15.04.2020

Aussetzung der Abschiebehaft während der Corona-Pandemie

Ministerium für Kinder, Familien, Flüchtlinge und Integration

z. Hd. Herrn Dr. Joachim Stamp

Per Mail: poststelle@mkffi.nrw.de

 

Petitionsausschuss des Landtages NRW

Per Mail: petitionsausschuss@landtag.nrw.de

 

Integrationsausschuss Landtag NRW                                                                                              

Per Mail über Ausschussassistentin Susanne Stall: susanne.stall@landtag.nrw.de

 

Presseverteiler

 

Offener Brief

Aussetzung der Abschiebehaft während der Corona-Pandemie

Sehr geehrte Damen und Herren,
Sehr geehrter Herr Dr. Stamp,

Vor dem Hintergrund der durch die Corona-Pandemie bedingten Situation, muss die Abschiebehaft in NRW ausgesetzt werden. In dieser Sache möchten wir uns im Folgenden an Sie wenden.

Am 26.03.2020 forderte Dunja Mijatovic, die Menschenrechtskommissarin des Europarats, alle Mitgliedsstaaten auf, Abschiebehaft im Kontext der Corona-Pandemie auszusetzen. Bedingt durch die Haftsituation, werde den Menschen in den Gefängnissen fortwährend die

Möglichkeit entzogen, jenen Minimal-Abstand einzuhalten, welcher von Politik und Medizin, zur Vermeidung von Infektionen als obligatorisch erachtet wird. Ferner sei die Durchführung vieler Abschiebungen auf absehbare Zeit nicht möglich. Eine Vielzahl der Europarats-Mitglieder, wie etwa England, Spanien, Belgien oder die Niederlande, schloss in der Folge die entsprechenden Einrichtungen.

Auch weil Abschiebehaft Sache der Länder ist, ergab sich demgegenüber in Deutschland ein uneinheitliches Vorgehen. So verzichten einige Bundesländer z.Z. nachvollziehbarerweise auf die Inhaftierung von Flüchtlingen, während sich in NRW und Bayern weiterhin Menschen in Haft befinden. Zwar hat auch in diesen Ländern die Zahl der Inhaftierten abgenommen, aber die Entscheidungsträger haben die Empfehlung der Menschenrechtskommissarin letztlich bisher nicht umgesetzt.

Ein Erlass des MKFFI (NRW) an die Ausländerbehörden des Landes enhält nur die Bitte, auf Haftmaßnahmen zu verzichten. Eine verbindliche Regelung existiert nicht. Ferner seien ehemalige Straftäter weiterhin zu inhaftieren. Warum deren Gesundheitsgefährdung durch eine COVID-19-Infektion anders zu bewerten ist, bleibt für uns völlig unklar.  

 Frau Mijatovic fordert die Mitgliedsstaaten auf, sicherzustellen, dass aus der Haft entlassenen Menschen, angemessener Zugang zu Wohnraum und Grundversorgungs­leistungen – insb. Gesundheitsversorgung - gewährt wird. Dies sei sowohl zur Wahrung der Würde der Menschen als auch vor dem Hintergrund der öffentlichen Gesundheit innerhalb der Mitgliedsstaaten zwingend erforderlich. Gegenwärtig besteht diese Gewährleistung bei Haftentlassungen nicht. Vielmehr erleben wir, dass Betroffene - ohne ausreichend Lebensmittel und Übernachtungsmöglichkeiten - lediglich ausgestattet mit einem Zugticket, mehrere hundert Kilometer reisen müssen, um die für sie zuständigen Behörden zu erreichen. Diese haben jedoch zur Zeit oft keinen Publikumsverkehr mehr. Dadurch vergehen mitunter mehrere Tage bis den Menschen Unterkünfte zugewiesen und Lebensmittel zugänglich gemacht werden. Müssen die Betroffenen zudem Grenzen zwischen den Bundesländern überschreiten, mangelt es hierüber hinaus an notwendigen Passierscheinen.

Innerhalb der Haft fühlen sich die Gefangenen unzureichend informiert. Da die Gefängnisleitung sich nicht bereit zeigt, ihrerseits getroffene Maßnahmen offen und erklärend zu kommunizieren, prägen Gerüchte und Ängste die Realität der Gefangenen. Weder Besucher noch Menschenrechtsorganisationen können gegenwärtig das Gefängnis betreten. Daher ist ein Einblick in die Zustände in der Haftanstalt sehr erschwert und eine externen Kontrolle kaum möglich. Von Gefangenen wurden uns mehrere gravierende Vorfälle beschrieben, die wir aber aktuell kaum verifizieren können.

