29.08.2006

Interview mit Otmar Steinbicker

Aachener Friedenspreis-Verleihung 2006

Von Anneliese Fikentscher

Ottmar Steinbicker ist der erste Vorsitzender des Aachener Friedenspreises e.V.. Mit dem Preis für 2006 wird am 1. September, dem Antikriegstag, der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ in der Aula Karolina ausgezeichnet werden.

Warum wird der diesjährige AFP nur an einen Preisträger vergeben, anstatt - wie sonst üblich - an zwei?                                                                                                                                                                    Es ist schade, dass in diesem Jahr die Mitgliederversammlung des Aachener Friedenspreis sich nur auf einen Preisträger hat einigen können. Es war ursprünglich von der Mitgliederversammlung beabsichtigt, wiederum zwei Preisträger zu benennen.

Warum ist das nicht geschehen, zumal traditionell ein nationaler und ein internationaler Preisträger ausgezeichnet wird?                                                                                                                                           Vom Wahlverfahren her ist es so, dass der Vorstand in diesem Jahr etwa 20 Vorschläge bearbeitet. Der Vorstand wählt aus dieser Zahl fünf Vorschläge aus, die der Mitgliederversammlung vorgelegt werden. Das war auch in diesem Jahr der Fall. Es konzentrierte sich auf fünf interessante Vorschläge, teils national, teils international. Dabei fiel schon im ersten Wahlgang die Entscheidung für den jetzigen Preisträger, den Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ mit der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit. Als Zweiten Preisträger traf die Wahl mit absoluter Mehrheit der Stimmen den Bundeswehr-Major Florian Pfaff, der im vergangenen Jahr ein bemerkenswertes Bundesverwaltungsgerichtsurteil erstritten hatte - mit seiner Weigerung, während des Irak Krieges bestimmte Dienste bei der Bundeswehr zu verrichten. Das war ihm als Befehlsverweigerung ausgelegt worden. In der gerichtlichen Auseinandersetzung hatte er sich juristisch darauf bezogen, dass das die Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Krieges sei. Diese Haltung ist vom Bundesverwaltungsgericht voll bestärkt worden. Das erschien sehr vielen im Gremium als eine besonders mutige Tat, die mit dem Aachener Friedenspreis sehr unterstützenswert sei. Dieser vorwärtsgewandten Unterstützungsabsicht konnte aber bedauerlicherweise eine Minorität im Friedenspreis nicht folgen, die schließlich die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit verweigerte.

Warum konnte sich das Gremium Aachener Friedenspreis auf keinen anderen Teilnehmer einigen, der mit einer militärischen Konfrontation im Konflikt steht?                                                                                      Die Preisverleihung ist ein längerer Prozess. Die Suche nach einem Preisträger beginnt im Oktober, November des Vorjahres. Unmittelbar nachdem der Preis verliehen ist, wird nach neuen Preisträgern gesucht. Das ist keine tagesaktuelle Entscheidung. Insofern standen diejenigen Kandidaten, die noch in Betracht kamen, nicht in einen tagespolitischen Zusammenhang mit Krieg und Frieden. Es hätte die satzungsmäßig etwas kompliziertere Möglichkeit gegeben, dass eine zweite Mitgliederversammlung einberufen worden wäre, und man versucht hätte, aus den anderen vier Kandidaten, evl. durch Zurückziehung des Vorschlages Florian Pfaff, unter den anderen Dreien jemand zu wählen. Für diese Überlegung fand sich im Vorstand ebenfalls nicht die erforderliche Mehrheit. Ich bedaure das sehr, zumal wir in der Vergangenheit sehr viel positive Erfahrung mit zwei Preisvergaben gemacht haben - und das im Regelfalle mit einer internationalen und einer national. Davon hängt ein Stück weit die Erfolgsgeschichte des Aachener Friedenspreises ab.

In der Gründungserklärung von 1988 heißt es: „Nicht zur Verwischung sozialer, politischer und kultureller Gegensätze, sondern im Bewusstsein gemeinsamer Verantwortung für die Existenz unserer Welt und Umwelt.“ solle die Kultur des Streiters dienen - auch im Hinblick auf die Kultur von Andersdenkenden. 2006 jährt sich zum fünften Mal der Vorwand für einen weltweiten, angeblichen „Krieg gegen den Terror“. War aus diesem - nicht tagespolitischen - Umfeld keine Preisträgerin oder Preisträger in Sicht?                                                                                                                                                                                                      Dieser Jahrestag stand an. Aber wir hatten im Vorfeld in einem sehr frühen Stadium beschlossen: wir wollen kein Preisträger aus den USA, weil wir gerade im Vorjahr ein starken hatten - und auch in früheren Jahren schon wichtige Preisträger aus den USA hatten. Trotzdem gab es unter den zwanzig Persönlichkeiten der Vorauswahl auch einen Vorschlag aus den USA. Es gibt immer viele Punkte abzuwägen, darunter die sehr unterschiedliche Motivation. Man muss einfach erkennen, dass dieser Aachener Friedenspreis mit seinen inzwischen fast 400 Mitgliedern heterogen zusammengesetzt ist mit Menschen, aus unterschiedlicher Richtung, unterschiedlicher Sozialisation, politischer Sozialisation, religiöser Sozialisation, und dass diese Menschen unterschiedliche Motive einbringen. Es ist ein absoluter Glücksfall, dass dieser so heterogen zusammengesetzte Verein im allgemeinen so gut zusammenarbeite. In diesem Jahr hatten wir jetzt den Fall, dass diese Heterogenität ein ernsthaftes Problem aufgeworfen hat.

