23.11.2002

„Warum seid ihr hier?“

Wiedenbrücker Grundschüler besuchen als jüngste Gäste die Abschiebehaftanstalt

Von Karl Finke

Büren. Einer seiner Schützlinge hat kaum geschlafen vor dieser etwas anderen „Kontaktstunde“, weiß der evangelische Pfarrer Burghart Schmidt. Beim Eintritt in die große Fahrzeugschleuse der Abschiebehaftanstalt Büren wirken die 14 Viertklässler allerdings unbekümmert. Ein großes buntes Wandbild zeigt Beamte in Uniform und Häftlinge, diese gemeinsam an einem Tau ziehen, einer der abgebildeten ist Thomas Bongartz. Der Soziale Berater JVA wird den Kindern vieles erklären.

Die Inhaftierten sind zumeist keine Straftäter, hat Pastor Schmidt den Mädchen und Jungen aus Wiedenbrück allerdings vorab verständlich gemacht. In der Haftanstalt, wo Schmidt als Teil seines Berufs auch Gefängnisseelsorger ist, werden Flüchtlinge zur Abschiebung ins Heimatland festgehalten. Weil die neunjährigen mehr wissen wollen, sind sie die jüngsten Besucher hinter diesen hohen Mauern.

Nicht in die Hafthäuser sondern in eine Musterzelle führen Bongartz und sein Kollege Axel Brämer die Grundschüler. An der Wand zweimal zwei Betten übereinander, ein Spint Schrank und in der Mitte ein Tisch- dazu Heißwasserkocher und Fernseher. „26 Programme“, sagt der Justizbeamte. Bongartz: „Möglichst viele ausländische.“ Aus über 50 Nationen kommen die zurzeit gut 300 Gefangenen. Mit einer Spielsammlung wie bei den Kindern daheim betont er die Bedeutung einer sinnvollen Beschäftigung für die Häftlinge. - Neben der Tür ist ein sogenannter Sensor. Wird er berührt, leuchtet auf dem Flur und im Überwachungsbüro der Beamten ein Lichtsignal auf.

„Könnt ihr mit denen reden?“ will David wissen, „die können doch kein Deutsch.“ Doch, einige sprechen mehr oder weniger gutes Deutsch, antwortet Bongartz. Für die anderen gibt es Dolmetscher, und das können auch andere Gefangene sein.

Als die Kinder aus dem ersten Gebäude in den Hof der Haftanstalt treten, staunen einige, wie groß das Gefängnis ist - und wie viele Zäune es noch hat. Hinter ihnen wird zum Beispiel Fußball auf Asphalt gespielt. Rasen sei zu teuer, so Bongartz.

Im Besucherraum füllt Pfarrer Schmidt die Kinder mit drei ausgesuchten Häftlingen zusammen. 18, 20 und 26 Jahre sind sie alt. Einer ist im Libanon geboren und in der Türkei aufgewachsen, zwei stammen aus Afrika und haben als Väter in ihrer Heimat Ehefrau und Kind zurückgelassen. „Findest du es gut hier?“ fragt einer der Grundschüler, gemeint ist Deutschland. Ein anderer will wissen, warum die Männer überhaupt hier sind? „Der Anfang ist sehr schwer“, sagt Gregor aus Kamerun. Nach mittlerweile neun Monaten Abschiebehaft fühle er sich „manchmal wie im Internat.“ Er liebe seine Heimat, doch dort gebe es keine Menschenrechte wie in Deutschland. Und fügt an: „Freiheit ist das Wichtigste im Leben.“ Ibrahim, der erst im Togo und in Benin, seit der Grundschulzeit schon in Deutschland lebt, schildert den neunjährigen seine Erinnerung an die Ankunft: „Als erstes habe ich Fußball gespielt, weil ich stolz war Schuhe an den Füßen zu haben.“

Ihren Kontakt mit den Häftlingen hatten die Kinder mit dem Austausch von Mandalas eingeleitet - symbolische Geschenke in allen Religion. Bei der Verabschiedung an diesem Tag reichen die drei Männer jedem einzelnen Mädchen und Jungen die Hand.  

 

Musterzelle für Besucher: Die Jungen und Mädchen aus einer Wiedenbrücker Grundschule sprachen später auch mit jungen Gefangenen über ihre Gedanken zu dem Gefängnis.
In der JVA-Einfahrtschleuse: Ein Kollege der Beamten Thomas Bongartz (2. von rechts) und Axel Brämer (rechts) malte das Wandbild - hinter den Kindern aus Wiedenbrück (von links) Zivi Markus Dahlkämper, Lehrerin Kerstin Plugge und Pastor Burghart Schmidt. Foto: Finke