04.11.2002

Es bleibt ein System organisierter Unmenschlichkeit

Abschiebungshaft in Deutschland und Ignoranz der rot-grünen Bundesregierung                                                          Von Heiko Kaufmann

Eine der Hauptkritikpunkte von Menschenrechts- und Asylgruppen an der rot-grünen Asylpolitik, das System der Praxis und der Dauer der Abschiebehaft, wird von Koalitionsvertrag vom Oktober 2002 in keinem Punkt mehr erwähnt. Während es im Koalitionsvertrag von 1998 wenigsten noch ein Prüfauftrag bezüglich der Beseitigung der unverhältnismäßigen Dauer der Abschiebungshaft gab, sucht man die Stichworte im neuen Koalitionsvertrag vergeblich. Eine Asylpolitik, die vom Geist der Abwehr, Ausgrenzung und Kriminalisierung schutzsuchender Menschen getragen wird, gefährdet das Verhältnis und die Zukunft von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten.

Die Ära Kohl hat der rot-grünen Bundesregierung in der Asylpolitik eine schwere Hypothek hinterlassen: Statt Integration zu ermöglichen, Einwanderung zu gestalten und den sozialen Frieden zu sichern, hat sie durch den Abbau des Asyl-Grundrechts und ein Netz von repressiven Gesetzen zu Diskriminierung und Ausgrenzung von Minderheiten und Flüchtling beigetragen und fremdenfeindliche und rassistische Einstellung gefördert.

Wenn Flüchtlinge über Jahre als Sündenböcke für Arbeitslosigkeit und steigende Kriminalität präsentiert werden, gleichzeitig Bürger- und soziale Rechte demontiert werden und der Diskurs über Einwanderung maßgeblich nur unter ökonomischen Verwertungsaspekten stattfindet, dann schlägt diese strukturelle Diskriminierung buchstäblich auf Einstellungen und Verhaltensweisen einzelner durch. Eine solche Politik gestaltet das gesellschaftliche Klima, in dem verdeckte und offen Feindseligkeiten gegen Flüchtlinge und Migrantinnen, gegen Minderheiten, sozial Schwache und Andersdenkende alltäglich werden und dem sich viele Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Glaubens, ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft, ihrer Behinderung und selbst wegen ihres Alters ausgegrenzt oder bedroht fühlen.

Abschiebungshaft als Instrument der Abschreckungspolitik

In den Diskussionen um Rechtsextremismus und Rassismus gerät die Thematisierung des Umgangs der Gesellschaft mit Flüchtlingen und Minderheiten jedoch leicht in den Hintergrund. Und vor allem: Wenn sich die Debatte darüber allzu schnell auf die Anzahl der Straf- und Gewaltdelikte, auf die Vorurteilsbereitschaft des Einzelnen und pädagogische Konzepte dagegen reduziert, geraten strukturelle Bedingungen, unter denen Flüchtlinge und Migranten in Deutschland leben müssen und denen eine Signalwirkung für Rechtsextremisten und Gewalt zukommt, nicht in den Blick: Die Realität aufenthaltsrechtlicher Sondergesetze, von Arbeitsverbot, des Lebens in Sammellagern unterhalb des Existenzminimums, von Essenspaketen, von Residenzpflicht und der schnell und häufig drohenden Abschiebungshaft – ein flankierendes Instrument der Abschreckung in der Folge der Verschärfung des Asylrechts 1993.

Wer nach dem Wahlsieg von Rot-Grün 1998 eine menschenrechtsorientierte neue Asyl- und Flüchtlingspolitik erhofft hatte, musste bald ernüchtert feststellen, dass die neue Koalition nach 16 Jahren eines als „Fremdenabwehrrecht“ instrumentalisierten Ausländer- und Asylrechts nicht die Kraft und den politischen Willen hatte, die ideologischen Verkrustungen der Vorgängerregierung radikal aufzubrechen. Den eigenen Anspruch an eine Politik der Zukunftsfähigkeit, des Aufbruchs und der Erneuerung – wie in ihrem ersten Koalitionsvertrag von 1998 formuliert - konnte Rot-Grün im Bereich des Asylrechts und der Asylpolitik nur an wenigen Punkten einlösen. So würde die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention endlich ihre seit Jahren von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisation geforderte uneingeschränkte Anwendung bedeuten; auch die in letzter Minute in das Zuwanderungsgesetz aufgenommen Härtefallregelung entspricht jahrelang Forderung von „Pro Asyl“, Kirchen und anderen Initiativen.

