05.09.2006

Gegen organisierte Unmenschlichkeit

„Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ erhält Aachener Friedenspreis

Von Elmar Klevers

Seit 1988 zeichnet der „Aachener Friedenspreis e.V. Menschen und Organisationen aus, die - oft allein und meistens ohne jede Unterstützung, aber von ihrem Ziel überzeugt - gegen schreiende Ungerechtigkeit von unten her angehen und sich für Frieden einsetzen. Der Aachener Verein hat sich einen Satz von Dorothee Sölle zum Beurteilungsmaßstab gemacht: „Es gibt Dinge, die musst du tun, damit du überhaupt ein Mensch bleibst“.

Mit der Preisverleihung an den Verein „Hilfe für Menschen Abschiebehaft Büren“ wollte der Aachener Verein ein Zeichen setzen, dass Krieg nicht nur verletzt und tötet, sondern auch Flüchtlinge produziert, denen in unserem Land geholfen werden muss. Er wollte auch ein Zeichen dafür setzen, dass wir vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte eine besondere Verantwortung für Flüchtlinge und Asylsuchende haben - gegen eine immer rigoroser und unmenschlicher werdende Abschiebepolitik und gegen eine Flüchtlingspolitik, für die das Abschieben von Flüchtlingen wichtiger ist als der Schutz dieser Menschen.

Entstehung, Wirkung und Zusammenarbeit des Vereins

Nach dem „Asylkompromiss „im Bundestag 1993 mit der Verschärfung der Asylgesetze und der beschleunigten Abschiebung wurde im Raum Paderborn die Errichtung eines Abschiebegefängnisses diskutiert. Man einigte sich auf Büren und den Umbau der dort stehenden leeren belgischen Kaserne. Der Stadtrat von Büren begrüßte die Einrichtung des mit sechs Meter hohen Betonmauern und Stacheldraht versehenen Gefängnisses etwa zehn km vom Ortskern entfernt, weil man sich dadurch einerseits Arbeitsplätze versprach, weil die handwerklichen Betriebe Absatzmöglichkeiten sahen und weil durch die Entfernung vom Ort und durch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen keine Gefährdung der Anwohner bestand. Die Zustimmung der überwiegend katholischen Bevölkerung war gegeben. Das so entstandene Gefängnis ist zurzeit für 560 männliche Abschiebe-„Häftlinge“ eingerichtet. Ein Abschiebegefängnis für Frauen befindet sich in Neuss und hat 80 Plätze.

Nach dem Bekanntwerden der Baupläne und dem Baubeginn 1994 fanden sich aber auch BürgerInnens in Paderborn Umgebung zusammen, die Abschiebehaft für etwas halten, dass dem Wesen unseres Rechtsstaates widerspricht, und so kam es 1994 zur Gründung des Vereins. Seit zwölf Jahren besuchen die Vereinsmitglieder Abschiebehäftlinge. Sie versuchen, den Häftling mit ihren Anliegen Gehör nach außen zu verschaffen, sie ein Stück aus der Isolation herauszuholen und sie auch in dem Bewusstsein zu bestärken, dass ihnen Unrecht widerfährt. Der Verein legt Wert darauf, dass er parteiisch ist und vertritt die Auffassung, dass ein Staat, der von sich behauptet, ein Rechtsstaat zu sein, nicht zu solchen Mitteln greifen darf und Menschen, die keine Straftat begangen haben, nicht bis zu 18 Monaten in ein Gefängnis einsperren darf, wobei die „Häftlinge“ ihr gesamtes Hab und Gut abgeben müssen und in Anstaltskleidung gesteckt werden. Eventuell bei Ihnen gefundene Geldmittel werden eingezogen und für die Kosten des Aufenthalts verwandt.

Sprachrohr der Häftlinge

Der Verein versteht sich als Sprachrohr der Häftlinge. Bei den Besuchen der Häftlinge sind zunächst die Gespräche und intensives zuhören das Wichtigste. Dabei gilt es, Vertrauen zu gewinnen und ihnen klarzumachen, dass es auch Deutsche gibt, die Verständnis für ihre Anliegen haben. Die schwierigste Aufgabe des Vereins ist, rechtliche Unterstützung zu organisieren. Mittlerweile haben sich einige Rechtsanwälte bereit erklärt, die „Häftlinge“ bei Gericht zu vertreten. Der Erfolg dieser Arbeit lässt sich beziffern: Zwischen 10 und 20 Prozent der „Fälle“ werden positiv entschieden. Dabei ist innerhalb des Gerichtswesens ein Gefälle festzustellen. Richter der ersten Instanz entscheiden nur ganz selten zugunsten der Antragsteller. Der Verein leistet Lese- und Schreibhilfen bei Amts- oder Gerichtschreiben; er informiert Freunde und Bekannte des Insassen über den Aufenthaltsort und informiert über die Besuchszeiten und er beschafft die persönlichen Sachen aus der letzten Unterkunft.