Wie reagierten die „einsamen“ Preisträger 2006 auf die Entscheidung zuungunsten einer Doppelvergabe?                                                                                                                                                                  Die Preisträger sind natürlich absolut glücklich über ihren Preis. Die sind an der Diskussion, was einen möglichen zweiten Preisträger angeht, nicht beteiligt. Sie sehen es für sich als Erfolg, dass sie mit der Auszeichnung des Aachener Friedenspreises sehr stark in die Öffentlichkeit kommen. Das ist grundsätzlich die beste Möglichkeit, die wir mit dem Preis bieten können. Der Preis ist formal mit 1000 Euro dotiert. 1000 Euro - das ist uns auch klar - ist nicht die Summe, mit der die Preisträger die Welt aus den Angeln heben. Wesentlich mehr Hilfe bieten wir traditionell mit einer guten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, einer guten Medienarbeit. Die hilft in weitaus größerem Umfang.

Was war ausschlaggebend für die Wahl des diesjährigen Preisträgers, den Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“?                                                                                                                          Wir wollten mit der Wahl des diesjährigen Preisträgers thematisieren, dass Krieg nicht nur tötet, dass Krieg auch Flüchtlinge produziert. Das Engagement des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ der eine hervorragende Arbeit leistet, soll gewürdigt werden. Es ist ein kleiner Verein, der am Ort der größten deutschen Abschiebehaftanstalten Büren bei Paderborn wirkt und der sowohl den Häftlingen humanitäre Hilfe angedeihen lässt - sei es das Verteilen von Telefonkarten, um mit Angehörigen telefonieren zu können, der Vermittlung anwaltlicher Hilfe, bis zum politischen Engagement gegen Abschiebehaft schlechthin. Das ist ein sehr breites Fell, dass der neue Preisträger abdeckt, und es wird eine vorbildliche Arbeit geleistet.

Grundgedanke des AFP ist es, die künftige Arbeit der Preisträger zu unterstützen. (Deshalb gibt es auch keine posthume Ehrung). Welche Rückmeldung gibt es bei bisherigen PreisträgerInnen.                                Der Austausch mit früheren Preisträgerinnen und Preisträgern ist in diesem Jahr besonders stark von Bedeutung gewesen. Das ist auch unser Ziel. Bei uns ist keineswegs die Sache abgeschlossen, wenn die Urkunde und das Geld überreicht sind, sondern wir sehen unsere Preisträger als eine Gemeinschaft der Aachener Preisträgerinnen und Preisträger, die wir unterstützen, je nachdem, was gerade aktuell anliegt. Wir hatten jetzt in den Tagen des Libanon-Krieges täglich Kontakt mit unseren vier israelischen Preisträgerinnen und Preisträger, haben ihre Anliegen auch sehr stark in die bundesdeutsche Öffentlichkeit bringen können. Bereits im Frühjahr haben wir eine Kampagne für den in Tel Aviv lebenden Uri Avnery gemacht, nachdem er in Israel von einem rechtsradikalen Politiker mit Mord bedroht wurde. Wir sind in Solidaritätsbeziehung mit der türkischen Menschenrechtsvertreterin Eren Keskin (Preisträgerin 2003), die in diesem Jahr wegen Beleidigung der türkischen Streitkräfte zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt worden ist. Sie ist derzeit noch in Freiheit, weil ein Berufungsverfahren erst im September ansteht. Diese Solidarität zu entwickeln - auch mit den Preisträgern der vergangenen Jahre -, das ist für uns ein Riesenanliegen.

Welche konkreten Erfolge sind zu verzeichnen, z.B. in Bezug auf den deutschstämmigen Staatsbürger Israels, Uri Avnery (Preisträger von 1997 gemeinsam mit der israelischen Friedensbewegung Gush Schalom). Auf welche Weise war die Protesteingabe bei der deutschen Bundesregierung mit der Bitte um Einwirkung auf die israelische Botschaft von Erfolg gekrönt?                                                                                               Die Stellungnahme des auswärtigen Amtes war an diesem Punkt eindeutig und klar. Deutlich mehr, als man im ersten Moment hätte erwarten dürfen, gerade wenn in einem solchen sensiblen diplomatischen Punkt so klare Worte fallen. Das ist ein Riesenerfolg. Außerdem zeigt sich eine zunehmende Tendenz, dass die Aachener Preisträgerinnen und Preisträger sich als Gemeinschaft betrachten.

