03.04.1995

Die Haftanstalt Büren gilt als „vorzeige Knast“

Reportage

300 Flüchtlinge warten auf ihre Abschiebung - „Dies ist kein Hotel, aber auch kein Exerziervollzug“

Von Andreas Böhmer

Büren. Durch die Asylrechtsänderung von 1993 haben Abschiebehaftanstalten in der Bundesrepublik eine zentrale Rolle bekommen. Über 95 Prozent der Inhaftierten haben nichts Kriminelles begangen, werden oft aber wie Strafgefangene behandelt. Immer wieder kommt es daher zu Gewaltaktionen oder Selbstmorden. Der größte NRW- „Abschiebeknast“ steht in Büren.

Die Mauer scheint unüberwindlich. Mitten in einem Waldstück bei Büren, 20 Kilometer von Paderborn entfernt, erhebt sich der sechs Meter hohe Betonwall, der die Abschiebehaftanstalt umschließt.

Wo früher belgische Soldaten lebten, warten derzeit rund 300 Männer aus 50 Nationen auf die Abschiebung, hinter Gittern, aber nicht im Strafvollzug. „Die meisten sind unschuldig“, gibt selbst Anstaltsleiter Peter Möller zu. Sie sind illegal eingereiste Flüchtlinge, einige haben Asylanträge unter falschen Namen gestellt oder sich lediglich im Dickicht des Ausländerrechts verheddert.

Wie der Kurde, der mit einer Deutschen verheiratet ist, sich jedoch nach Ehestreitigkeiten von ihr getrennt hat. Mit der Trennung erlosch automatisch die Aufenthaltsgenehmigung.

Laut Statistik sitzen die Männer im Schnitt 36 Tage in Büren. Was nichts über Einzelschicksale sagt. Denn viele bleiben über ein Jahr. „Manche arbeiten nicht mit den Behörden zusammen, weil sie Angst haben, nach Hause zurückkehren zu müssen“, berichtet Möller. Oft ist die Angst nicht unbegründet: Wie bei dem Chinesen, der an den Studentendemonstrationen in Peking 1989 beteiligt war, dessen Asylantrag aber abgelehnt wurde - für seine Beteiligung konnte er keine Zeugen beibringen.

„Lieber arbeiten als in der Zelle sitzen“

Andere wollen zwar ausreisen, sind aber in ihrer Heimat nicht willkommen. So kämpfen zahlreiche Algerier, Libanesen und Marokkaner mit dem Manko, dass kriminelle Schlepper ihnen den Pass abgenommen haben. „Mit der Ausstellung von Papieren tun sich die ausländischen Behörden schwer“, weiß Möller und fügt hinzu: „Warum auch immer, die Leute sind zu lange hier.“

Dabei haben sie noch Glück im Unglück. Büren ist im Vergleich zu anderen Abschiebehaftanstalten eine moderne Einrichtung und derzeit nicht einmal zur Hälfte belegt - quasi ein Vorzeigeknast. Dennoch gibt es Probleme, denn viel Abwechslung wird nicht geboten: Freigaben, Umschluss, Bücher, Fernsehen und ab und zu Besuch. Einige dürfen auch arbeiten hinter Gittern.

Jasvir und Jat Singh gehören zu Ihnen. Sie sortieren Kleidung in der Wäschekammer. „Das ist besser als in der Zelle zu sitzen“, sagen sie. „Denn dort ist es langweilig.“ Aus Langeweile wird häufig Frust manchmal Verzweiflung. Beides entlädt sich nicht nur gegen Mobiliar und Wächter, sondern auch gegen die Betroffenen selbst. Immer wieder bringen sich verzweifelte Häftlinge in der Zelle um.

In Büren ist es so weit bisher zum Glück nicht gekommen, an Versuchen hat es aber nicht gemangelt. Besonders gefährdete Männer kommen in einem Videoüberwachten Haftraum im Keller - besonders gefährliche auch. „Länger als einige Stunden bleibt aber niemand da drin“, versichert Möller.