Die von Abschiebung bedrohten kommen aus den unterschiedlichsten Verhältnissen. Ein Beispiel ist der 19-jährige Mann, der in Deutschland geboren ist, der Kindergarten, Grundschule und Realschule erfolgreich durchlaufen hat, der aber in seiner Freizeit mit deutschen Freunden gehascht hat. Deshalb wurde er nach Marokko abgeschoben - das Land seiner Eltern - dass er noch nie gesehen hatte. Man fragt sich: Wohin wurden seine deutschen Freunde abgeschoben?

Der Verein ist inzwischen von der Anstaltsleitung anerkannt und respektiert. Zurzeit verhandelt er darüber, dass im Gefängnis Telefonzellen errichtet und im Gesundheitswesen Änderung vorgenommen werden. Über die Tätigkeit deutscher Ärzte in diesem Zusammenhang hört man nicht viel Gutes. Und auch die Gutachter am bisherigen Aufenthaltsort erstellen häufig nicht zutreffende Gutachten, erfährt man im Gespräch mit Vereinsmitgliedern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der Öffentlichkeitsarbeit: Pressearbeit, viele Gespräche mit Menschen vor Ort und mit Politikern sollen das Bewusstsein in der Umgebung verbessern.

„Pro Asyl“: „Deutschland wird Abschiebe-Weltmeister“

An einer Presse- und Medienkonferenz zum Auftakt der Preisverleihung nahmen Uta Kempen, stellvertretende Vorsitzende des Aachener Friedenspreises teil, dazu Heiko Hoffmann, Sprecher von „Pro Asyl“ und Preisträger 2001, Ottmar Steinbicker, Vorsitzender des AFP, Frank Gockel und Regine Jäger vom Vorstand des Vereins „Hilfe für Menschen Abschiebehaft Büren e.V.“.

Heiko Hoffmann von „Pro Asyl“ sprach die Glückwünsche seiner Organisation aus und betonte die enge Zusammenarbeit mit den Freunden in Büren. Er sagte unter anderem: „Die gegenwärtige Praxis der Abschiebehaft und die Bedingungen ihrer Durchführung in Deutschland verstoßen gegen die Menschenwürde. Nach der Auffassung von „Pro Asyl“ ist die Vollzugspraxis verfassungswidrig; verfassungswidrig sind auch die Dauer der Haft und die eingeschränkte Prüfung durch die Haftrichterinnen und -Richter. Abschiebehaft ist keine Ausnahme, sondern wird immer mehr zum Regelfall und für Flüchtlinge in Deutschland zur Endstation. Abschiebehaft in der gegenwärtigen Form ist eine Missbildung, ein Monstrum des Rechtsstaates und der Rechtsstaatlichkeit.

Abschiebehaftanstalten haben sich zu den abgelegensten und finstersten Orten der Demokratie entwickelt. Die Todesfälle in Abschiebehaft belegen das schwerwiegende Versagen der verantwortlichen Politiker und der Behörden. „Gesetzlose“ Gesetze und Erlasse schaffen ein System und eine institutionelle Struktur organisierter Unmenschlichkeit und Verantwortungslosigkeit, in der die Würde von Flüchtlingen antastbar, ihre Freiheit verletzlich und ihre Gleichheit anfechtbar wird.

Zwischen dem hehren Anspruch auf eine humane Politik in einer humanen Gesellschaft und ihrer Wirklichkeit klafft eine Lücke, in welche die Politik zunehmend rassistische Praktiken geschoben hat, den System der Abschiebehaft ihren restriktiven Ausdruck findet. Mit Erschütterung nehmen wir zur Kenntnis, dass seit 1993 über 120 Menschen in Abschiebehaft oder aus Angst vor Abschiebung in den Tod getrieben wurden, darunter mindestens sechs minderjährige Flüchtlinge. Einen öffentlichen Aufschrei hat es nicht gegeben. Strukturelle und institutionelle Ungleichheiten, die zu unterschiedlichen Formen rassistischer Diskriminierung führen, verletzen nicht nur die Menschenrechte und die Würde der Betroffenen; sie sind der Nährboden für Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremer Gewalt.

Lassen Sie mich Ihnen kurz die Zahlen der in den letzten fünf Jahren abgeschobenen Menschen nennen, damit sie unsere Aktion „Deutschland wird Abschiebe- Weltmeister“ besser verstehen können: 2002= 26.286 abgeschobenen Menschen                                                                                                                                                                                                                            2003= 23.944           „                                                                                                                                                                                                                                                                                     2004= 21.970           „                                                                                                                                                                                                                                                                                      2005= 16.865           „

Die Ablenkung der Massen in Deutschland durch die WM 2006 ist derartig groß, dass die Abschiebequote ohne Schwierigkeiten die 100.000 insgesamt leicht überspringen kann.“

Empfang im Rathaus

Oberbürgermeister Dr. Jürgen Linden empfing die Preisträger 2006 und die Vorstandsmitglieder des Friedenspreises im Rathaus zuteil. Als langjähriger Unterstützer betonte Linden in seiner kurzen Rede, dass er die Stadtverwaltung angewiesen hat, Flüchtlinge und Asylanten nach den Grundsätzen von Menschenrechten und Menschenwürde zu behandeln. Diese Weisung sei schon Jahre alt. Zugeben musste er, dass dieser Teil der Verwaltung nur Auftragsverwaltung ist und dass die rechtlichen Vorgaben aus der übergeordneten Ebene kommen. Dennoch könnten und würden in Aachen die oben genannten Grundsätze eingehalten. Beiläufig erwähnte der OB seine grundsätzliche Position gegen Rechts und seine entschiedene Ablehnung von Atomwaffen.

