01.12.2022

Ex-Straftäter soll Land verlassen - doch ganz so einfach ist der Fall nicht

Abdullohi S. soll abgeschoben werden. Er hat Straftaten begangen und unter falscher Identität gelebt. Einige Menschen setzt sich trotzdem für ihn ein.

Von Felix Guth

Ein 32-jähriger tadschikische Staatsbürger der seit zwölf Jahren in Dortmund lebtt, sitzt zurzeit in einem Abschiebegefängnis. Abdullohi S. ist am Morgen des 11. Dezember von Polizisten und Mitarbeitern des Ausländeramtes aus seiner Wohnung abgeholt und nach München gebracht worden.                                                                                                                                                                                                  Betrachtet man die rechtliche Ebene dieses Falls, erscheint er eindeutig. Abdullohi S. lebt seit 2009  in Deutschland.                                                                                                                                                    Er ist der Sohn eines Aktivisten der in Tadschikistan verbotenen „Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans“. Die Regierung in dem asiatischen Land unterdrückt religiöse und ethnische Minderheiten.

Urteil wegen Vergewaltigung

S. kam als junger Mann nach Deutschland - und hat in den ersten Jahren viele Fehler gemacht. 2012 ist er nach Information dieser Redaktion wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung nach Jugendstrafrecht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. 2014 arbeitete S. dann in einer Unterkunft für Geflüchtete in Burbach (Siegerland). Dort kam es zu Misshandlungen von Bewohnern - auch während einer Schicht, in der S. eingeteilt war. Eine Beteiligung an den Taten bestreitet er, sie wurde ihm auch nicht nachgewiesen. Er wurde - wie alle Mitarbeiter dieser Schicht - zu einer Geldstrafe verurteilt. Zudem wirft ihm die Dortmunder Ausländerbehörde „fehlende Mitwirkung bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung“ vor. S. hat nachweislich mehrere Jahre unter falscher Identität in Deutschland gelebt. Hintergrund dazu: Ein erheblicher Teil der in Deutschland ankommenden Geflüchteten verfügt aus unterschiedlichen Gründen nicht über gültige Ausweisdokumente. Die Annahme von falschen Identitäten ist ein illegal, aber dennoch nicht selten genutzter Weg, um eine Ausweisung hinauszuzögern. Seit 2014 sei S. als abgelehnter Asylbewerber „vollziehbar ausreisepflichtig“, teilt Stadtsprecher Maximilian Löchter auf Anfrage dieser Redaktion mit. Ein Asylfolgeverfahren seit 2017 als „unzulässig“ abgelehnt worden. Seine Duldung - ein offizieller Status, der einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in Deutschland ermöglicht - habe bis 2022 bestanden. „Er ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und entsprechend mehrfach rechtskräftig verurteilt. Diese Straftaten - in Verbindung mit seiner mehrjährigen Täuschung zu seiner Identität - stehen der Erteilung eines Bleiberechts nach den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes entgegen“, sagt Maximilian Löchter. Vorerst ist S. weiterhin in Deutschland.                                                                                                                                                                                 Eine „Abschiebemaßnahme“ am 12. Dezember (Dienstag) ist nach Angaben von Maximilian Löchter gescheitert. S. befindet sich in Abschiebehaft in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in Büren (Stand 14. Dezember). Nach Information dieser Redaktion hat S. sich bei dem Versuch, ihn in ein Flugzeug in die tadschikische Hauptstadt Dushanbe zu bringen, selbst verletzt. Er wurde deshalb in einer Klinik in München behandelt und ist mittlerweile zurück nach NRW gebracht worden.

Haft und Repression

Der weitere Ablauf ist derzeit offen. S. hat einen Anwalt zurate gezogen. Es gibt außerdem Menschen, die sich dafür einsetzen, dass er nicht nach Tadschikistan abgeschoben wird, weil ihm dort Haft und Repression drohen würden. Einer dieser Menschen ist die Dortmunderin Cornelia Suhan. Sie begleitet Abdullohi S., seit er mit 19 in Deutschland ankam, bei vielen formalen Dingen und in Lebensfragen.                                            „Ich bin auch der Meinung, dass er Fehler gemacht hat. Aber ich weiß auch, dass er ein aufrichtiger Mensch ist, der Unterstützung braucht“, sagt sie. Er sei „Familienvater und Ernährer“, sagt die Dortmunderin. Er hat zwei Söhne, ein und drei Jahre alt, S. habe, seit Sommer mit der Behörde kooperiert, sagt die Dortmunderin, „auch, wenn er da schon Angst vor einer Abschiebung hatte“. Die Stadt Dortmund bestätigt, dass S. Mittlerweile einen gültigen Pass unter echter Identität besitze. Der Fall von Abdullohi S. beschäftigt mittlerweile auch Menschenrechts-Aktivisten aus seinem Heimatland. Tadschikische Oppositionelle fordern auf Twitter „sofortiges Handeln“. Es bestehe die Gefahr von „Folter und Inhaftierung“. Vor vier Jahren hatte das Auswärtige Amt bereits die Abschiebung eines Oppositionspolitiker aus Tadschikistan kurzfristig gestoppt. Aus Sicht von Cornelia Suhan geht es um eine grundlegende Frage für das Demokratieverständnis eines Staates. „Ich finde es wichtig, dass auch Menschen wie er die Chance bekommen, sozialisiert zu werden.“   Prof. Dr. Ahmed Toprak, Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Dortmund mit Schwerpunkt auf Migrationsfragen betont: „Jeder muss sich seiner Handlungen und der Konsequenzen daraus bewusst sein.“ Aber erstellt auf die Frage: „Was macht man mit einem deutschen Straftäter, der nicht abgeschoben werden kann?“                                                                                                                                                                     Unabhängig von der juristischen Dimension des Falles verweist er auf die „ethnisch-moralische“ Betrachtung dieses Themas.                                                                                                                                         Nach dieser sei es überlegenswert, dass man Menschen in dem Land, in dem sie eine Straftat begehen, auch die Gelegenheit gibt, sich zu verbessern. Es gebe Handlungen, die objektiv nicht nachvollziehbar oder falsch sein, die aber „aus der Not heraus“ entstünden. „Man kann nicht einfach sagen: Selbst schuld und dann ist das ebenso“, sagt der FH-Professor. „Ein Ausländer wird zweimal bestraft: strafrechtlich und ausländerrechtlich durch die Abschiebung.“

Ein tadschikischer Staatsbürger (Mitte) steht kurz vor der Abschiebung. Er war in der Vergangenheit rechtskräftig verurteilt worden. Die Dortmunderin Cornelia Suhan setzt sich für ihn ein. Der Sozialwissenschaftler Ahmed Toprak schätzt die Situation ein.