Um deutlich zu machen, wie problematisch die Situation ist, möchten wir erläutern, wie sich der Zugang zur Abschiebehaftanstalt für uns gegenwärtig darstellt. Dies nicht, weil wir die Zugangsfragen im Vergleich zu den Aussagen von Inhaftierten schwerwiegend finden, sondern weil wir hier die Aussagen selbst dokumentieren können:

Als Flüchtlingshilfsorganisation gem. § 7 Abs. 2 AHaftVollzG NRW ist uns ein Zugang zu den Gefangenen zu ermöglichen. Am 19.3.2020 wollten wir, wie gewohnt, die Gefangenen betreuen, erfuhren jedoch, dass auch unser Besuch nicht mehr möglich ist. Die Gefängnisleitung hatte uns vorher angeboten, dass wir die Inhaftierten telefonisch erreichnen können. Es wurde weiter vereinbart, dass auch eine Kommunikation per Fax in beide Richtungen gewährleistet ist. Auf Anfrage wurde uns das für montags und donnerstags zwischen 16:00 und 18:00 zugesagt. Die telefonische Erreichbarkeit musste dann in der Praxis zum Teil erst durch Überzeugungsarbeit hergestellt werden.. Damit die Kommunikation auch in dringenden Fällen möglich ist, wollten wir den Gefangenen weiterhin Telefonguthaben zukommen zu lassen. Wir verschickten die Auflade-Gutscheine an die uns genannte Faxnummer. Diese Faxe wurden jedoch nicht an die Empfänger weitergeleitet. Erst auf Nachfrage ergab sich, dass das Gerät, an welches wir unsere Faxe richten sollen, aktuell nicht besetzt ist. Die in der Zwischenzeit gesendeten Faxe, waren derart durcheinandergeraten, dass einzelne Seiten nicht mehr zuzuordnen gewesen seien. Bis heute ist es der Gefägnisleitung nicht gelungen, eine Faxnummer zu benennen, deren Eingänge kontinuierlich kontrolliert und bearbeitet werden. Wollen Gefangene uns ihrerseits Faxe zusenden, passierte es mehrfach, dass uns schlicht leere Seiten erreichten. So ist die Kommunikation mit den Gefangenen  und damit die Möglichkeit unserer Betreuungsarbeit erheblich beeinträchtigt. Es sei lediglich ergänzend erwähnt, dass angesichts der aktuellen Lage, Besuche, auch ohne persönlichen Kontakt, (etwa mittels Trennscheibe) denkbar erscheinen.

Dies ist im Vergleich zur Haftsituation und der Unsicherheit durch die Corona-Pandemie wohl ein vergleichsweise geringeres Problem für die Inhaftierten. Durch das Beispiel wird jedoch deutlich, wie überfordert die Gefängnisleitung in der gegebenen Situation erscheint. Angesichts von Personalkapazitäten von 5 bis 10 Bediensteten pro Gefangenem, sollte das eigentlich anders möglich sein.

§ 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG legt fest, dass Abschiebehaft unzulässig ist, sofern aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten, nicht möglich ist. Die Corona-Pandemie hat sich inzwischen global ausgebreitet. Dies macht den Vollzug geplanter Abschiebungen in den allermeisten Fällen unmöglich. Dass Ausländerbehörden zur Fristwahrung, wiederholt Termine konstruieren, deren Einhaltung völlig unrealistisch ist, erscheint vor dem Hintergrund des unnötig verlängerten Freiheitsentzugs unverantwortlich. Die Gefangenen sind den psychischen Belastungen der Haft und des Wartens ausgesetzt und müssen dann letztlich doch freigelassen werden, weil die Grenzen geschlossen sind.

Falls Abschiebungen doch stattfinden sollten, werden die Betroffenen in untragbare Zustände hinein geschickt. Eine Vielzahl der Zielländer etwa, weist kein effektiv funktionierendes Gesundheitssystem auf - insbesondere, wenn die Betroffenen über wenig oder kein Geld verfügen. Das Ausbrechen der Pandemie ist daher regional als weitaus dramatischer als in Deutschland zu sehen. Hierauf sind Betroffene nicht vorbereitet. Quarantäne im Abschiebeland, ohne Geld und soziale Unterstützung, etwa für den Kauf von Wasser und Lebensmitteln, stellt eine unerträgliche Situation dar. Sollten inhaftierte Menschen gar während der Inkubationszeit abgeschoben werden, ist eine angemessene Gesundheitsversorgung im Abschiebeland, auch aufgrund der finanziellen Situation der Betroffenen, bestenfalls unwahrscheinlich.

Aus den genannten Gründen fordern wir Sie daher auf, sich der Haltung der Menschenrechtskommissarin des Europarates Dunja Mijatovi? anzuschließen und Abschiebehaft in NRW nicht länger anzuwenden bis die Corona-Pandemie hier und in den jeweiligen Zielländern beendet ist.

Mit freundlichen Grüßen,

gez. Bernhard Schlenger             gez. Friedrich Wichmann                   gez. Frank Gockel