19.01.1995

Kanarienvögel im Bürener Abschiebeknast

Interview mit Anstaltsleiter Möller

Im Januar 1994 wurden die Türen der Abschiebehaftanstalt „Stöckerbusch“ in Büren zum ersten Mal für Flüchtlinge aus der ganzen Welt geöffnet, bzw. geschlossen. Mittlerweile befinden sich dort ca. 200 Personen hinter Gitter.

Der Abschiebeknast gelangte immer wieder in die Presse. So lehnten sich im April 94 etwa 50 Gefangene gegen die Haftbedingungen und gegen die lange Dauer ihre Abschiebehaft auf, in dem sie nach einem einstündigen Hofgang die Rückkehr in die Zellen verweigerten. Die immer wieder zunichte gemachte Hoffnung der Gefangenen auf einen kurzen Knastaufenthalt und die Tatsache, dass kaum einer der Flüchtlinge eine Straftat begangen hat und dennoch eingesperrt wird zerren an den Nerven der Gefangenen.

So kommt es immer wieder zu Widerstand und Auflehnung gegen den Abschiebeknast. Nahezu jeden Tag nimmt einer der Abschiebehäftlinge eine Selbstverletzung vor und müssen Gefangene in ein Krankenhaus eingeliefert werden. In letzter Zeit wurde von Gefangenen berichtet, dass sie brutal gefesselt werden.

 Entsetzen rief der Leiter der Abschiebehaftanstalt Büren Peter Möller bei Teilen der Bevölkerung hervor, weil er in einem Interview (NW neun 20.12.1994) die Situation der Gefangenen Flüchtlinge mit dem eines Kanarienvogel verglich. „Ein geliebter Kanarienvogel wird ja auch in einen Käfig gesperrt und Häftlinge werden eingesperrt, damit sie nicht weglaufen“. Weiterhin erklärte der Leiter, dass Flüchtlinge aus „politischen und materiellem Unwohlsein, Abenteuerlust, klinikkrimineller Energie“ nach Deutschland kommen. Diese Aussagen fielen in einem Interview mit der 10ten Klasse des Bürener Mauritiusgymnasiums. M. W. Littfinski, evangelischer Seelsorger der JVA Hövelhof und Büren fand die Aussagen von Herrn Müller zwar unglücklich gewählt, bekräftigte aber in einem Leserbrief, dass alle die Möller kennen, wissen, „dass ihm das wohl gerade dieser Menschen am Herzen liegt und dass er diese seine Haltung von jedem Arbeiter in seinem von ihm zu verantwortenden Vollzugsbereich auch erwartet.“ Littfinnski kritisierte außerdem die Forderung der Bundestagsabgeordneten Simone Probst, dass das Interview mit Herrn Müller dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen solle.

Möller als auch Littfinski betonen, dass es den Flüchtlingen in der Bürener Abschiebehaftanstalt besser gehe als in normalen Strafanstalten, bzw. als in dem Internierungslager anderer Länder. Was sie vergaßen zu erwähnen: den Flüchtling geht es erheblich schlechter als denen, die einen deutschen Pass besitzen. Sie werden ihrer Freiheit beraubt und von der deutschen Bevölkerung als Schmarotzer beschimpft, weil sie in den Genuss von Fernseher, Essen, Arzt und Psychologen kommen. Und das zwar nicht freiwillig, aber dafür kostenlos; „sie nutzen uns aus. Sie liegen uns auf der Tasche“, so Möller. Der Vergleich zwischen Alltagsleben der deutschen weißen Bevölkerung und den Flüchtlingen wird nicht gezogen, würde er doch demonstrieren, dass mit zwei Maßstäben gemessen wird. Das Problem des „auf der Tasche liegens“ wäre so einfach zu lösen: Die Abschaffung von Abschiebehaftanstalten, das Recht von Flüchtlingen auf ein uneingeschränktes Bleiberecht und auf die Arbeitsmöglichkeiten nach tariflicher Bezahlung. Aber für diese Lösung scheint es kein Interesse zu geben.

