01.09.2006

Hohe Auszeichnung

Rüthener nimmt Aachener Friedenspreis für Hilfsverein in Empfang

Rüthen. Der renommierte Aachener Friedenspreis wurde gestern Abend an den Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ verliehen. Frank Gockel aus Rüthen, Vorsitzender der kleinen Gruppierung, nahm die Auszeichnung gemeinsam mit der Vorsitzenden Regine Jäger in Empfang. Der Preis ist gering dotiert, findet aber wegen seiner hohen Bedeutung weltweite Beachtung.

Rüthen/Hintergrund>

 

Friedenspreis ist „eine ungeheure Motivation“

Frank Gockel: Neue Aktive im Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft“. „Berichterstattung aus extremen Spektrum“ und stets gleiche Probleme

Büren. Es ist ein Zeichen für den Frieden, wenn der Verein „Aachener Friedenspreis“ am kommenden Freitag seine Auszeichnung vergibt. Darum ist auch das Datum der Preisvergabe mit Bedacht gewählt: Immer am 1. September, der Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 und heute Antikriegstag, erhalten eine Person und eine Institution die Auszeichnung. In diesem Jahr wird der Rüthener Frank Gockel in der „Aula Carolina“ in Aachen in den Mittelpunkt des Interesses treten. Als Vorsitzender des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.

Am 8. Mai diesen Jahres war bekannt gegeben worden, dass der Verein die prominente Auszeichnung erhalten soll (wir berichteten). „Seitdem hat sich viel geändert - zum positiven, aber leider auch zum negativen“, berichtete Gockel gestern im Gespräch mit der Redaktion. „Wir haben drei neue Mitglieder, vielleicht kommt noch ein viertes hinzu“, freut sich Gockel. Damit sind es                          16 Aktive, die in der Justizvollzugsanstalt bei Büren die Abschiebehäftling besuchen und sich für deren Interessen einsetzen. Diesem harten Kern zur Seite stehen weitere Helfer, 50 Mitglieder umfasst der Verein insgesamt. Seit 1994 hat sich die Truppe um mehr als 10.000 Abschiebehäftling gekümmert.

Positiv habe sich auch die umfangreiche Berichterstattung ausgewirkt. „Wir sind nicht mehr mit negativen Berichten zum Beispiel über Hungerstreiks oder Selbstmordversuchen in der Öffentlichkeit.“ Das öffentliche Interesse habe viel Aufklärungsarbeit zur Folge gehabt und sei gleichzeitig eine ungeheure Motivation für die Mitglieder. „Das ist was schönes, so eine Auszeichnung“, lacht Gockel.

Die Kehrseite der Medaille: „Es gab auch Berichterstattung aus dem rechtsextremen Spektrum“, so der Vorsitzende. In Internetforen und auch in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“, die vor einiger Zeit im Fokus des Verfassungsschutzes war, heißt es unmittelbar nach Bekanntgabe des diesjährigen Preisträgers in der Ausgabe vom 12. Mai: „Für Frank Gockel gehört Gewalt offensichtlich zum politischen Geschäft.“ In der Folge sei es „unangenehm, wenn solche Leute anrufen“.

Anfeindungen sei er gewohnt, sagt der 34-jährige. Aber dass er dieses Zitat „völlig unreflektiert“ von der Gewerkschaftszeitschrift „Der Vollzugsdienst“ vom Bund der Strafvollzugsbediensteten übernommen wurde, sei „mit Fragezeichen zu versehen“. Immerhin unterstütze das Land die Zeitschrift - „und das ist sehr negativ“.

In der Justizvollzugsanstalt Büren läuft indes die Arbeit ganz normal weiter. Sogar einige der Mitarbeiter hätten gratuliert, „nicht aber die Leitung, die hat uns komplett ignoriert“. Die Anstalt habe das Problem, stark im Rampenlicht zu stehen und sehe sich seit einiger Zeit mit Besuchen etlicher Fernsehteams konfrontiert. „Wir haben immer mit denselben Problemen zu kämpfen“, weiß der Rüthener. „Es dauert nun mal Jahre, wenn man an diesen Strukturen etwas ändern will“. Gleichwohl verfolgt der Verein den Traum, „dass der Gesetzgeber auf Abschiebehaft verzichtet“. Immer wieder müsse klargemacht werden, dass in Büren keine Straftäter eingesperrt sind, sondern Menschen für den Verwaltungsakt der Abschiebung verfügbar gehalten werden.

Die Festrede bei der Preisverleihung am Freitag in Aachen hält der durch seine gesellschaftlichen Enthüllungsreportagen bekannte Journalist und Publizist Günter Wallraff. Und noch jemand kommt zu Wort: Der 17-jährige Clinton Adewale Gbenga. Er war vom vergangenen November bis Januar als Minderjähriger in der Abschiebehaft. „Ich habe seine Vormundschaft übernommen“, gibt sich Frank Gockel bescheiden. Und fügt hinzu: „Im ausländerrechtlichen Bereich habe ich alles erlebt, was möglich ist.