Neben diesen positiven Elementen zementiert das Zuwanderungsgesetz viele negative Elemente des bisherigen Rechts. Auch das neue Gesetz revidiert keineswegs das Bild des Ausländers als einer Gefahr, die es mit den Mitteln des Rechts abzuwehren gelte. Wer – wie Innenminister Schily – auf der Linie seines Vorgängers grundsätzlich der Kontinuität der Abwehr verhaftet bleibt, dem fehlt auch die Fähigkeit und Bereitschaft, Perspektiven und Vision für eine menschenrechtsorientierte Asylpolitik zu entwickeln.

Dabei haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrem ersten Koalitionsvertrag von 1998 vereinbart, die Dauer der Abschiebungshaft im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu überprüfen. Dass dies noch nicht geschehen ist, wird im Eckpunktepapier der SPD-Bundestagsfraktion „Steuerung, Integration, innerer Frieden“ von 2001 dann eingeräumt. Im Koalitionsvertrag von Oktober 2002 wird auf dieses Thema überhaupt nicht mehr eingegangen.

Auch beim Zuwanderungsgesetz hat das Bundesministerium es versäumt, diesen offenen Punkt des Koalitionsvertrages von 1998 umzusetzen. Der alte § 57 AuslG wurde unverändert im neun § 62 Aufenthaltsgesetz übernommen. Das bedeutet, es bleibt nach wie vor unbeachtet, dass nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht nur die Dauer der Abschiebungshaft, sondern auch die Voraussetzung für eine Inhaftierung die Vorgaben bezüglich der Inhaftierung zum Beispiel von Minderjährigen und besonders schutzbedürftigen Person sowie die Haftbedingungen dringend auf den Prüfstand des Rechtsstaates gehörten. Hier ignoriert die Koalition die jahrelang von Menschenrechts- und Betreuerorganisation, von Rechtsanwälten, Kirchen und Seelsorgern und die in der Oppositionszeit von 1998 geäußerte eigene Kritik an Dauer und Notwendigkeit der Abschiebungshaft, an der Gestaltung der Unterbringung, dem Kreis der Betroffenen, mangelnder Rechtsberatung und Betreuung usw. usw.

Innenminister Otto Schily selbst war es, der noch in der vorletzten Legislaturperiode vollmundig Defizit der Vorgängerregierung anprangerte:

„Der Vollzug der Abschiebehaft muss (…) rechtsstaatlichen und humanitären Grundsätzen genügen. Leider entspricht die gängige Abschiebungspraxis diesen Anforderungen allzu häufig nicht. Das müssen wir ändern. Nicht zuletzt nahmen uns die tragischen Todesfälle in der Abschiebehaft, die Abschiebepraxis zu überprüfen. Die Menschenrechte sind unteilbar, auch bei uns zu Hause.“

Am 9. November 2000 demonstrierten in Berlin 200.000 Menschen für Toleranz und Zivilcourage. Vom Bundeskanzler zu einem „Aufstand der Anständigen“ aufgerufen, wollten viele aktiv gegen Rechtsradikalismus, Ausgrenzung und ihrer Ursachen vorgehen. Doch moralische Appelle und staatlich inszenierte Bündnisse für Demokratie und Toleranz half nicht weiter, wenn der notwendige Diskurs über gesellschaftliche Ursachen und Konsequenzen auch über staatliche Anteile des Rassismus vermieden und ignoriert werden.

Wenige Wochen nach dem Aufstand der Anständigen“ stürmte die Berliner Polizei die psychotherapeutische Beratungsstelle für politisch Verfolgte, XENION, bei der Verfolgung eines Jungkurden, der auf der U-Bahn-Fahrt zur Beratung in eine Kontrolle gerät und keinen gültigen Fahrausweis vorweisen konnte. In panische Angst vor der gefürchteten Abschiebung sprang der 17-jährige - noch von den Folterspuren in türkischer Haft gezeichnet – beim gewaltsamen Eindringen der Polizei aus einem Fenster des 3. Stockwerks und verletzte sich lebensgefährlich.