Littwinskis Einwand „nicht der Leiter einer JVA, hier Herr Peter Möller, hat die Unterbringung der abgelehnten Asylbewerber zu verantworten, sondern die Politiker in Düsseldorf und Bonn“ ist nicht von der Hand zu  die vorher weisend. Die vorherrschende Meinung in der Bevölkerung spielt jedoch bei der Durchsetzung von Deutschlands Politikern eine Rolle. Möllers Behauptung darüber, warum Flüchtlinge nach Deutschland kommen, ignoriert auf arrogante Weise die katastrophalen Verhältnisse in anderen Ländern und dass Menschen flüchten mussten, weil ihre nackte Existenz gefährdet wurde. Er bagatellisiert Fluchtgründe als „Unwohlsein“ und verschweigt, dass Kriege und Menschenrechtsverletzungen, Menschen zur Flucht zwingen.

Der Abschiebeknast wurde vom Bürener Stadtrat lieber in Kauf genommen als ein Flüchtlingsheim. Die Begründung für die Bevorzugung der Haftanstalt war, dass Flüchtlinge hinter Gittern wenigstens nicht frei in der Stadt herumlaufen können. Diese und ähnliche Denkweisen  sind rassistisch, weil sie das Recht von Menschen ohne deutschen Pass auf unversehrtes Leben massiv untergraben. So wird die ausländerfeindliche Politik in Deutschland unterstützt und stabilisiert.

 

Schwarze Sheriffs

Bestrafung als Marktlücke

Der Abschiebeknast in Büren wird von Fachleuten eines Sicherheitsunternehmens kontrolliert, nämlich der „Kötter Verwaltungsdienstleistungen GmbH & Co.KG“ Essen. Was daran so ungewöhnlich ist: Die Inhaftierung ist Vollzug staatlicher Gewalt und das Gewaltmonopol liegt schließlich in den Händen des Staates. Aber in Zeiten allgemeiner Privatisierung dürfen nun neben den Schergen der Justiz auch Schwarze Privat-Sheriffs Gewalt gegen Flüchtlinge ausüben, wenn sie sie zusammen mit einem staatlichen Justizbezugsbeamten ihren Dienst erledigen. Nun stellt sich die Frage, warum Privatunternehmen statt der staatlichen Beamten für diese Dienste eingesetzt werden. Dieser erste Schritt zur Privatisierung von Haftanstalten, wie es in den USA längst üblich ist, bedeutet eine Reduzierung der Kosten für den Staat. Während Kötter Menschen für 30 DM brutto vermietet, so die taz vom 9.1.1995 würde kein Justizbeamte für diesen Betrag“ sein Frühstücksbrot ein- und schon gar nicht auswirken.“ Und die Reduzierung von Beamten bedeutet gleichzeitig die Reduzierung von gesicherten Arbeitsplätzen und Rentenansprüchen durch den Staat. Die Wahrung der Arbeitsplätze liegt damit einmal mehr in kapitalistischer Unternehmerhand. Denn wenn wenige Personen inhaftiert werden, werden weniger Arbeitskräfte benötigt. Und Angestellte sind leichter zu entlasten als Beamte. Ein zweiter Schritt zur Privatisierung von Knästen ist der Bau von Hafteinrichtungen von Privatunternehmen. Die Firma Rohloff Mobilheimbau GmbH aus Duisburg ist bereits eine der ersten deutschen Spezialunternehmen für den Bau von Hafteinrichtungen. Von dieser neuen „Gefängnisbranche“ erhoffen sich private Unternehmen ein gelungenes Geschäft und winken dem Staat mit der angeblichen Schaffung von Arbeitsplätzen. Auch nordamerikanische Unternehmen haben die Marktlücke in Deutschland entdeckt. Die „Prison Corporation of Amerika“ aus Washington verspricht bereits den Justizverwaltungen der Länder: „Wir helfen Landesregierungen in Deutschland, um der auch in Zukunft steigenden Wachstumsrate der Kriminalität und besonders der Gewaltverbrechen, der Jugend- und Kinderkriminalität auch nur einigermaßen gewachsen zu sein. …“

Bei solchen Versprechungen hilft nur noch Zynismus: Schafft Tausende von Abschiebeknästen und lasst eure Kinder einsperren, denn wir brauchen die Bestrafung von Menschen zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Vom Staat wird die Schaffung und die langfristige Erhaltung von Arbeitsplätzen und angemessenen Löhne gefordert, nicht die Förderung des Profits der Unternehmer durch Ausbeutung. Und schon gar nicht die Förderung von Profit, die die Inhaftierung von Menschen als Interesse hat.

 

Demonstration gegen das Abschiebegefängnis in Büren vom 29.5.94