, sich in einen Betroffenen hineinzudenken: „Ich würde nicht ins Ausland gehen, wenn ich nicht wüsste, dass alles in Ordnung wäre - aber die sind ja oft hierher gelockt worden.“ Schwarze Schafe gebe es natürlich auch unter denen. „Bei den meisten ist aber schon Not dahinter.“ Dass sich die Situation in der JVA zuspitzt, überrascht sie nicht: „Die Menschen machen sich Hoffnungen - und die Nerven gehen denen dann durch.“

“ Wenn es uns gut geht, können wir auch anderen helfen

Ludmilla Dickmann zählt zu den Russlanddeutschen in Büren und hilft häufiger als Übersetzerin in der JVA. Sie kennt solche und solche Abschiebehäftlinge. „Ein Russe kam her, um ein besseres Leben zu suchen“, bringt die 38-jährige ein Beispiel. „Georgier und Armenier aber brauchen Hilfe.“ Aus ihrer eigenen Verwandtschaft kennt die Neu-Bürenerin Fälle von politischen Aussonderungen. Dagegen setzt sie die Möglichkeiten der Deutschen: „Wenn es uns gut geht, können wir auch anderen helfen, die Hilfe brauchen.“

Die 18-jährige Silke aus Hegensdorf hält Abschiebehaftanstalt für notwendig: „Sonst könnten die untertauchen.“ Von einem Bekannten, der in der JVA arbeitet, hat sie gehört, dass viele nicht zurück in ihrer Heimat wollen und deswegen auch keine Papiere haben würden.

Christian Finger (19) kann verstehen, dass die Häftlinge gegen die Einsperrung revoltierten: „Aber ich glaube nicht, dass die ihr Ziel damit erreichen.“ Sein Freund Philipp Gröne (20) aus Geseke denkt dagegen,“ die haben gar keine andere Möglichkeit“ als solch eine Meuterei - „man muss ja irgendwas machen.“

 

Christian Finger (links): Manche wegen einer Banalität verhaftet, andere zu recht.“ - Philipp Gröne (rechts): „Manche meinen, denen in der JVA würd‘s gut gehen.“ Foto: Finke
Ludmilla Dickmann: „Politische Aussonderung in der Verwandtschaft erlebt.“
Marie-Luise Stolte: „Bei den meisten ist schon Not dahinter. - Sie tun mir Leid, wenn es keine Kriminellen sind.
Elke Koch: „Für nicht straffällig Gewordene eine unheimliche Zumutung hinter Gittern.“