Wenige Monate zuvor, in der Nacht zum 30. August 2000, stürzte sich der 28 Jahre alte Mongole Altankho D. aus dem Abschiebegewahrsam Köpenick bei dem Versuch, aus der Abschiebehaft zu fliehen, in den Tod. Er befand sich stationär im Krankenhaus und hat versucht, sich mit verknoteten Laken und Bettzeug aus dem sechsten Stockwerk abzuseilen; dabei riss das Bettzeug. Altankho stürzte in die Tiefe.

Auf den Tag ein Jahr zuvor, am 30. August 1999 Stab in der Abschiebehaftanstalt Büren – allein, verlassen, verzweifelt, nach fast sechs Monaten in Abschiebungshaft, in seinen letzten Stunden noch isoliert in einer „Arrestzelle“ – Rashid Sbaai. Er war wegen einer angeblicheren Rangelei beim Fußballspiel mit Mitgefangenen zu sieben Tagen Arrest „verurteilt“ worden. Der junge, als freundlich und sehr sensibel geltende Marokkaner hatte dem monatelangen psychischen Druck und der doppelten Isolation nun in einem „Gefängnis im Gefängnis“ nicht standgehalten und die Arrestzelle angezündet.

All dies geschah nicht unter einem Innenminister Kanther, sondern bereits unter Rot-Grün und belegt ein eklatantes Versagen des Staates und seiner Behörden. „Gesetzlose“ Gesetze und Erlasse schaffen ein System organisierter Unmenschlichkeit und Verantwortungslosigkeit: Abschiebungshaft in Deutschland.

Staatlicher herbeigeführte Zermürbung und Resignation

Abschiebungshaft bedeutet, dass in Deutschland Menschen inhaftiert werden, ohne zuvor eine strafbare Handlung begangen zu haben; Abschiebungshaft bedeutet, dass Menschen allein deshalb inhaftiert werden, damit man sie außer Landes bringen kann.

Abschiebungshaft wird in Deutschland auch unter einer rot-grünen Koalition schnell, häufig und für zu lange Zeit verhängt. Sie ist nicht Mittel zur Absicherung der Ausreise im Ausnahmefall. Sie ist vielmehr immer mehr zum Regelfall und für Flüchtlinge zur Endstation in Deutschland geworden.

Und: sie ist ein Instrument der Abschreckungsmaschine geworden, Flüchtlinge zu entmutigen und sie so schnell wie möglich außer Landes zu bringen: Abschiebung – egal wohin, mit allen Mitteln, um fast jeden Preis. Wie hoch dieser Preis ist, zeigt sich an der psychischen Situation vieler Menschen in Abschiebungshaft, die aufgrund der Umstände und Bedingungen von Unsicherheit, Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit bestimmt ist. Den meisten ist überhaupt nicht klar, warum sie im Gefängnis sitzen. Bleibt ihnen schon das vorausgegangene komplizierte Verfahren undurchsichtig und unklar, so verstößt die Inhaftierung gegen ihr Gerechtigkeitsgefühl. Die empfundene Sinnlosigkeit der Haft, ihre unbestimmte Dauer die Angst vor Abschiebung in ein gefährliches Herkunftsland oder ein unbekanntes Drittland machen die Inhaftierung für die Betroffenen unerträglich. Angst, Depression, Verzweiflung, Ungeduld und Langeweile, Aggressionen und Nervenzusammenbrüche, Selbstmordversuche: Das ist die Realität des Lebens in Abschiebungshaft, den finsteren Orten der Demokratie. (…)

Die gegenwärtige Praxis der Abschiebungshaft und die Bedingungen ihrer Durchführung in Deutschland verstoßen gegen die Menschenwürde. Nach unserer Auffassung ist die Vollzugspraxis verfassungswidrig, und verfassungswidrig ist auch die Dauer der Haft, verfassungswidrig ist auch die eingeschränkte Prüfung durch die Haftrichterinnen und- richter.

