20.10.2006

„Wir sind ein Provisorium“

In der Abschiebehaftanstalt: 200 Männer aus über 50 Ländern hinter Mauern

Von Ralf Mischer

Büren. Die Spätsommersonne scheint strahlend auf den Parkplatz vor der Abschiebehaftanstalt. Ihre Mauern werfen lange Schatten, als vier junge Männer aus ihren Auto steigen, sich vor dem Gebäude versammeln und kurz auf die Uhr schauen. Die jungen Leute warten auf den Chef der Jungen Union im Kreis Paderborn, Michael Köster.

Indes steigt auf Frank Gockel, Vorsitzender des Vereins „Hilfe für Menschen Abschiebehaft“, aus seinem Wagen und wünscht einen „Guten Tag“. „Ich muss mich um die Menschen kümmern“, sagt Gockel, der in diesem Jahr, stellvertretend für den Büren der Verein „Hilfe für Menschen Abschiebehaft“, den Aachener Friedenspreis entgegennahm (die NW berichtete). Mit Kapazitäten für 530 Flüchtlinge zählt die Bürener Abschiebehaftanstalt zu einer der größten in der gesamten Bundesrepublik.

Mit hellem Anzug und breitem Lächeln steigt Michael Köster aus dem dunklen Wagen und schüttelt den Kollegen der JU-Ortsvereine Büren und bei Wünnenberg die Hand. „Schön, dass so viele gekommen sind“, sagt er und geht zum Eingang, wo der stellvertretende Anstaltsleiter, Franz-Josef Schumacher, schon auf die Jungpolitiker wartet. „Ssss“, gleitet das elektrische Schleusentor zum Haupteingang des Abschiebegefängnisses leise auf. Aktuell sitzen 200 Männer hinter den Mauern, die durchschnittliche Verweildauer beträgt 50 Tage.

Jetzt schließt sich die Schleuse hinter der Besuchergruppe mit einem leisen Summen, im Innenhof lacht die Sonne. „Die Gebäude und das Gelände waren eigentlich nicht als Justizvollzugsanstalt geplant“, sagt Schumacher. „Wir sind keine Modellhaftanstalt, wir sind ein Provisorium“, stellt er fest. Seit dem Frühjahr rollen in der Haftanstalt daher auch die Bagger.

Anstaltsleiter Strohmeyer: „Wir bauen aus“

Wir „Bauen aus“, weiß Anstaltsleiter Volker Strohmeyer. Auf einer zusätzlichen Fläche von                                      2,5 Hektar soll in zwei Monaten eine Arbeitsstelle bezugsfertig sein, eine Technikhalle sei bereits fertiggestellt. Schumacher vornweg, erreicht die Gruppe den Besucherraum. Dort sitzen zehn Häftlinge an runden Tischen. An einem davon hockt ein junger Mann mit dunklem Haar, neben ihm ein älterer Herr und Frank Gockel, eine Aktenmappe vor sich auf dem Tisch.

„Wir haben hier acht Vollzeitkräfte, die sich rund um die Uhr um die Menschen und ihre Probleme kümmern“, sagt Schumacher. Indes wälzt Gockel in seinem Aktenordner, gestikuliert mit den Armen. „Wie ist das mit der Versorgung, besteht für Muslime die Möglichkeit, während des Ramadan nachts zu essen?“, Fragt Michael Köster.

Zurzeit befinden sich männliche Inhaftierte aus über 50 verschiedenen Ländern in der Anstalt. Weibliche Abschiebehäftlinge wird es in Büren auch weiterhin nicht geben. Das Ministerium habe in einem entsprechenden Schreiben einer Unterbringung der Frauen aus der Neusser Abschiebehaftanstalt eine Absage erteilt, so der Anstaltsleiter. Im Flur einer Station dringt Popmusik durch die Lautsprecher.

„Manchmal kommt es zu Selbstverletzungen“, sagt Schumacher. „Die Leute wollen, damit auf irgendetwas hinweisen, oder sie sind, was aber eher selten vorkommt, hoch verzweifelt“. Einige Schritte weiter, das Licht fällt nur schwach durch ein Milchglasfenster. In der Anstaltsbibliothek hängt ein Plakat an der Wand: „Bücher öffnen Welten“. Als es auf dem Rückweg zur Schleuse am Sportplatz vorbeigeht, spielen einige Männer Fußball. „Ausreisen, ausreisen, ausreisen!“, Ruft einer den Besuchern zu. Niemand reagiert.

„Egal, wie man zur politischen Abschiebepraxis steht, unter gegebenen Voraussetzungen werden hier gute Bedingungen geschaffen“, bilanziert schließlich der JU-Chef. Anschließend fahren die Jungpolitiker in eine Gaststätte, um den Abend ausklingen zu lassen. Im November steht ein Besuch des Flughafens Paderborn/Lippstadt auf ihrer Agenda.

Frauen bleiben in Neuss

Das NRW-Justizministerium bestätigt auf Anfrage, dass einer Zusammenlegung der Neusser Abschiebehaftanstalt für Frauen mit dem Bürener Abschiebegefängnis inzwischen die Absage erteilt wurde. Logistische Erwägung hätten dazu geführt, dass man über eine Zusammenlegung der beiden Abschiebehaftanstalten nachgedacht habe. Die Bürener Anstalt verfüge über Überkapazitäten und hätte die Frauen aus Neuss aufnehmen können. Doch Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter hätte sich anders entschieden. „Wir können dort nur mutmaßen, aber vermutlich, war die gute Betreuung in Neuss ausschlaggebend dafür, dass die Frau nun nicht nach Büren kommen“, sagt ein Ministeriumssprecher gegenüber der Neuen Westfälischen. (rm)

Fußball hinter Gittern: Genau 80 Minuten Freizeit stehen den Abschiebehäftlingen pro Tag zur Verfügung. Der Sport im Außenbereich gehört bei vielen zu den beliebtesten Beschäftigungen. Foto: Ralf Mischer