Wie sah die Stellungnahme der Bundesregierung aus?                                                                                                                                                                                                                                           Es war die Unterstützung unserer Position, in der wir forderten: dieser Mordaufruf muss verurteilt werden, die Sicherheit  Uri Avnerys muss von der israelischen Regierung gewährleistet werden, und der Mordaufruf war muss entsprechend den Gesetzen bestraft werden, so wie es in jedem Rechtsstaat der Fall ist.

Der Vietnamkriegsveteran und Preisträger von 2005, Roy Bourgois, hat einen Träger des ebenfalls in Aachen verliehenen Karlspreises als ein Verbrecher bezeichnet. Wie arrangiert sich der Karlspreis mit dem Aachener Friedenspreis in einer Stadt? Worin unterscheidet sich der Aachener Friedenspreis von diesem „Staatspreis“?                                                                                                                                                          Das sind zwei verschiedene Preise aus ganz unterschiedlichen Erwägungen. Der Karlspreis - seit 1949 vergeben - richtet sich offiziell an Personen und Persönlichkeiten, die zur Einigung Europas beigetragen haben. Hier werden Persönlichkeiten aus dem Kreis von Regierung- und Staatsoberhäuptern ausgezeichnet, unter anderen 1987 der damals schon ehemalige US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger. Diese Auszeichnung hatte 1987 in Aachen in der ganzen Stadt heftige Proteste ausgelöst, bei vielen Bürgern klar war, dass Kissinger chilenisches Blut an den Händen hatte. Das Gremium der Preisvergabe war in dieser Hinsicht nicht gut beraten. Es hatte große Unruhe gegeben in der Stadt. Diese Preisvergabe an Kissinger war vielleicht ein entscheidendes kleines I-Tüpfelchen, dass die Friedensbewegung in Aachen motivierte, einen Aachener Friedenspreis auszurufen, … der dann 1988 erstmals vergeben wurde … der 1988, im Jahr darauf, sich bildete und auch erstmalig verliehen wurde, mit deutlichem Signal, Menschen auszuzeichnen, die sich „von unten“ her für Frieden, Völkerverständigung und Menschenrechte einsetzen.

Ende 2004 trat die Vereinigung des Aachener Friedenspreises mit einem Positionspapier über die Gefährdung des inneren und äußeren Friedens an die Öffentlichkeit: „Armut vermeiden heißt Frieden schaffen“. Während die dort aufgeführten zehn Thesen (in denen die Gesetze gegen Arbeitslose, die Beschneidung von Grundrechten kristallisiert und der Entwurf der EU-Verfassung als neoliberal, militaristische und unsozial bezeichnet werden) als aktuell angesehen?                                                                                                                                                                                                                                                                         Diese Thesen sind nach wie vor aktuell. Dieses Positionspapier, das zu einem Umdenken und zu Solidarität und Widerstand aufruft, war Ausgangspunkt für ein Bündnis im sozialen Bereich, in dem sich auch kirchliche Gruppen zusammengefunden haben. Die Aussagen dieses Positionspapiers bleiben hochaktuell. Wir haben in Aachen von der Caritas gerade erschreckende Zahlen auf den Tisch bekommen, was die Armut angeht, was die Erfahrung mit Kindern angeht, die in den Schulen unzureichend ernährt auftauchen. Da bleibt nach wie vor viel zu tun.

Findet der Aachener Friedenspreis auch in der Darstellung des sozialen Zusammenhangs von Wirtschaft- und beschäftigungspolitischen Fehlentscheidung oder dem Hinweis darauf, der Staat sei bewusst arm gemacht worden, viel Gehör?                                                                                                                                                                                                                                                                                             Der Aachener Friedenspreis findet in der Stadt und über die Stadt- und Regionalgrenzen hinaus sehr, sehr viel Gehör. Im Laufe der Jahre hat sich eine deutliche Autorität herausgebildet. Der Aachener Friedenspreis ist weit über alle Parteigrenzen hinaus eine sehr anerkannte Institution. Zum Beispiel: Wir hatten unlängst eine einstimmige Erklärung des Stadtrats zur Situation im Nahen Osten, mit dem Schlusssatz, dass der Rat der Stadt die Verwaltung bittet, die für Ende dieses Jahres geplante  Nah-Ost-Friedenskonferenz des AFP zu unterstützen. Der einstimmige Beschluss drückt ein hohes Maß an Anerkennung aus. Es gibt in den gesellschaftlichen Institutionen, von denen viele bei uns Mitglied sind, eine große Akzeptanz. Und wir haben generell in den Medien - auch überregional - eine hohe Resonanz.                                                                   www.aachenerfriedenspreis.de 

                                                                                                                                                          Kontakt:                                                                                                                                                                                                                                                           http://www.nrhz.de                             info@nrhz.de

 

Preisverleihung 2005: Demonstration zur Aula Carolina, dem Ort der Preisverleihung Fotos: www.arbeiterfotografie.com
Preisverleihung 2004: Preisträgerinnen Elena Filanowa, Ella Poljakowa (Petersburger Soldatenmütter), Eren Keskin (türkische Menschenrechtsanwältin) und der Vorsitzende des Vereins Aachener Friedenspreis, Ottmar Steinbicker (rechts)