Forderungen und Maßnahmen

Wenn der Staat meint, jemanden abschieben zu müssen, dann darf dieser Mensch hierzu nicht in Haft genommen werden. Allenfalls darf es sich um die Form einer vorübergehenden Festhaltung handeln, die sich diametral von allen Zwangsmitteln und- maßnahmen, wie sie bereits im Begriff „Haft“ (= Fessel, Gefangenschaft) enthalten sind, unterstreicht.

Generell und grundsätzlich dürften folgende Personengruppen überhaupt nicht zum Zwecke der Abschiebung inhaftiert werden: Person unter 18 Jahren; zur Ausreise verpflichtet Person, die einen festen Wohnsitz oder Arbeitsplatz haben; kranke, alte, traumatisierte, Schwangere, stillende Mütter oder Mütter und Väter mit Kleinkindern.

Wenn Regelungsdefizite erkannt werden, wird gemeinhin eine Gesetzesänderung gefordert. Im Falle der Abschiebungshaft muss überhaupt erst einmal eine gesetzliche Regelung über ihren gegenwärtigen Vollzug geschaffen werden – eine Regelung, die den Menschenrechten der Abzuschiebenden Rechnung trägt und deutlich macht: „Abschiebungshaft“ kann und darf keine Strafhaft und keine Zwangsinstitution sein. Daher müssen sich die Unterbringungsform klar von jeder Zwangssituation unterscheiden, die permanent Kontrollen aller Tages- und Tätigkeitsabläufe und die bei einer Strafhaft üblichen Restriktionen müssen entfallen.

Auch die gerichtliche Zuständigkeit für die Abschiebungsverfahren muss geändert werden. Es muss von den Amtsrichtern/innen auf die Verwaltungsrichter/innen übertragen werden, die in einem einheitlichen Verfahren Ausreisepflicht und Vorliegen möglicher Abschiebungshindernisse zu überprüfen haben. Grundsätzlich ist jeder und jedem Betroffenen der Grund der „Inhaftnahme“ mitzuteilen. Dolmetscherrinnen sind mit einzubeziehen; die Möglichkeit der Heranziehung eines Rechtsbeistandes muss immer gegeben sein. Dies setzt den freien Zugang von Privatbesuchen ebenso wie den ungehinderten Besuch von Anwälten und Anwältin, Initiativgruppen usw. zwecks Beratung und Betreuung voraus – ebenso die Respektierung der Privatsphäre und den ungehinderten Zugang zu Information. (…)

Unabhängig von der grundsätzlichen Ablehnung des Instituts der Abschiebungshaft besteht zwischen den Betreuungsininitiativen Konsens darüber, dass der gegenwärtige menschenverachtende Alltag in der Abschiebehaft dringender, unmittelbarer Korrekturen bedarf. Es kann nicht hingenommen werden, dass die Haftbedingungen geprägt sind unter anderem von unzureichender medizinischer und psychosozialer Vorsorgen, fehlende Rechtsberatung, Restriktionen bei der Kontaktaufnahme nach außen und externen Besuchsbeschränkungen. (… )

Unzureichend erkannt und bekämpft: staatlicher Rassismus

Der von vielen beklagte und auch von UN-Gremien – wie dem Ausschluss zur Beseitigung der Rassendiskriminierung – wiederholt heftig kritisierte Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland – etwa bei der Aufnahme, im Verfahren, bei der sozialen Vorsorgen und im gesamten System der Abschiebepraxis – ist ein Spiegelbild des gesellschaftlich transportierten und akzeptierten Rassismus. Strukturelle und institutionelle Ungleichheiten, die zu unterschiedlichen Formen rassistischer Diskriminierung führen, verletzen nicht nur die Menschenrechte und die Würde der Betroffenen. Sie sind auch Nährboden für Fremdenfeindlichkeit und rechtsextreme Gewalt. Eine glaubwürdige Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus darf sich nicht auf das individuelle Verhalten verengen.

Staatlicher und alltäglicher Rassismus bedingen einander. Deshalb impliziert das Bemühen zur Überwindung des Rassismus die gesellschaftliche Auseinandersetzung über die staatliche Diskriminierungs- und Ausgrenzungspolitik gegenüber Flüchtlingen.