Bei der Preisverleihung in der historischen Aula Carolina wurde der musikalische Rahmen Mitgliedern von und mit Evelin Vedina Ditu und ihrer Combo gestaltet. Die Musiker sind Flüchtlinge aus der Demokratischen Republik Kongo.

Schriftliche Grußworte und Glückwünsche wurden von Roy Bourgeois (USA), Preisträger 2005, Nabila Espanioly (Israel), Preisträgerin 2003, der Ganztagshauptschule Aretzstraße in Aachen, Preisträger 2002, Bernhard Nols, ebenfalls Preisträger 2002, Angela Kruppa, Ordensleute für den Frieden, Preisträger 2003, Ehren Keskin, Türkei, Preisträgerin 2004, peace brigades international - Deutscher Zweig, Preisträger 1999 Uri Avneri (Israel), Preisträger 1997; KOMZI Rüstungsexporte, Preisträger 1992 und Jutta Dahl, Preisträgerin 1988 eingesandt und vorgetragen.

Das Grußwort der Stadt Aachen sprach die stellvertretende Vorsitzende des Hauptausschusses, Elisabeth Paul. Sie lobt das bürgerliche Engagement des Aachener Friedenspreispreises e.V.. Die Preisverleihung strahlte weit über Deutschland hinaus in die Welt. Sie berichtete über ein neues Integrationskonzept der Stadt, dass auch personell ausgestattet mit dem Migrationsrat eng zusammenarbeiten werde. In Aachen leben 40.000 Menschen aus 160 Staaten, deren Interessen so künftig besser wahrgenommen werden sollen.

Ansprachen

In seiner Festansprache hob der Vorsitzende des Aachener Friedenspreises dessen Grundsätze hervor (siehe NRhZ 59), auf deren Grundlage die Entscheidung für die Preisträger fallen. Der aktuelle Preisträger kämpfe mit seinen etwa 50 Mitgliedern „beharrlich, von unten und mit friedlichen Mitteln gegen Abschiebehaft und setzt sich zugleich sehr konkret für die betroffenen Menschen - die Häftlinge - ein. Seit seiner Gründung hat der Verein bereits rund 10.000 Abschiebehäftlinge in der Abschiebehaftanstalt Büren betreut. Wöchentlich leisten 12 ehrenamtliche Helfer rund 100 Beratungsstunden. Sie beraten, stellen Kontakte zu Anwälten her, begleiten Häftlinge auch zu Gerichtsverhandlung und vertreten ihre Interessen gegenüber der Anstaltsleitung.“

In einer Laudatio ging Günter Wallraff auf die Zustände in der Haftanstalt Büren ein und kritisierte sie massiv. Zitat: „Wird der gefangene Ausländer danach in den Zellentrakt der Abschiebehaftanstalt geführt, darf er einen letzten Blick auf ein Plakat werfen, das im Aufenthaltsraum hängt. Groß und bunt. Das Plakat eines bekannten deutschen Reiseveranstalters. Es zeigt eine Collage deutscher Landschaften und lachende Menschen. „Welcome in Germany“ steht auf dem Plakat. Zynismus?“

Scharf griff der Autor Gerichte und Ärzte an, die staatsdienliche Urteile und Gutachten verfassten, damit abgeschoben werden könne, selbst in Länder, wo gefoltert und gemordet wird. In seiner engagierten Anklage des deutschen Staates, aber auch der Staaten der EU, griff er auf die Erklärung der „Allgemeinen Menschenrechte“ der UNO von 1948 zurück, um das Abschiebe-Unrecht deutlich zu brandmarken.

Nach der Preisverleihung bedanken sich der Vorsitzende des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ Frank Gockel und seine Stellvertreterin und Mitgründerin Regine Jäger für die Ehrung. Gockel erläuterte noch einmal die Arbeit, die Schwierigkeiten und die abscheuliche Lage der Inhaftierten und appellierte an die Anwesenden, den Kampf dieses kleinen Vereins zu unterstützen und vor allem überall wachsam zu sein, wo die Menschenrechte und der Frieden in Gefahr sind. Zum Abschluss der Preisverleihung sang man gemeinsam Joan Baez Lied „We shall overcome“.

Über das Gefängnis in Büren und der die Aachener Friedenspreisträger 2006 berichtet der Film „Hinter Gittern“ aus dem Jahr 1995 in dieser er NRhZ-Ausgabe.

Kontakt: www.nrhz.de   info@nrhz.de

Verleiher und Träger des Aachener Friedenspreises Foto: Rita Grünewald
Zuhörer bei Preisverleihung und Laudazio in der Aula Carolina Foto: Rita Grünewald
Laudator Günter Wallraff kritisiert die Zustände in Büren Foto: Rita Grünewald