07.03.1995

Möller disqualifiziert sich selbst

Betrifft: Artikel „Meine Mutter versteht das auch nicht“ (über den CDU-Aschermittwoch in Wünnenberg) in der NW-Ausgabe vom 3. März.

Herr Möller scheint es für nötig zu halten, sein Image in der Öffentlichkeit ein wenig aufzupolieren. Welche Kulisse wäre da besser geeignet als so ein Aschermittwochstreffen der CDU. Die Meinung von Ortsvorsteher Schweins, möglichst viele Abschiebehäftlinge loswerden zu wollen, wird wahrscheinlich nicht die einzige Meinungsäußerung in dieser Richtung geblieben sein.

Herr Möller ist zuletzt negativ in der Öffentlichkeit aufgefallen, als er die Abschiebehäftlinge mit eingesperrten Kanarienvögeln verglich. Da war doch noch etwas, ein paar Monate vorher - ach ja, die von ihm angeordneten Fesselungen von Häftlingen in der sogenannten Beruhigungszelle. Arme und Beine wurden den Flüchtlingen auf dem Rücken zusammengebunden - bis zu zwei Tagen. Eine Paderborner Ärztin, die mit den Folgeerscheinungen dieser Foltermethode konfrontiert wurde, stellte daraufhin Strafanzeige gegen Herrn Müller.

Weitere Äußerungen von Herrn Möller wie etwa die, den Flüchtlingsalltag mit einem Basar in Algier zu vergleichen oder das Problem der Isolation damit zu bagatellisieren, dass Ausländer bei uns auch isoliert sein, ohne dass Mauern drumherum sind, sind eine bodenlose Frechheit. Mit diesen ausländerfeindlichen Äußerungen disqualifiziert sicher Möller selbst.

Nun zu den Problemen der Asylsuchenden in der Abschiebehaftanstalt in Büren. Die Liste ist lang, alle Lebensbereiche sind betroffen. Sie reicht von der sozialen Isolation über die fehlende rechtliche und psychologische Beratung und Betreuung, der schlechten medizinischen Versorgung, der fehlenden Verkehrsanbindung für Besucher, Beschwerden über schlechtes Essen und, und, und. Wie schon gesagt, die Liste ist lang. Sind diese Mängel Zufall? Nein, es handelt sich hier um politisch gewollte und organisierte Diskriminierung von Menschen, die auf der Flucht sind. Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, sind keine Verbrecher und dürfen nicht wie Verbrecher behandelt werden. Flüchtlinge müssen human untergebracht und versorgt werden. Die Praxis der derzeitigen Unterbringung in Haftanstalten widerspricht jeglicher Humanität und rechtlichen Standards. Diese Menschen haben keine Straftaten begangen und sind doch monatelang in einem Gefängnis inhaftiert.

Welche Schicksale stehen hinter dieser sogenannten Abschiebepraxis?

•Ein Algerier, bei dem durch die Haft und aus Angst vor der Abschiebung eine Psychose ausgebrochen ist (dies ist kein Einzelfall).

•Ein 17-jährige Libanese, der von seinem Vater im Alter von 13 Jahren zu Freunden nach Deutschland gebracht wurde, um ihn vor den Kriegswirren zu schützen. Er kam später in ein Kinderheim. Er hat keinen Kontakt zu seinen Eltern oder zu Bekannten. Wenn er jetzt abgeschoben würde, wüsste er nicht, wohin er gehen sollte.

“Grundrecht als Asyl wiederherstellen

Kritische Bürger und Leser dieser Zeitung lassen sich hoffentlich nicht durch die bagatellisierenden Äußerungen eines Herrn Möller beruhigen. Wir dürfen uns nicht an die Existenz dieser unmenschlichen Abschiebehaftanstalten und die jetzige Abschiebepraxis gewöhnen.

Bündnis 90/Die Grünen fordern die Abschaffung der Abschiebehaftanstalten und eine Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl, dass durch die Verabschiedung des Grundgesetzesartikels 16 a faktisch abgeschafft wurde.

Für uns steht die Aufgabe im Vordergrund, Verständnis für die Gründe von Wanderungsbewegungen zu wecken und deutlich zu machen, dass Aufgeschlossenheit und Toleranz gegenüber Zuwanderern zu einer demokratischen Gesellschaft gehören, die die Menschenrechte achtet. Vor dem Hintergrund unserer eigenen Vergangenheit sollte flüchtlingsfreundliches Verhalten politisch selbstverständlich sein.

Annette Buchen-Ludwig, Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Andreasstraße 23, 33098 Paderborn