Vor Selbstverstümmelungen kann auch dieser Haftraum nicht schützen. „Statistisch gesehen passiert das einmal in der Woche“, berichtet Möller und spricht verharmlosend von „Schnippeleien“. Der ernste Hintergrund solcher Aktion ist ihm aber sehr wohl bewusst: „Damit wollen die Männer auf sich aufmerksam machen.“ Deshalb ermahnt der Anstaltsleiter sein Wachpersonal, die Insassen „gerecht und menschlich“ zu behandeln. „Das ist kein Hotel hier, aber wir brauchen auch keinen strengen Exerziervollzug.“

Von außen fehlt es der JVA und Unterstützung. Bislang kämpfte Möller vergeblich um Sozialarbeiter. Auch Wohlfahrtsverbände und Kirchen halten sich bedeckt, wenn es um Häftlingsbetreuung geht. Möller: „Das ist keine Arbeit, für die es Anerkennung gibt.“

„Unser Ruf ist hier nicht der beste“

Privater Verein kümmert sich um die „Schüblinge“

Büren. (a.b.) Kurz nachdem die Abschiebehaftanstalt in Büren im Jahr 1994 ihren Betrieb aufnahm, gründete sich dort der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft.“

Rund 30 Mitglieder hat der Verein heute. Knapp die Hälfte von ihnen betreut Häftlinge in der Anstalt. Auf vielfältige Weise: Wer noch kein Asyl beantragt hat oder wessen Antrag fehlerhaft behandelt wurde, erhält Rechtshilfe. Ist an der Abschiebung nicht mehr zu rütteln, wird versucht, die Haft der Betroffenen zu verkürzen.

Einige Betreuer sind fast täglich in der Anstalt. Ein- bis zweimal in der Woche treffen sie sich zum Erfahrungsaustausch. „Manchmal“, so die Vereinsvorsitzende Irene Blumenthal, „ist das schon eine enorme seelische und körperliche Belastung.“ Die nicht von jedem gewürdigt wird: „Unser Ruf in Büren ist nicht der beste.“ Vielen Anwohnern sei die Arbeit des Vereins suspekt, zumindest gleichgültig. „Die wollen gar nicht wissen, was hinter den Mauern vorgeht.“

Hinter den Gittern wird das Angebot dagegen gut angenommen. „Vor Weihnachten hatten wir rund 50 Anfragen pro Woche“, erinnert sich die Vorsitzende. „Insgesamt suchen rund zwei Drittel der Inhaftierten unseren Rat.“

Die meisten haben ihn bitter nötig. „Viele können gar nicht verstehen, warum sie ein glich eingeliefert wurden.“ Ein Anwalt kann sich kaum einer leisten. „Die Männer haben kein Geld, sie besitzen oft nur die Kleider, die sie am Leibe tragen.“

Die Zusammenarbeit mit der Anstalt, so Frau Blumenthal, sei „im Großen und Ganzen gut“. Kritik übt sie an der mangelnden sozialen Betreuung, die bisher überwiegend vom Gefängnispersonal bewältigt werden muss. Das gelingt nach Ansicht der Vorsitzende nicht immer. „Viele leisten mehr, als er Dienst verlangt. Aber manche sind nicht genügend geschult. Die Wachleute wechseln auch zu oft.“

In mehr als 70 Fällen erfolgreich

umso mehr freut sie sich über jeden Chiplink, den der Verein frei bekommt. Über 70 waren es im vergangenen Jahr. Zu den meisten bricht der Kontakt nach der Entlassung ab. Für Irene Blumenthal verständlich: „auch wenn wir den Leuten geholfen haben, sind wir für Sie doch untrennbar mit dem Gefängnisaufenthalt verbunden. Unter diese Zeit erinnert sich niemand gerne.“

Spenden an den Verein sind bei der Sparkasse Paderborn (BLZ 472501 01) unter Kto.-Nr. 5000 1593 möglich.

 

Am Ende droht den meisten die Abschiebung in die Länder, wo sie verfolgt wurden: Flüchtlinge beim Abtransport auf dem Frankfurter Flughafen. (Fotos: AP (1), Böhme (1))
Abschiebegefängnis in Büren.