26.06.2006

„Abschiebehaft gehört abgeschafft“

Der Aachener Friedenspreis 2006 geht eine Initiative „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“

Von Sven Frohwein

Büren. Im Januar 1994 ging die Abschiebehaftanstalt Büren in Betrieb. Nur vier Monate später gründete sich die Initiative „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“. 10.000 Häftlinge haben die Ehrenamtlichen seitdem betreut. Jede Woche leisten sie etwa 100 Betreuungsstunden in der Anstalt. Im September, so wurde jetzt bekannt, soll der Initiative der Aachener Friedenspreis verliehen werden.

In Dino Jakobowics Zelle läuft der Fernseher. Auf dem Boden stehen gepackte Koffer. Heute Abend geht der Flieger nach Belgrad. Jakobowic, serbischer Bosnier, ist zum zweiten Mal in Deutschland, wird zum zweiten Mal abgeschoben. 1992 kam er mit seinem Vater nach Heidelberg, als auf dem Balkan der Krieg tobte. 2000 wurden beide zurückgeschickt. „Weil man uns sagte, wir seien in unserer Heimat wieder sicher“, sagt der Häftling in fließendem Deutsch. Dem 28-jährigen drohte in seiner Heimat Militärdienst - in der serbischen Armee. Für Jakobowic unvorstellbar. Also floh er wieder. Über Schweden nach Deutschland. Und wurde hier vor Monaten aufgegriffen. Auf dem Polizeirevier stellte er den Asylantrag.

„Ich habe die Nase voll vom Knast“

Der Bosnier wollte die Entscheidung nicht abwarten. „Ich habe die Nase voll davon, im Knast zu sitzen. Dann kehre ich lieber nach Hause zurück.“ Und was kommt dann? Jakobowic schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht. Vielleicht haue ich wieder ab. Amerika oder Italien.“ Wenn er nicht am Belgrader Flughafen verhaftet wird, um seinen Armeedienst abzuleisten.

Dino Jakobowic, ein typischer Abschiebekandidat. Typisch für die Haftanstalt Büren, typisch auch für Frank Gockel. Der 35-jährige ist Vorsitzender der Initiative „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“. Einmal die Woche, immer donnerstags, fährt Gockel, der im benachbarten Detmold wohnt, zum Knast in dem großen Waldstück, 15 Autominuten vom Bürener Ortskern entfernt. Der studierte Informatiker ist einer von zwölf ehrenamtlichen Betreuern, die Zugang zum Besuchertrakt der Haftanstalt erhalten. Der ist so groß wie eine kleine Sporthalle. Daneben winzige Räume. Auch die Initiative darf einen von ihnen nutzen.

Frank Gockel liest einen Brief vor - und übersetzt ihn für Mateen Hussain Malik direkt ins Englische. Der 29-jährige floh vor den Unruhen in Kaschmir. Als im Oktober vorigen Jahres in der pakistanischen Provinz die Erde bebte und jeder Kontakt in die Region abgeschnitten war, bangte Malik um seine Eltern. Und wollte über ein pakistanisches Zentrum in Brüssel Kontakt in seine Heimat aufnehmen. Kaum kehrte er aus Belgien nach Deutschland zurück, wurde er an der Grenze verhaftet. Weil der   29-jährige gegen die Asyl-Auflage verstieß, sein Aufenthaltsort nicht zu verlassen zu dürfen.

Malik kann nicht verstehen, warum er im Gefängnis sitzt. „Ich suche doch nur einen Platz, an dem ich ohne Probleme leben kann“, erklärt der Pakistani auf Englisch. Frank Gockel hilft dem Häftling bei der Korrespondenz mit dem Gericht, dass Malik nach Büren schickte. Für Frank Gockel, seit zehn Jahren im Verein tätig, einer von vielen Fällen, bei dem eine Gefängnisstrafe völlig überzogen ist. „Haft ist nur als ultima ratio zu sehen“, meint Gockel. Für ihn verhängen die Gerichte in Deutschland, einem Land, in dem „Freiheitsentzug als höchste Form der Bestrafung“ gelte, viel zu oft Gefängnis. „Abschiebehaft gehört abgeschafft“, sagt Gockel - und verkündet damit ganz plakativ das Motto seines Vereins. Doch sei auch eher Realist. „Das wird in nächster Zeit wohl nicht geschehen. Und deshalb sind wir da, um den Häftlingen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten - und zu helfen, wenn es Probleme in der Haft oder mit den Behörden gibt.

„Nirgendwo wird mehr gelogen als hier“

Ein Umstand der immer wieder zu Streit zwischen Inhaftierte und Haftanstalt führt. „Das Verhältnis ist angespannt“, erklärt Knast-Chef Volker Strohmeyer. Seit fünf Jahren arbeitet Strohmeyer in Büren, seit eineinhalb Jahren als Anstaltsleiter. Zurzeit sind in seinem Gefängnis, das auf dem Gelände einer ehemaligen NATO-Kaserne errichtet wurde, 230 Häftlinge untergebracht. Die bisher niedrigste Auslastung, Platz ist für 500. „Die wilden Jahre liegen hinter uns“, sagt Strohmeyer. Suizidversuche, Selbstschädigungen, Meutereien - vor allem Mitte der Neunzigerjahre sei es viel schwieriger gewesen. Warum es besser geworden sei? „Wir versuchen den Menschen einen geregelten Tagesablauf zu bieten und setzten mehr auf Betreuung“, verdeutlicht Strohmeyer. Und trotzdem: „Nirgendwo wird mehr gelogen als hier.“

„Wir hatten hier schon einen, der nannte sich Haribo. Und ein anderer hieß Billy Deutschland“, sagt Klaus Gorille, Betreuer in der Jugendabteilung. Viele Häftlinge besäßen keinen Pass, an Ersatz sei nur schwer heranzukommen. „Wenn uns einer erzählt, er komme aus Sambia, müssen wir ihm das erst einmal glauben“, sagt Volker Strohmeyer. Ein Umstand, der auf Frank Gockel bekannt ist. „Wenn man dann versucht, an neue Papiere zukommen, stellen sich Botschaften oft quer“, erklärt Gockel. „Die Türkei tut sich schwer mit der Rückführung ihrer Leute. Tunesien auch.“

Ob er sich über den Aachener Friedenspreis freue? „Natürlich“ gibt Gockel zu. Doch sei das kein Grund sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Schon sei geplant, auch Frauen, die in Abschiebehaft geraten, in Büren zu inhaftiert. „Zwangsprostitution, Menschenhandel - da warten völlig neue Probleme auf uns.“

Fakten

Haftzeit im Mittel 50 Tage

•Die durchschnittliche Haftzeit in der Justizvollzugsanstalt Büren beträgt laut Anstaltsleitung ca. 50 Tage. Sie kann aber in Teilschritten auf bis zu 18 Monaten verlängert werden. Straf- und Untersuchungshaft wird in der Einrichtung im Kreis Paderborn nicht verbüßt.

•Die Initiative „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ (im Bild Vorsitzender Frank Gockel) ist nur eine von zahlreichen ehrenamtlichen Gruppen, die in der Bürener Anstalt                                                   Betreuungsarbeit leisten. Auch Baptisten, Tamilen und Zeugen Jehovas leisten Betreuungsarbeit, vor allem religiöser Natur.

•Weitere Information zum Träger des diesjährigen Aachener Friedenspreises im Internet:                                                                                                                                                                            www.aachenerfriedenspreis.de

 

(Frohwein)
Warten auf die Abschiebung: Dino Jakobovics Flieger geht erst am Abend. Er vertreibt sich das Warten mit Fernsehen. (Frohwein Bild)