08.09.2004

Auch im Knast zählen zuerst Respekt und Anerkennung

Josef Wächter arbeitet als Arzt in der Bürener Justizvollzugsanstalt

Von Marion Neesen (Text und Foto)

Büren (WV). Wenn Josef Wächter seinen Dienst antritt, gehört ein dicker Schlüsselbund wie selbstverständlich dazu. Jede Tür, durch die er tritt, muss er zunächst auf- und hinter sich wieder zu schließen. Der 47-jährige Familienvater aus Grundsteinheim ist Arzt in der Justizvollzugsanstalt im Stöckerbusch. Seine Patienten sind Gefangene - Männer von 16 bis 60, die hier auf die Abschiebung in ihr Herkunftsland warten. Keine leichte Klientel und jeden Tag eine neue Herausforderung.

Seit 1996 arbeitet Josef Wächter in der Krankenstation des Bürener Abschiebeknastes. Bis zu 530 Gefangene aus der ganzen Welt können in der JVA untergebracht werden. Derzeit sind es etwa 250. 51 Tage sitzen sie im Durchschnitt in den Zellen der ehemaligen Kaserne ein. Nicht alle sind Schwerverbrecher. Abgelehnte Asylbewerber, illegale Eingereiste, aber auch straffällig gewordene Ausländer sind in der JVA-Stöckerbusch eingesperrt. Die besondere Situation der Patienten verlangt auch vom Arzt besondere Fertigkeiten und Sensibilität. „Man befindet sich ständig in einer Zwitterposition“, sagt Wächter, „einerseits muss sich jeder Häftling der staatlich angeordneten Eingangsuntersuchung unterziehen, andererseits gilt es als Arzt aber auch, eine Vertrauensbasis zu schaffen.“ Das sei eben anders, als freiwillig zum Arzt zu gehen und stößt nicht immer auf Akzeptanz. Manche Häftlinge sind aber auch dankbar für eine Untersuchung. Denn viele von ihnen waren noch nie zuvor in ihrem Leben bei einem Arzt. „In Indien und China etwa gibt es keine frühe Untersuchung für Kinder. Später fallen viele dann durchs Raster, weil sie als Illegale nicht zum Arzt gehen können,“ so der Anstaltsarzt.

Oft sind es nicht die Alltagskrankheiten, die den Häftling zu schaffen machen. „Die Männer, die einsitzen, sind am Ende ihrer Zukunftsperspektive angekommen. Das führt oft zu schweren Depression“, sagt Josef Wächter. Selbstverletzungen mit Rasierklingen oder auch Suizidversuche sind da nicht selten. Aber auch mit Reise- und Tropenkrankheiten muss sich Josef Wächter auskennen, den mehr als 60 Nationen sind unter den Häftling vertreten.

Ein großes Problem ist die Tuberkulose. Gerade in osteuropäischen Ländern tritt diese Krankheit verstärkt auf. In der Bürener Haftanstalt gibt es häufig Fälle von resistenter Tuberkulose, die nur sehr schlecht therapiert werden können. Infektionskrankheiten, häufig verursacht durch Drogenkonsum, aber auch die Folgen von Prügeleien sind in der Praxis von Josef Wächter Tagesgeschäft. Der                     47-jährige ist zunächst einmal als „Hausarzt“ für alles zuständig, entscheidet, ob eine Behandlung bei Fachärzten notwendig ist. „Wir arbeiten sowohl mit den niedergelassenen Ärzten in Büren als auch mit dem Bürener Krankenhaus sehr gut zusammen. Für ein paar Stunden in der Woche kommt zudem ein Psychiater ins Haus“, so Wächter.

Manche stehen täglich auf der Matte

Ob in Freiheit oder Gefangenschaft, Patienten sind unterschiedlich. Wer den ganzen Tag in der Zelle sitzt, hat Zeit krank zu sein, weiß Wächter. „Einige stehen jeden Tag auf der Matte, sind froh über zusätzliche soziale Kontakte.“ Da ist die Psycho-soziale Betreuung in der JVA ebenso wichtig wie Beschäftigung. In der Haftanstalt besteht zwar keine Arbeitspflicht, viele Häftlinge helfen aber gerne mit, wenn auf dem Gelände etwas zu tun ist. So wird derzeit eine neue Sportstätte hergerichtet. Auch verschiedene Workshops sollen für Abwechslung sorgen. Als Josef Wächter 1996 den Job in der JVA antrat, befürchtete er, sich aufs medizinische Abstellgleis zu begeben. Heute denkt er anders. „Es ist besonders hier ein unglaubliches Gefühl, Menschen helfen zu können“, sagt der Mediziner. Und die Nähe zur „Normalmedizin“ wahrt er als Notarzt im Kreis Paderborn. Sicherlich begegnen ihm täglich Menschen mit besonderen und auch tragischen Schicksalen. „Doch man darf sich das persönliche Schicksal der Häftlinge nicht zu eigen machen“, weiß Josef Wächter um die Belastungen in seinem Beruf. Eine gewisse Distanz müsse man sich trotz emotionaler Beteiligung bewahren. Für Wächter stehen immer die medizinischen Aspekte im Vordergrund. „Ich bin Arzt und kein Instrument des Abschiebeorgans“, kommt für den Grundsteinheimer der Patient an erster Stelle. Und so geht es auch im Abschiebeknast zuerst darum, dem Gegenüber ein Gefühl von Akzeptanz und Respekt entgegenzubringen.

 

 

Ein Ungewöhnlicher Ort für einen Arzt: Josef Wächter arbeitet in der Bürener Justizvollzugsanstalt im Stöckerbusch. Seit 1996 betreut er die Inhaftierten, die auf ihre Abschiebung warten.