Dass dies in Deutschland nicht erwünscht ist, hat die vom Europarat eingesetzte europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (Ecri) der Bundesregierung im Juli 2001 – gegen den wütenden Protest von Innenminister Schily – bescheinigt. Dort heißt es, (…) „Das Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhass und Intoleranz erst als solche erkannt und bekämpft werden müssen.“

Die harsche Kritik von Innenminister Schily und sein (peinlicher) Versuch der Zurückweisung dieses Berichts belegen umso mehr die berechtigte und zutreffende Kritik der Kommission, wenn es etwa heißt: „Der bestehende Gesetzesrahmen und die politischen Maßnahmen haben sich als unzureichend bei der wirksamen Bekämpfung dieser Probleme erwiesen. Besonders besorgniserregend sind die Situationen von und die Einstellung gegenüber denen, die als „Ausländer“ betrachtet werden, die unzureichenden Maßnahmen für die Integration und die fehlende Anerkennung, dass die deutsche Identität mit anderen in die Identitätsformen als den traditionellen einhergehen kann.“ (…)

Dass Schilys Einwanderungsgesetz markiert kein Paradigmenwechsel – allenfalls ein ökonomisch bedingten Richtungswechsel. In der Flüchtlingspolitik bleibt es weitgehend der unheilvollen Kontinuität von polizeirechtlicher Gefahrenabwehr und staatlich legalisierter Ausgrenzung verhaftet.

Die Schraube wird angezogen: „Ausreisezentren“!

So sieht das neue Zuwanderungsgesetz zum Beispiel die Einrichtung sogenannter „Ausreisezentren“ vor. Damit werden jetzt all diejenigen ins Visier genommen, die „ausreisepflichtig“ sind, deren Asylanträge abgelehnt wurden, die aber mangels gültiger Reisepapiere nicht abgeschoben werden können. Unter verschärften Bedingungen sozialer Ausgrenzung und Isolation wird den Flüchtlingen die Aussichtslosigkeit ihrer Lage bewusst gemacht, indem gezielt und psychischen Druck und Stresserzeugung die Bereitschaft zur Abschiebung „gefördert“ werden soll. Modellprojekte existieren bereits in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Ohne zeitliche Begrenzung wird dort auf die Betroffenen durch permanenten Druck eingewirkt, nachdem man sie von ihrem Wohnort weg verteilt und dort eingewiesen hat – bei gleichzeitigem Entzug der Arbeitsgenehmigung. Derart Entwurzelte, die in der Regel keine Möglichkeit auszureisen haben, ziehen oftmals das Abtauchen in die „Illegalität“ dem Leben unter solchen Bedingungen vor. Wer sich in diese „Ausreisezentren“ nicht einweisen lässt oder untergetaucht und dann aufgegriffen wird, erfüllt die Voraussetzung für die Verhängung von Abschiebungshaft.

Damit schließt sich der Kreis: Was beschönigend in dem Konzept unter „psychosozialer Betreuung“ firmiert, ist in Wahrheit gezielte Vermögenstechnik und staatlich legitimierter Psychoterror mit dem Ziel, „dass die deutschen Leistungseinschränkungen, der Ausschluss einer Arbeitsaufnahme sowie das sich in einem allmählichen Prozess entwickelnde Bewusstsein über die Ausweglosigkeit ihrer Lebensperspektiven in Deutschland die Menschen in eine gewisse Stimmung der  Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit“ versetzt – so hieß es unverblümt im Konzept des Modellversuchs einer Landesunterkunft für Ausreisepflichtige in Ingelheim – eine „offene Einrichtung“ als Ergänzung zur Abschiebehaft also, „in der durch eine Kombination von psychosozialer Betreuung und ausländerrechtlicher Beratung die Bereitschaft geschaffen werden soll, bei der Passbeschaffung mitzuwirken und letztlich die freiwillige Ausreise zu initiieren“.