Ausgezeichnetes Engagement

Aachener Friedenspreis für den Verein „Hilfe für Menschen Abschiebehaft“

Von Holger Spierig

Büren. Wenn Frank Gockel das größte deutsche Abschiebegefängnis besucht, kann nach all den Jahren immer noch der Ärger hochsteigen. Gerade hat er mit einem jungen Georgier gesprochen, der abgeschoben werden soll. Der geistig behinderte junge Mann, dessen Familie und Bekannte in Deutschland leben, ist auf Betreuung angewiesen. „Er kann sich allein nicht versorgen“, erklärt Gockel. Für Menschen wie ihn besorgt der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ Anwälte oder bringt Petitionen auf den Weg. Für den jahrelang ehrenamtlichen Einsatz hat der Verein am Freitag den Aachener Friedenspreis erhalten.

Das größte Problem ist die Perspektivlosigkeit

Das Angebot der Helfer reicht von juristischer Beratung bis zum gemeinsamen Kaffeetrinken. Der Verein will mit Lobbyarbeit und Aufklärung die Gefängnismauern transparenter machen. Manchmal helfen schon, sich Zeit zu nehmen und zuzuhören, sagt Gockel, der beruflich in Flüchtlingsberatungsstellen arbeitet.

Das hält auch der evangelische Pfarrer Burkhard Schmidt, der als Seelsorger in Büren arbeitet, für enorm wichtig. Das größte Problem der einsitzenden Menschen sei ihre Perspektivlosigkeit, klagt Schmidt. „Wie sich der Verein seit Jahren in aufopferungsvoller Weise für die Gefangenen einsetzt, ist bewundernswert.“ Mehr als 10.000 Menschen betreute der Verein seit seiner Gründung.

Derzeit besucht ein Dutzend der 50 Vereinsmitglieder einmal pro Woche das Abschiebegefängnis in Büren bei Paderborn - mit 560 Betten das größte seiner Art in Deutschland. Der Verein entstand 1994 unmittelbar nach der Errichtung des Abschiebeknasts“. Zwar habe sich seit Beginn manches an der Haftanstalt gebessert, räumt der Vereinsvorsitzende Gockel ein. Doch fast zwei Drittel der Haftbescheide, die er gelesen habe, seien fehlerhaft.

Der Verein kämpft seit über zehn Jahren mit friedlichen Mitteln für die Abschaffung der Abschiebehaft, heißt es in der Begründung des Aachener Friedenspreises für die Auszeichnung. Ihm sei es zu verdanken, dass in dem Gefängnis Telefonzellen installiert wurden. Auch daran, dass sich die Gefangenen in den Zellen besuchen können, habe er maßgeblichen Anteil. Zurzeit setzt sich der Verein dafür ein, dass Kinder und Jugendliche, die in Abschiebehaft sitzen, Schulunterricht erhalten.

Auch von der Anstaltsleitung wird die Arbeit geschätzt. „Die Preisvergabe freut uns“, sagte Leiter Volker Strohmeyer. Die ehrenamtlichen Helfer setzen sich mit Vehemenz für die Interessen der Menschen in Abschiebehaft ein. Es gebe allerdings hin und wieder auch Reibungspunkte.

Flüchtlingsorganisation heben das menschliche und fachkundige Engagement hervor. Die Ehrenamtlichen engagieren sich mit einem enormen Kraftaufwand für die betroffenen Menschen, sagt Volker Maria Hügel von der Härtefallkommission des Landes NRW. Nach Einschätzung des Flüchtlingsrats NRW wird die Arbeit des Vereins künftig noch wichtiger. „Die Abschiebepraxis geht mit unverminderter Härte weiter“, sagt Hans-Joachim Schwabe vom Vorstand des Flüchtlingsrats.

Bei Gockel, der sich seit zehn Jahren in dem Verein engagiert, lösen die Besuche in Büren noch immer ein Wechselbad der Gefühle aus. „Wenn Menschen, mit denen man über eine lange Zeit Kontakte aufgebaut hat, dann doch abgeschoben werden, ist das frustrierend“, sagt er. Immer öfter erlebe er außerdem, dass Flüchtlinge eingesperrt sein, bei denen feststehe, dass sie gar nicht abgeschoben werden können. „Das motiviert mich dann wieder“, sagt Gockel: „Das ist Unrecht, das muss öffentlich gemacht werden.“     epd

 

Der Aachener Friedenspreis

Der Aachener Friedenspreis wird seit 1988 an Menschen verliehen, die sich an der Basis für Frieden und Völkerverständigung einsetzen. „Wir wollen sie ehren, wenn sie Frieden gestiftet haben durch Gerechtigkeitssinn, Menschlichkeit, durch Gewaltlosigkeit, Zivilcourage, Tatkraft, Sachlichkeit und Herz“ heißt es in der Gründungserklärung. Erste Preisträger waren 1988 Superintendent Werner Sanß und Pfarrerin Jutta Dahl, die mit Sitzblockaden vor NATO-Stützpunkten gegen die Nachrüstung protestierten. Auch Pro Asyl, die Petersburger Soldatenmütter, die türkische Menschenrechtsanwältin Eren Keskin und Brecht-Tochter Hanne Hiob gehören zu den bereits geehrten. Der Aachener Friedenspreis wird getragen von 300 Einzelpersonen und über 50 verschiedenen kirchlichen, politischen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppierung. Die symbolisch mit 1000 Euro dotierte Auszeichnung wird stets am 1. September, dem Antikriegstag, verliehen.    epd

www.aachener-friedenspreis.de

Frank Gockel
Die Preisträger (von links): Angelika Stilow, Frank Gockel, Friedrich Wichmann und Regine Jäger vom Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“. Foto: dpa