02.09.2006

„Widerrechtlich weggesperrt“

Aachener Friedenspreis geht an „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft“. Der Verein prangert unmenschlichen Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland an. Kritik an Politik der Abschottung.

Von unserem Redakteur Gerald Eimer

Aachen. Als unmenschlich und verfassungswidrig hat der neue Träger des Aachener Friedenspreis den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland und die deutsche Abschiebepraxis angeprangert. Dass Menschen weggesperrt werden, ohne eine Straftat verübt zu haben, sei staatliche Willkür, erklärten Regine Jäger und Frank Gockel vom Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft“ anlässlich der Preisverleihung gestern in Aachen.

Der 1994 gegründete Verein engagiert sich im bundesweit größten Abschiebegefängnis im westfälischen Büren bei Paderborn. Mit rund 50 Mitgliedern hat er seitdem etwa 10.000 Häftlinge betreut. Wir sind überzeugt, dass die Abschiebehaft dem Wesen eines Rechtsstaates widerspricht“, sagte Regine Jäger, Mitgründerin des Bürener Vereins. Eine Inhaftierung von bis zu 18 Monaten, wie sie im Aufenthaltsgesetz ermöglicht wird, verstoße gegen das Recht auf Freiheit und gegen das Gebot der Gleichbehandlung. „Als finstere Orte der Demokratie“ bezeichnete auch Heiko Kaufmann von Pro Asyl, Friedenspreisträger 2001, Abschiebehaftanstalten wie die in Büren. Sie seien „sinnbildliche Monumente der Festung Europa und sichtbarer Ausdruck einer Politik der Abwehr, der Abschottung und Abschreckung“. Der Aachener Friedenspreis wird traditionell am Antikriegstag, dem 1. September, an Menschen verliehen, die sich „von unten her“ für Frieden und Menschenrechte einsetzen. Mit der Auszeichnung sollte in diesem Jahr auch ein Zeichen gesetzt werden, „dass Krieg nicht nur verletzt, zerstört und tötet, sondern auch Flüchtlinge produziert, denen geholfen werden muss“, sagte Friedenspreis-Vorsitzender Ottmar Steinbicker.                               > Mehr dazu: Seite 2

 

 

„Die niederträchtige Straftat“

Rund 2000 Menschen landen jährlich im Bürener Abschiebeknast. Ein Verein kämpft seit Jahren gegen die „organisierte Unmenschlichkeit“.                                                                               Er wurde gestern mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.

Von unserem Redakteur Gerald Eimer

Aachen. Den WM-Werbespruch „Die Welt zu Gast bei Freunden“ sollten Hilfesuchende besser nicht wörtlich nehmen: Sie landen unter Umständen hinter sechs Meter hohen Mauern, Empfangen von Gefängniswärtern, die ihnen ihr Hab und Gut abnehmen. So ergeht es Jahr für Jahr rund 2000 Menschen in dem Bürener Gefängnis bei Paderborn. In einem der größten Abschiebeknäste Europas warten Sie dort oft monatelang auf dem unbestimmten Tag ihrer Abschiebung.

Unbegreiflich

„Sie wissen nicht, warum sie eingesperrt werden, sie haben keine Straftat begangen“, sagt Frank Gockel, „Sie begreifen das System nicht.“ Und er gibt zu, dass auch er es nicht begreift und oft ratlos ist. Gockel ist Flüchtlingsberater in Detmold und Bielefeld und engagiert sich seit mehr als zehn Jahren ehrenamtlich für den Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“, der gestern mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet worden ist.

Er und seine etwa 50 Mitstreiter haben zu tun mit schwer kriegstraumatisierten Menschen, die zurück in Krisengebieten gebracht werden sollen. Sie haben zu tun mit politischen Flüchtlingen und mit Kriegsdienstverweigerern, denen in ihrer Heimat Haft und Folter drohen. Sie haben auch zu tun mit sogenannten Armutsflüchtlingen, die im reichen Deutschland auf ein besseres Leben hoffen und nun wieder dahin zurück sollen, wo‘s Hunger und Armut gibt. Und manchmal haben sie sogar zu tun mit Kindern und Jugendlichen, die in ein Land abgeschoben werden soll, dass sie nie gesehen haben, weil sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.

Die seit 1993 verschärfte Abschiebepraxis in Deutschland verstoße gegen die Menschenwürde und sei verfassungswidrig, sind Flüchtlingshelfer überzeugt. „Ein Rechtsstaat darf solche Mittel nicht einsetzen“, sagt Regine Jäger, Mitgründerin und Vorsitzende des Bürener Vereins. Gemessen an den Grundsätzen einer rechtsstaatlichen Demokratie sei Abschiebehaft „die niederträchtigste und schändlichste Haftart“, urteilt “Pro Asyl“. Sie treffen nahezu ausschließlich Menschen, die nichts Strafbares begangen haben. Sie diene der Abschreckung und sei längst nicht mehr die Ausnahme, sondern der Regelfall für Flüchtlinge geworden.

Flüchtlingshelfer sprechen von einem „System der organisierten Unmenschlichkeit“, dass in der öffentlichen Debatte gleichwohl kaum jemanden berühre. Gesellschaftlich verdrängt wird auch, dass 49 Menschen in deutschen Abschiebegefängnis seit 1993 gestorben sind. 131 Menschen haben sich innerhalb und außerhalb der Gefängnisse aus Angst vor der Abschiebung das Leben genommen. Der Bürener Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Thema öffentlich zu machen. „Wir sind parteiisch und verstehen uns als Sprechrohr dieser Häftlinge“, sagt Regine Jäger.

In seiner Laudatio auf die Friedenspreisträger sagte der Enthüllungsautor Günter Wallraff über die Justizvollzugsanstalt in Büren: „Die Mauern dieses Gefängnisses müssen geschleift werden. Sie sind materialistisches Unrecht, in Stein und Beton gegossener Hohn auf die Menschenrechte.“

Frank Gockel und Regine Jäger nahmen gestern für den Verein „Hilfe für Menschen Abschiebehaft“ den Aachener Friedenspreis entgegen. Foto: Andreas Hermann