01.09.2006

„Warum bin ich hier, was habe ich verbrochen?“

Meinung und Hintergrund

Der Verein „Hilfe für Menschen Abschiebehaft Büren“ erhält heute den Aachener Friedenspreis. Mancher muss noch nach 20 Jahren Duldung gehen.

Von unserem Redakteur Ralph Allgaier

Aachen. Was Frank Gockel nicht ruhen lässt, sind Schicksale wie die des 15-jährigen Nigerianers C., den Schlepperbanden nach Köln brachten und dort sich selbst überließen. Nach monatelangem orientierungslosem Leben auf der Straße landete der junge Mann in Abschiebehaft. Genauso wie jener minderjährige Pakistaner, der in seiner Heimat mit ansehen musste, wie man seinen Bruder tötete, und der daraufhin nach Deutschland floh. Auch er wurde hinter Gitter gebracht mit dem einzigen Ziel, ihn so schnell wie möglich wieder dorthin zu bringen, woher er gekommen war.

Gockel der als Vorsitzende des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ heute Abend den Aachener Friedenspreis entgegennehmen wird, begegnete diesen jungen Leuten im Gefängnis. Er und andere ehrenamtliche Helfer seines Vereins sind für die einsitzenden in der größten deutschen Abschiebehaftanstalt im westfälischen Büren oft wichtige Berater, nicht selten die einzigen echten Ansprechpartner. „Warum bin ich hier? Was habe ich verbrochen?“ Solche Fragen würden die Asylsuchenden besonders häufig stellen. Nach Darstellung Gockels werden Abschiebehäftlinge ähnlich rigoros behandelt wie gewöhnliche Kriminelle. Doch im Gegensatz zu letzteren hätten sie nicht einmal Anspruch auf einen Pflichtverteidiger.

Gockel, heute als Flüchtlingsberater in Detmold und Bielefeld tätig, hat inhaftierte Flüchtlinge schon während seines Studiums regelmäßig besucht. 15 bis 20 Stunden pro Woche investiert er neben dem Uni-Alltag, um die vor der Ausweisung stehenden Person zu unterstützen. „Als erstes muss man den Menschen meistens helfen, die sie betreffenden Behörden-Schriftstücke überhaupt zu verstehen“, sagt der gelernte Physiker und Informatiker. Ferner stelle er Kontakte zu Angehörigen, Freunden, Anwälten oder Ärzten her und sichere Habseligkeiten, die die Flüchtlinge in Asylunterkünften zurücklassen mussten. In 20 bis 25 Prozent der Fälle erreichte sein Verein, dass die Abschiebehaft, die theoretisch bis zu 18 Monate dauern kann, schnell zu Ende geht.

Gegen geltendes Recht

 So auch im Fall des erwähnten Nigerianers. „Bereits beim ersten Gespräch mit C. war klar, dass die Inhaftierung unrechtmäßig war und auch seine Unterbringung in Büren gegen geltendes Recht verstoßen hatte. Durch mehrere Interventionen wurde erreicht das C. innerhalb von acht Tagen freigelassen wurde“, heißt es in einem Bericht von Gockels Verein. Im Übrigen würden die Anträge auf Abschiebehaft in ihrer Mehrzahl fehlerhaft abgefasst. „Nur in 10 Prozent der Fälle wird eine weitere Person, der der Asylsuchende vertraut, über dem Beginn der Abschiebehaft informiert. Wer sich darüber hinwegsetzt, verstößt gegen das Grundgesetz Art. 104, Abs. 4“, rügt Gockel. Denn es sei von großer Bedeutung, dass Menschen nicht einfach verschwinden können, ohne dass es ihr Umfeld bemerkt.

Als Erfolg kann Gockels Organisation auch verbuchen, dass bereits 1995 die sogenannte „Schaukel-Fesselung“ von Asylsuchenden, die sich gegen ihre Haft wehren, abgeschafft wurde. Dabei wurden Arme und Beine der Häftlinge auf den Rücken zusammengebunden.

 

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Zudem werden derzeit keine Minderjährigen mehr im genannten Abschiebegefängnis untergebracht. Die Aachener Friedenspreisträger hatten nämlich die Auffassung vertreten, dass damit gegen die Schulpflicht der Betroffenen verstoßen werde. Seitdem habe es keine neuen Verhaftungen gegeben, berichtet Gockel, der seit langem dafür kämpft, dass Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention vollständig und nicht nur wie bisher unter Vorbehalt anerkennt. Denn die Konvention sehe vor, dass man erst mit 18 Jahren in Abschiebehaft genommen werden könne. Nach Darstellung Gockels sind seit Verabschiedung des sogenannten Asylkompromisses von 1993 deutlich mehr Menschen in Abschiebehaft genommen worden als zuvor. Ein Referentenentwurf der Bundesregierung von Anfang dieses Jahres sehe weitere Verschärfungen vor, heißt es seitens der Friedenspreisträger.

Gockel kritisiert, dass auch psychisch Erkrankte, Behinderte und schwangere Frauen nicht vor Abschiebehaft geschützt würden. Da nur noch vergleichsweise wenige Asylbewerber nach Deutschland kommen, widmeten sich die Ausländerbehörden zunehmend auch sogenannten Altfällen: Menschen oder ganzen Familie, die bisweilen mehr als 20 Jahre in Deutschland gelebt, aber nie über den Status „Geduldet“ hinausgekommen sein. „Das kann bedeuten, dass sogar Person, die in Deutschland geboren wurden, ihr Abitur gemacht haben und voll integriert sind, in die ihnen völlig unbekannten Herkunftsländer ihrer Eltern abgeschoben werden“, kritisiert Gockel. Dadurch gerieten die Betroffenen zum Teil in größte Nöte, fänden sie sich doch meist in dem für sie fremden Land überhaupt nicht zurecht. Gockel kennt Fälle, in denen Abgeschobene kurz nach ihrer Ankunft gestorben, spurlos verschwunden oder in Gefängnissen der Folter ausgesetzt gewesen seien. Und mit Ausnahme des Irak werden auch in Krisengebiete wie Afghanistan oder Libanon abgeschoben.

„Für uns ist Abschiebehaft inhuman“, betont Gockel, und deshalb sei es Ziel seines 1993 gegründeten Vereins, diese unverzüglich abzuschaffen.

 

Preisverleihung in Aula Carolina

•Die Verleihung des Aachener Friedenspreises findet heute Abend um 19:00 Uhr in der Aula Carolina,   Pontstrasse 7-9, in Aachen statt. Laudator ist der Schriftsteller Günter Wallraff, alle Interessenten sind herzlich willkommen.

Informationen im Internet:

www.gegenabschiebehaft.de

www.Aachener-friedenspreis.de                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             

 

 

 

 

 

 

 

Für ihn ist Abschiebehaft inhuman: Frank Gockel, Aachener Friedenspreisträger. Foto: dpa

Einstieg in eine ungewisse Zukunft: Wer aus Deutschland abgeschoben wird, dem droht bei der Ankunft im Herkunftsland nicht selten die sofortige Verhaftung. Foto: dpd