Das zeigt, wohin die Reise geht: Die Schraube der Abschiebepraxis soll durch solche Sonderlager, durch noch größere Kontrolle, Verfügbarkeit, Rechtlosigkeit, durch noch größeren Druck auf Flüchtlinge angezogen werden – unabhängig davon, dass solche, mit einem Missbrauchsvorwurf verbundene Einrichtung auch eine Signalwirkung für Rechtsextremisten haben können, wie die Ereignisse 1992 in Rostock bewiesen haben, und in jedem Fall als Beitrag zur geistigen Brandstiftung bewertet werden müssen. (…)

Zivilgesellschaftliche Gegenbewegung

Die Abschiebungshaft und die Abschiebegefängnisse sind die krassesten Sinnbilder bundesdeutscher Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik; sie widersprechen diametral dem Gedanken des Flüchtlings- und Menschenrechtsschutzes als Errungenschaften einer demokratischen Zivilgesellschaft.

Die scharfe Kritik, die Günter Grass anlässlich der Verleihung des „Friedenspreises des Deutschen Buchhandels“ an Yasar Kemal in seiner Laudatio am 19.10.1997 an der deutschen Abschiebungspraxis unter der Regierung Kohl/Kanther äußerte, gilt unverändert nach einer Legislaturperiode Rot-Grün auch für Innenminister Otto Schily:

„Spricht nicht der in Deutschland latente Fremdenhass, bürokratisch verklausuliert, aus der Abschiebepraxis des gegenwärtigen Innenministers, dessen Härte bei rechtsradikalen Schlägerkolonnen ihr Echo findet? Über 4000 Flüchtlinge aus der Türkei, Algerien, Nigeria, denen nichts kriminelles nachgewiesen werden kann, sitzen in Abschiebelagern hinter Schloss und Riegel, Schüblinge werden sie auf Neudeutsch genannt – es ist wohl so, dass wir alle untätige Zeugen einer abermaligen, diesmal demokratisch abgesicherten Barbarei sind.“

Seit 1993, seit der Verschärfung des Asylrechts bis Herbst 2002, töteten sich 107 Flüchtlinge angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen; 46 davon befanden sich in Abschiebehaft. In der ersten Legislaturperiode der rot-grünen Bundesregierung von September 1998 bis September 2002 töteten sich 34 Menschen aus Angst vor ihrer Abschiebung, zehn davon in der Abschiebungshaft. (…)

„Die Menschenrechte sind unteilbar – auch bei uns zu Hause“, hatte Schilys Kritik an den „tragischen Todesfällen in Abschiebungshaft“ unter der Vorgängerregierung geglaubt. Die 34 Toten nach dem Regierungswechsel im September 1998 sind auch eine „Anklage“ gegen die rot-grünen Nachfolger, die sich – wider besseres Wissen und gegen ihre Versprechungen – zu keiner Korrektur an diesem zermürbenden und tödlichen System der Abschiebungshaft und der Abschiebepraxis durchringen konnten. (…)

Hier ist somit Zivilcourage aller Bürgerinnen und Bürger gefordert, um sich dem System organisierter Unmenschlichkeit und staatlicher Repression in Abschiebegefängnissen zu widersetzen. Ein gleichberechtigtes gesellschaftliches Miteinander aller hier lebenden erfordert, dass niemand durch Schweigen, nichts tun oder wegschauen zur Verfestigung dieser Zustände oder zur Gewöhnung an Unrecht beiträgt.

Eine der Wurzeln des Rassismus liegt in der Ungleichbehandlung, der rechtlichen und sozialen Ausgrenzung und Minderbewertung anderer Menschen. Gerade die deutsche Geschichte lehrt uns, dabei den Blick nicht nur auf den Einzeltäter zu werfen. Wenn Rassismus ausschließlich als Problem individueller Einstellung definiert wird, wird der Blick auf die gesellschaftliche und politische Dimension eines institutionellen Rassismus verstellt.

Die Zivilgesellschaft und die lebendigen Kräfte der Menschenrechts- und Flüchtlingsbewegung als eine ihrer Akteure im Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind hier besonders gefordert, die strukturelle Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen durch Gesetze und Behördenpraxis bewusst zu machen, sie durch Einflussnahme zu verändern und andere zu ermutigen, gemeinsam dem Weg in eine solidarische, humane und demokratische Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zu beschreiten.