11.05.2007

Ein Leben im Versteck

Die Geschichte einer Flucht: Frank Gockel engagiert sich gegen rechts, jetzt fürchtet er um sein Leben

Der Träger des Aachener Friedenspreises ist nicht ängstlich, aber die Bedrohung zermürbt ihn.  Von Detlef Schmalenberg

Es ist kurz vor 23 Uhr, als Frank Gockel nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt. Vormittags hat er Asylbewerber beraten, am Abend ein Seminar zum Thema Bleiberecht gegeben. Jetzt noch auf dem Sofa ein Bierchen zischen und dann ab ins Bett, denkt Gockel. Er will gerade sein Auto vor der Haustür einparken, als das Handy klingelt. - „Wir machen euch platt“, sagt eine ruhig klingende Männerstimme. „Dich und deinen Kumpel“. Dann wird aufgelegt.

Die Anführer sind hochgradig militant Verfassungsschutz

Gockel ist Träger des renommierten Aachener Friedenspreises. Stellvertretend für die rund 50 Mitglieder des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ hat er die Auszeichnung in Empfang genommen. Mehr als 10.000 Flüchtlinge hat die Organisation, deren Vorsitzender er ist, seit 1994 betreut. Menschen, die nichts Verbotenes getan haben, inhaftiert im bundesweit größten Abschiebeknast. Die eingesperrt werden, weil ihnen unterstellt wird, sie würden in die Illegalität untertauchen, bevor sie Deutschland verlassen müssen.

Drohungen sind nichts Neues für Gockel. Kaum war im vergangenen Jahr bekannt geworden, dass sein Verein ausgezeichnet wurde, kamen Anrufe. Beschimpfungen, obszönes Zeugs. Seine E-Mail-Adresse wurde mit rechtsradikalen Spam-E-Mails bombardiert. Damals sagt Gockel, habe er die Drohungen nicht ernst genommen. Die Spinner, die anriefen, seien meist betrunken gewesen. Die lassen nur Dampf ab, aber machen nichts, dachte er. Und diesmal?

„Diesmal ist es anders“, sagt der 36-jährige und schweigt für Sekunden. Ein Mann wie ein Baum, 1,95 Meter groß, jetzt sieht er aus wie ein verunsichertes Kind. Gockel glaubt, den Anrufer vom 29. März an der Stimme erkannt zu haben: Das sei ein Neonazi gewesen, einer der führenden Köpfe der „Nationalen Offensive Schaumburg“ (NOS).

Die NOS, die im Internet bestreitet, Gockel bedroht zu haben, ist ein Sammelbecken für gewaltbereite Rechtsextremisten. Die Anführer dieser Organisation sein „hochgradig militant“, betont eine Sprecherin des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Die rechtskräftigen Verurteilungen der „Kameraden“ gehen quer durchs Strafgesetzbuch: Volksverhetzung, räuberische Erpressung, Betrug, Urkundenfälschung, Diebstahl - und jede Menge brutale Körperverletzungen. Einer der NOS-Nazis hat einen politisch links stehenden Schüler in sein Auto gezerrt und entführt. Ein anderer hat als Jugendlicher seinem Nachbarn den Kehlkopf eingetreten, weil der sich mitten in der Nacht über zu laute Nazi-Musik beschwerte. Bei einem weiteren wurden während einer Hausdurchsuchung zwei Pistolen entdeckt, bei einem anderen eine selbst gebastelte Bombe, gefüllt mit Pulver, Kugeln und Rasierklingen.

„Das sind Leute, die sind unberechenbar“, sagt Gockel. Normalerweise ist er um keine Antwort verlegen. Aber unmittelbar nach dem Drohanruf hält er kurz die Luft an. „Was ist denn jetzt los?“, denkt er. Er braucht einen Moment, bis er kapiert hat, was gerade geschehen ist. Dann wendet er sein Auto und fährt zu dem Bekannten, den der Anrufer auch genannt hatte. Zur Verstärkung werden noch weitere politische Weggefährten herbeitelefoniert.

„Nur irgendwie ungeschoren durch die Nacht kommen“, denkt Gockel. Gemeinsam geht man gegen Mitternacht zur Polizei. Als die Beamten zusichern, verstärkt Streife zu fahren, traut Gockel sich wieder in die eigene Wohnung. „Passiert schon nichts“, versucht er sich zu beruhigen. Einschlafen kann er trotzdem nicht.

Gockel ist den Rechtsradikalen aus dem niedersächsischen Schaumburg in die Quere gekommen. Die hatten in Paderborn eine Demonstration angemeldet, angeblich um gegen „Kapitalismus, Ausbeutung und Arbeitslosigkeit“ zu protestieren. Der Friedenspreisträger hatte in Gegenveranstaltungen vor dem „getarnten Nazi-Aufmarsch“ und dem „braunen Gedankengut Anführungsstriche oben der Veranstalter gewarnt.

