04.09.2006

Wallraff: „Ich bewundere Ihr Durchhaltevermögen“

Verleihung des Friedenspreises war geprägt von Offenheit und Herzlichkeit. Mitglieder von „Menschen in Abschiebehaft“ beeindruckt von Laudatio

Aachen/Büren. Frank Gockel atmet tief durch, dann erfüllt ein strahlendes Lachen sein ganzes Gesicht: „Ich bin total froh und hoffe, dass uns diese Öffentlichkeit ein enormes Stück nach vorne bringt“, sagt er und wirkt dabei irgendwie erleichtert. Hinter ihm liegen zwei bewegende Stunden in der Aachener Aula, Carolina.

Gemeinsam mit Regine Jäger hat er am Freitag stellvertretend für den Verein „Menschen in Abschiebehaft Büren“ den 19. Aachener Friedenspreis erhalten. Ottmar Steinbicker hatte als Friedenspreis-Vorsitzender einige Mühe, seine Ansprache zu beenden. Der Willkommensgruß an die Bürener Gäste „in der Gemeinschaft Aachener Friedenspreisträger“ ging im Beifall der mehreren 100 Besucher unter.

Der Bürener Verein befindet sich nunmehr in internationaler Gesellschaft. Im vergangenen Jahr hatten die Brecht-Tochter Hanne Hiob und der amerikanische Friedensaktivisten Roy Bourgois den Preis erhalten. „Man wird sich kennenlernen und hoffentlich auch gegenseitig unterstützen“, sieht Frank Gockel darin zugleich eine große Chance für die Zukunft des Vereins.

„Ich bekenne, dass ich Ihr Durchhaltevermögen bewundere“, zollte Günter Wallraff den Preisträgern seinen Respekt. Der Publizist und Schriftsteller beschrieb in seiner Laudatio die Erfolge der Bürener: So schaffe es der Verein, rund 20 Prozent der Abschiebehäftlinge aufgrund fragwürdiger Gerichtsentscheidung freizubekommen. „Jeder Freigelassene“, so Wallraff, „ist ein Sieg über diese Institution der Unmenschlichkeit“.

Gekonnt wechselte Wallraff in seiner Rede die Perspektiven. Durch eindringlich geschilderte Bilder und Schicksale ging ein ums andere Mal ein Raunen durch die Aula. Und er sparte nicht mit deutlichen Apellen: Die Abschiebegefängnisse seien „materialisiertes Unrecht, in Stein und Beton gegossener Hohn auf die Menschenrechte“, sagte Wallraff der in den 60er und 70er Jahren unter anderem durch seine „Industriereportagen“ bekannt geworden war.

Trotz der Einstimmigkeit der Anklagen war die Veranstaltung geprägt von Offenheit und Herzlichkeit. „Im Zeichen des Friedens“ bekam jeder Besucher am Eingang eine Nelke überreicht. In den historisch anmutenden Gemäuern der Aula saßen die Besucher umringt von romanischen Säulen und hörten nach der Preisverleihung auch die raumerfüllenden Worte von Frank Gockel.

Es sei unbegreiflich, in Deutschland weggesperrt zu werden, ohne eine Straftat verübt zu haben, äußerte er in der Dankesrede seinen Unmut über die deutsche Abschiebepraxis. „Wir wünschen uns eine Welt, in der jeder dort zu Hause sein darf, wo seine Füße stehen“, appellierte der Preisträger anschließend an die Zuhörer.

Mehrere Kamerateams und eine große Anzahl von Fotografen ließen die öffentliche Dimension des Preises erahnt. 18 Mitglieder des Bürener Vereins hatten Frank Gockel und Regina Jäger nach Aachen begleitet. Auch sie zeigten sich beeindruckt über den Respekt und die Aufmunterung, die ihn in Aachen entgegengebracht wurde. „An der Zustimmung der Menschen hier erkennt man: Das, was du hier machst, ist ja doch richtig“, sagte Peter Barthel, aktives Mitglied.  ari

Für Beitrag „von unten“

Der Aachener Friedenspreis wurde 1988 von 46 Einzelpersonen als Verein gegründet, um Frauen, Männer oder Gruppen zu würdigen und vorzustellen, die von „unten her“ dazu beigetragen haben, der Verständigung der Völker und der Menschen untereinander zu dienen sowie Feindbilder ab- und Vertrauen aufzubauen. Der Preis wird unabhängig von ideologischen, religiösen oder parteipolitischen Kriterien und unabhängig von sozialer oder nationaler Zugehörigkeit der Preisträger verliehen.

Der Aachener Friedenspreis wird jährlich zum Antikriegstag am 1. September verliehen. Heute gehören dem Aachener Friedenspreis e.V. fast 400 Mitglieder an, darunter ca. 350 Einzelpersonen, sowie ca. 50 Organisationen, darunter die Stadt Aachen, der regionale DGB, die katholischen Organisationen Misereor und Missio, der Ev. Kirchenkreis, zahlreiche weitere kirchliche Organisation, der SPD-Unterbezirk, der Kreisvorstand der Grünen, der AStA der RWTH-Aachen und weitere Gruppierung.

Die Justizvollzugsanstalt bei Büren ist mit 560 Betten die größte Abschiebehaft in Deutschland
„Jeder freigelassen ist ein Sieg über diese Institution der Unmenschlichkeit“. Günter Wallraff fand deutliche Worte für die Arbeit des Vereins „Hilfe für Menschen Abschiebehaft Büren“.
„We shall overcome“ bildete das Schlusslied der Verleihung des Aachener Friedenspreises. Ottmar Steinbicker (links) freut sich als Vorsitzender des Friedenspreisvereins den Preisträgern Regina Jäger (mitte) und Frank Gockel (rechts). Fotos: Rickmann