15.12.2006

„Abschiebehäftlingen gelten als Menschen zweiter Klasse“

NRW will Bürener Abschiebeknast auch für andere Gefangene öffnen. Medizinische Versorgung schon jetzt katastrophal. Gespräch mit Frank Gockel

Die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) will künftig auch Menschen, die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen müssen, im Bürener Abschiebeknast unterbringen. Sie lehnen das ab. Warum?

Die Inhaftierung von Menschen, die eingesperrt werden, weil sie kein Geld haben, um nach Kleinstdelikten wie beispielsweise Schwarzfahren Geldstrafen zu bezahlen, wird die Situation im Büren für alle Beteiligten verschlechtern. Schon jetzt liegt die Inhaftierung von Abschiebehäftlingen weit unter den Standards, die einzufordern wären. Für die Abschiebehäftlinge bedeuten die Pläne der Justizministerin, dass es weniger Freizeit, weniger Besuchsangebote und weniger freiwillige Arbeitsmöglichkeiten geben wird. Außerdem befürchten wir eine Zunahme rassistisch geprägte Auseinandersetzung.

Nachdem Häftlinge der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg kürzlich einen Mitgefangenen so schwer misshandelt haben, dass er an den Folgen starb, wird verstärkt über die Situation in bundesdeutschen Gefängnissen debattiert. Die Lage von Abschiebehäftlingen wird aber nicht thematisiert. Woran liegt das?

Abschiebehäftlinge sind in Nordrhein-Westfalen schon immer Häftlinge zweiter Klasse gewesen. Als am 1. Juli 1998 ein Inhaftierter der JVA Büren von einem Mithäftling umgebracht wurde, interessiert das kaum jemanden. Obwohl auch damals ein klares Verschulden des Personals vorlag, dass dem psychisch schwer kranken Täter zusammen mit einem anderen Gefangenen eine Zelle gesteckt hat. Konsequenzen wurden jedoch nie gezogen. In der JVA Büren wird viel unternommen, um möglichst wenig an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. So wird beispielsweise der Beirat der JVA nicht, wie üblich, vom Kreistag gewählt, sondern vom Anstaltsleiter ausgesucht. Gefangenenmitbestimmung wird seit eh und je unterdrückt.

Wie viele Häftlinge sind in Büren interniert? Wie ist ihre Situation?

Momentan befinden sich zwischen 200 und 250 Abschiebehäftlinge in Büren. Die JVA ist weit entfernt von dem, was eigentlich als Standard zu fordern wäre. Allein die medizinische Versorgung ist katastrophal. So arbeitet in Büren ein Arzt, dem die Ärztekammer wegen seiner Unfähigkeit untersagt hat, Gutachten für Ausländerbehörden anzufertigen. Zahnmedizin gestaltet sich in der JVA auch sehr simpel: Entweder Schmerzen aushalten oder Zahn ziehen. Zahnerhaltende Maßnahmen gelten schlicht und ergreifend als zu teuer.

Über die Hälfte der Sicherheitskräfte im Bürener Knast wird von privaten Firmen gestellt. Welche Auswirkungen hat das auf die Lebenssituation der Inhaftierten?

Acht Euro Stundenlohn, teilweise 60 Stunden die Woche, kaum Ausbildung und sobald ein anderer Anbieter billiger ist, wird ausgetauscht. Das sind die Rahmenbedingungen eines großen Teils des Personals. Wenn gesagt wird, dass über 50 Prozent der Schließer von privaten Sicherheitsdiensten gestellt würde, ist das aber nur ein Teil der Wahrheit. Da die wenigen Beamten schnell in leitende Funktion kommen, sehen die Gefangenen fast nur die privaten Sicherheitsdienste.

Hat sich die Situation der Internierten unter der Regierungskoalition von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen verändert?

Bisher kaum. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf (FDP) hat seine Versprechen aus Oppositionszeit nicht eingehalten, keine Kinder und Jugendlichen mehr zu Inhaftierten. Doch nun dreht sich das Blatt auch insgesamt. Nach dem Skandal in Siegburg klebt NRW Justizministerin Müller-Piepenkötter an ihrem Sessel und unternimmt alles, um möglichst schnell Lösungen präsentieren zu können. Was aus den Menschen wird, die sie wie Autos auf Parkplätzen zwischen den einzelnen Gefängnissen verschiebt, interessiert sie nicht.

Interview: Markus Bernhardt

www.gegenabschiebehaft.de

Frank Gockel ist Sprecher des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.