21.09.2010

Aus der Abschiebehaft zu Elite-Uni

Wechselfälle des Lebens des in Löhne groß gewordenen Memet Demir

Von Jürgen Nierste

Löhne. Sein Fall sorgte 2001 in der ganzen Bundesrepublik für Schlagzeilen. Der damals 18-jährige Kurde Memet Demir, Schüler an der Löhne Berthold-Brecht-Gesamtschule, sollte abgeschoben werden. Das Herforder Ausländeramt steckte ihn in Abschiebehaft nach Büren. In letzter Sekunde verhinderte das Oberverwaltungsgericht Münster seine Ausweisung. Nun hat die Geschichte ein vorläufiges Happy End: Demir beginnt am 1. Oktober ein Medizinstudium.

Teils albtraumhaft, teils märchenhaft - so empfindet der junge Mann seine eigene Geschichte. „Erst der jahrelange Kampf mit dem Ausländeramt - und dann, als ich tatsächlich eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung hatte, kamen die Neonazis“, erzählt der heute 25-jährige.

Erst waren es Anrufe und Beschimpfungen, dann wurde er im Asylbewerberheim zusammengeschlagen. „Die Polizei hat mir das damals erst nicht geglaubt. „Neonazis gibt‘s in Löhne gar nicht“, haben die Beamten gesagt.“ In gewissem Sinne stimmte das wohl auch, denn Memet Demir hatte den Eindruck, dass die Schlägertypen aus dem näheren Umkreis nach Löhne angereist waren. Er trug eine blutende Kopfwunde davon.

„Das gipfelte schließlich in einem Brandanschlag auf unser Zimmer. Die Typen haben ein Molotowcocktail geworfen“, so Demir. Die Polizei nahm ihm aber auch diese Darstellung nicht ab und schloss einen „fremdenfeindlichen Hintergrund“ schließlich sogar aus.

Memet Demir selbst hat jedoch keinerlei Zweifel, dass hier Neonazis am Werk waren. Deshalb suchte er sich nach dem Abitur, dass er 2004 an der Berthold-Brecht-Gesamtschule ablegte, so schnell wie möglich einen Wohnsitz weiter weg von Löhne, „damit die Neonazis mich nicht finden“. Erfolglos. Auch im Kreis Lippe erhielt er schon nach kurzer Zeit wieder Anrufe. Demir wechselte schleunigst noch einmal den Wohnsitz.

Dass er angesichts all dieser Umstände überhaupt das Abitur und ab 2005 seine Ausbildung zum Krankenpfleger schaffte, das hat schon einen Anflug von Unwirklichkeit. „All diese Widerstände spornten mich immer nur an“, sagt er, „ich werde dann besonders ehrgeizig und will es denen zeigen, dass ich besser bin und mehr im Kopf habe als diese Menschen.“

Demir wollte schon immer Arzt werden. Zur Ausbildung als Krankenpfleger entschloss er sich, weil sie ihm bei seiner Studienplatzbewerbung angerechnet wird. „In der zehnten Jahrgangsstufe war ich Klassenbester mit einem Schnitt von 1,0. Aber nach all dem Behördenkrieg, Ausweisungsdrohungen und Abschiebehaft habe ich das Abi nur mit 2,5 geschafft.“ Er wollte jedoch unbedingt an eine sehr gute Uni - und das hat er ja auch geschafft. Am 1. Oktober beginnt sein erstes Semester an einer der angesehensten Medizinfakultäten Deutschlands.

„Bei der Einführungsveranstaltung hat uns der Dekan beglückwünscht: „Ihr seid die Elite, ihr habt es geschafft, bei uns angenommen zu werden.“ Über diese Äußerung muss er einerseits lächeln, sagt Memet Demir, den elitär fühlt er sich wirklich nicht - angesichts dessen, was ihm alles widerfahren ist. „Aber ich gebe trotzdem zu, dass so eine Aussage natürlich auch ein Stück Befriedigung für mich ist“, räumt er ein.

Hinter Gittern: Mehmet Demir im April 2002 in Abschiebehaft in Büren. Seine Chancen auf Bleiberecht schienen gleich null. Foto: NW-Archiv
Memet Demir heute: Optimistisch zum Auftakt seines Medizinstudiums. Bis heute aber lebt er auch mit einem Belastungstrauma. Foto: Jürgen Nierste