19.09.2008

Neonazi droht: „Ich bring dich um!“

Weil sie von Rechtsradikalen verfolgt werden, müssen zwei Bielefelder Studenten untertauchen

Von Michaela Feldmann

Bielefeld. Drohen, einschüchtern, Angst machen: Neonazis und Rechtsradikale wissen, wie sie ihre Kritiker zum Schweigen bringen. Nicht nur im Osten, sondern auch in OWL, wo sich braune Kameradschaften zunehmend breitmachen.

Für Holger W.* begann der Albtraum im Frühjahr an einer Supermarktkasse. Die verbale Auseinandersetzung mit einem Bielefelder Neonazi endete mit dessen Drohung: „Wenn du mir nachts über den Weg läufst, bring ich dich um!“ Während sich der eine „Deutschland, Deutschland über alles“ auf den Arm tätowieren ließ und mit Glatze und Springerstiefeln als typischer Neonazi erkennbar ist, trägt der andere seine Haare als Dreadlocks. Zwei Bekenntnisse, zwei Welten: hier rechts, da links.

Ein halbes Jahr später hat Holger W. tatsächlich Angst um sein Leben. Bielefeld ist klein, da kann man sich kaum aus dem Weg gehen. Die letzte Begegnung hat ihm so zugesetzt, dass er untergetaucht ist. „Mittwoch vor einer Woche stand er zum ersten Mal vor dem Haus, in dem ich wohne. Letzten Samstag war ich dann mit einer Freundin auf dem Weg zur Pommesbude, als der Kerl auftauchte. Er hat gebrüllt: „Ich bring dich um, der Sturmtrupp ist schon bestellt, blöde Zeckensau.“ Seine Bewährung sei ihm egal, habe er noch gerufen und dass er es diesmal durchziehen werde. Die Situation war selbst für Außenstehende so bedrohlich, dass jemand die Polizei rief, während W. mit seiner Freundin im Imbiss Schutz suchte. W. suchte sich einen Anwalt und war seitdem nicht mehr zu Hause. Betroffen ist auch sein WG-Mitbewohner Martin Z.*, der sich in der Wohnung ebenfalls nicht mehr sicher fühlt.

Die beiden Studenten sind nicht alleine. Prominentestes Beispiel für die Verfolgung durch Rechtsradikale ist der Menschenrechtler und Aachener-Friedenspreis-Träger Frank Gockel, der seit eineinhalb Jahren von Neonazis gejagt wird und deshalb mehr oder weniger im Untergrund leben muss. „Das sind keine Einzelfälle. Weil die meisten Opfer sich nicht trauen, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten, ist die Dunkelziffer enorm hoch“, sagt er.

Als Gockel von dem Fall hört, seufzt er tief. Er weiß zu gut, was dem Betroffenen blühen kann. „Eine Anzeige würde eigentlich alles noch schlimmer machen, denn dann werden die erst richtig sauer. Auch ich werde mich für ein paar Tage zurückziehen müssen, wenn der Artikel in der Zeitung erscheint. Das Problem ist, dass auf die Polizei leider kein Verlass ist. Die verschließt die Augen vor der wachsenden rechtsradikalen Szene in OWL.“ Auf Anfrage erklärte dagegen ein Sprecher des Bielefelder Staatsschutzes, dass es in der Region keine Probleme mit rechtsradikalen Gruppierungen gebe. Für Betroffene wie Gockel ist die reale Bedrohung jedoch existenziell: „Viele werden durch Anrufe oder Wachposten vor dem Haus eingeschüchtert. Nachdem ich an die Öffentlichkeit gegangen bin, haben sich viele Leute bei mir gemeldet, den Schlimmeres passiert ist, das geht bis hin zu mehrfacher Vergewaltigung. Auch Kommunalpolitiker werden bedroht, aber keiner traut sich, Anzeige zu erstatten.“

Warum das so ist, erklärt W.‘s Anwalt Sebastian Nickel. „Unsere Erfahrung mit dem polizeilichen Startschuss sind alles andere als positiv. Die Opfer werden häufig nicht ernst genommen und Vertraulichkeitszusagen nicht eingehalten.“ Das Problem: Sobald die Namen von Zeugen aktenkundig werden, könnten sich die Anwälte der Gegenseite die Akte kommen lassen, und schon hätten die Neonazis alle Daten - von Opfern und Zeugen. Wer jemanden aus der rechten Szene anzeigt, riskiere also auch die Sicherheit anderer.

Der Startschuss wird seine Ermittlung in dem Fall aufnehmen. Und das Opfer sucht eine neue Wohnung.                                                                                                     *Namen von der Reaktoraktion geändert

Ein Leben in Angst

„Ich überlege genau, wann und wo ich einkaufen gehe“, sagt Frank Gockel. Der Detmolder Menschenrechtler wird seit eineinhalb Jahren von Neonazis verfolgt und nimmt den oben beschriebenen Fall sehr ernst. „Viele müssen sich wie ich eine neue Wohnung suchen, vielleicht sogar außerhalb der Stadt.“ Er rät Betroffenen, Selbstverteidigungskurse zu besuchen, alle Wege sorgsam zu planen und nicht alleine aus dem Haus zu gehen. „Mir hat die Unterstützung der antifaschistischen Gruppierung, die es ja auch in Bielefeld gibt, sehr geholfen.“ „Und vor allem“ sagt der Menschenrechtler, „nicht unterkriegen lassen!“