Ich weiß nicht, was ich tun soll                                                                                                            Frank Gockel

Schon am Tag vor dem Drohanruf seien ihm Männer aufgefallen, die morgens im Auto vor seinem Haus saßen, sagt Gockel. Die Typen habe er auf Fotos wiedererkannt, die bei Veranstaltung von NOS-Aktivisten gemacht worden waren. „Die sind nur neugierig, wollen wissen mit wem sie es zu tun haben“, dachte Gockel. „Lass dich nicht verrückt machen, die verschwinden schon wieder.“

Doch dann kam der Drohanruf. „Ist wohl besser, ich schlafe mal zwei, drei Nächte woanders“, entschied Gockel, bevor er am nächsten Morgen übernächtig zur Arbeit bei der „Flüchtlingshilfe Lippe“ fuhr. Er packte eine Reisetasche mit dem nötigsten und verschwand nach Dienstende zu Freunden.

„Es ist blanker Irrsinn, womit man sich in solchen Tagen ernsthaft beschäftigen muss“, sagt Gockel. Bei Bekannten aus der linken Szene hat er sich Ratschläge geholt. Soll ich mir eine Waffe besorgen? Ist CS-Gas sinnvoll? Wie verhalte ich mich, wenn jemand hinter mir her fährt? Oder wie erkennt man, ob am Auto etwas manipuliert wurde?

„Ich bin ein Mensch, der noch nie über so etwas nachgedacht hat“, sagt er und schüttelt den Kopf. Eigentlich wollte er sich nur ein paar Tage verstecken. Als er fast so weit war, zurück in die Wohnung zu gehen, klingelt bei Freunden das Telefon. „Gockel ist nicht mehr am Leben“, log der Anrufer: „Und mit euch machen wir bald das Gleiche.“

„Man muss erst mal lernen, dieser Belastung umzugehen“, sagt Gockel. Seit einigen Wochen ist er krankgeschrieben. Er ist zunehmend nervöser geworden, hat Schwierigkeiten, Gesprächen zu folgen. Aufmerksames Zuhören aber sei gerade in seinem Job außerordentlich wichtig, betont er.

Ob er sein Engagement gegen rechts jetzt bereut? „Nein“, sagt er entschlossen. Es ist wohl die Gewissheit, für seine Überzeugung eintreten zu müssen, die den Friedenspreisträger dazu gebracht hat sich auch in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Aufgewachsen in einem erzkonservativen Haushalt hatte er zunächst Physik und Informatik studiert. „Im Zimmer sitzen und Formen pauken, das kann doch nicht alles sein“, dachte er. Als Gockel, vermittelt durch einen Bekannten, im Sommer 1996 das erste Mal im Abschiebeknast im westfälischen Büren stand, sei ihm klar geworden: „Hier geschieht Unrecht. Von da an setzte er sich für die Inhaftierten ein. An der Uni stieg er zum stellvertretenden Asta-Vorsitzenden auf, sein Informatikstudium interessierte ihn schon lange nicht mehr. „Ich habe Familien gesehen, die hatten keinen Pfennig mehr zum Leben“, sagt Gockel. Wenn er von seiner Arbeit als Flüchtlingshelfer erzählt, scheint er die eigene Bedrohung zu vergessen.

Nach dem zweiten Anruf jedoch spitzte sich die Situation weiter zu. In Paderborn tauchen Plakate auf: Man müsse den antifaschistischen Gockel von der Straße fegen“, wurde darauf gefordert. Auf einer rechtsradikalen Internetseite wurde um „sachdienliche Hinweise zum Verbleib“ des Untergetauchten gebeten. Mit der Anmerkung, vielleicht sei er ja an diesem Ort „erreichbar und diskussionswillig“, wurde die Adresse seines Arbeitgebers veröffentlicht. Bei der Hühnerzucht „dreht man jungen Gockeln gleich den Hals um bzw. vergaß sie“, hieß es zynisch. „Ich darf mir jetzt von denen nicht das komplette Leben diktieren lassen“, sagt Gockel. Die Staatsanwaltschaft ermittelt zwar. Doch es scheint äußerst fraglich, ob Beweise für die Anrufer gefunden werden. Die Polizei kann nur verstärkte Streifenfahrten anbieten, sobald er in seine Wohnung zurückkehrt. Mehr nicht.

Bei aller Vorsicht müsse er jetzt aufpassen, kein Verfolgungswahn zu entwickeln, sagt Gockel. Wie es weitergehen soll? Bald schon wolle er wieder arbeiten. Und wann schläft er wieder zu Hause? „Ehrlich gesagt, weiß ich noch nicht, was ich tun soll“, sagt er - und jetzt sieht er wieder aus wie ein hilfloser, kleiner Junge.

Anrufe und Hass-Plakate - Frank Gockel fühlt sich massiv bedroht. Seine Wohnung hat er lange nicht mehr gesehen Bild: Grünert