26.06.2011

Aachener Zeitung

Namensvettern von Karl dem Großen auf die rote Couch

Aachen. Sein Markenzeichen ist rot, samtig und gepolstert - eine Couch. Eine rote Couch. Besser: «Die Rote Couch» schlechthin - ein Stück Kunst- und Kulturgeschichte, wenn nicht sogar Menschheitsgeschichte. Horst Wackerbarth heißt der Mann, 60 Jahre alt, studierter Fotograf.

Mit seiner Couch ist er in 25 Jahren um die halbe Welt gereist, hat in 39 Ländern eine Million Kilometer zurückgelegt und sie alle auf seinem Sofa Platz nehmen lassen, um sie zu fotografieren: Bauern in China, Angestellte in Kasachstan, Geschäftsleute in Tibet, türkische Boxer, Straßenkehrer in Paris, Bauarbeiter in Brooklyn, Bandidos in Duisburg, Jugendliche aus einem Kinderheim in Aachen, indische Seeleute, afrikanische Flüchtlinge in Calais, aber auch Peter Ustinov, Michail Gorbatschow, Yehudi Menuhin und Peter Gabriel. Hunderte Couch-Porträts sind so entstanden für eine «Galerie der Menschheit», mit Menschen unterschiedlichster Religionen, Nationalitäten, Rassen oder Schichten, auf dem immer gleichen, sie alle einenden Sofa.

«Karliges» im Vornamen

Horst Wackerbarth kommt mit seiner roten Couch jetzt nach Aachen, um während des Festivals «across the borders» eine ganz besondere Spezies Mensch zu porträtieren und in der Aula Carolina in einer Ausstellung zu dokumentieren: die Nachkommen Karls des Großen. Und unsere Zeitung ruft sie dazu auf, sich bei Wackerbarth für ein Fotoshooting auf der Roten Couch zu bewerben: all jene, die irgendwie «Karliges» im Vornamen führen - ob Carlos, Karl, Charles, Charlene, Carola, wie auch immer.

Das legendäre Stück steht, inmitten unzähliger großformatiger Fotografien, in einer weißen, lichten Halle von Wackerbarths Düsseldorfer Atelier - mittlerweile in vierter Generation. Die erste Couch, mit der alles vor über 25 Jahren im New Yorker Stadtteil Soho bei Wackerbarths amerikanischem Freund Kevin Clarke begann, ist ebenso wie zwei Nachfolgerinnen längst hinüber. Aus der Schnapsidee, die Couch in Soho auf die Straße zu stellen, erwuchs damals ein Kunstkonzept und mündete nach sechsjähriger Reise keuz und quer durch die USA, von Alaska bis Florida, in das Fotobuch «The Red Couch - A Portait of America».

«Wir stellten fest, dass es den eigentlichen Amerikaner gar nicht gibt», erzählt Wackerbarth. «Da gibt es den deutschstämmigen Polen, den Puertoricaner, den Russen, den Israeli deutscher Herkunft und und und.» Wackerbarth nutzte sein spezielles rotes Medium, um die Menschen der USA auf seine Weise zu porträtieren.

«Dann hatte ich die Schnauze voll davon», sagt er auf seine gern benutzte drastische Art. «In den USA habe ich mich nie zu Hause gefühlt. Ich hatte Sehnsucht nach Europa.» So kam er heim und ging in die Werbung. «Ich wollte Geld, Mädchen, dicke Autos.» Und fügt hinzu: «Das war ein Irrweg, aber ein notwendiger. Ich musste das machen.» Nach fünf Jahren war Schluss damit - nur noch Frust. Und Wackerbarth besann sich wieder auf seine Couch - unter ganz neuen Vorzeichen.

«Plötzlich war das digitale Zeitalter da, die Globalisierung - eine affengeile Situation.» In ihm reifte die große Idee: eine «Galerie der Menschheit» zu schaffen. «Mir war klar: Jeder Mensch hat das Recht, auf der Roten Couch zu sitzen.» Und so zog er los mit seinem Anhängerchen, setzte die Menschen auf seine Couch, machte Videointerviews und stellte jedem der Porträtierten zwölf «universelle Fragen, die jedes Kind beantworten kann»: Was macht das Leben lebenswert? Wer hat das Universum erschaffen. Was bedeutet Glück? Unglück? Angst? Oder der Tod?

Seit 2009 ist das Konzept komplexer geworden, aussagekräftiger, mit überraschenden Akzenten, die bewegen: Wackerbarth packt das Thema «Globale Migration» an und platziert Menschen auf seinem Sofa, die ansonsten entweder kaum zusammengekommen wären, sich im Normalfall eher aus dem Weg gehen oder die das «globalisierte» Schicksal buchstäblich zusammengetrieben hat: den deutschen Chef der Tui AG, Michael Frenzel, und die Auszubildende Sera Uygun, türkisch-marokkanischer Herkunft, im Duisburger Hafen; den Tunesier Mohammed, den Angolaner Alcky und den Türken Mohamed in der Abschiebehaft der Justizvollzugsanstalt Büren. Oder deutsche Polizisten mit türkischem Hintergrund neben Duisburger Hooligans mit italienischem Hintergrund, im chinesischen Wuhan einen Han-Chinesen neben einem farbigen indischen Einwanderer.

Viel Vertrauen muss der Mann mit der Couch aufbauen, um seine Fotos inszenieren zu können. Afrikanische Flüchtlinge, die zuhauf in den Dünen von Calais leben, die es nach staatlich-offizieller Lesart überhaupt nicht gibt, platziert er ebenso auf dem Sofa wie die Polizisten des französischen Innenministeriums, die die ganze Szene bewachen. Götz George sitzt neben Adem, Georg und Fausto, Arbeiter mit türkischem, polnischem und italienischem Hintegrund. Der Witz: George beantwortet die Fragen in seiner Rolle als Schimanski.

Die Ausstellung der Migrations-Werksreihe Wackerbarths im Duisburger Lehmbruck-Museum gehörte zum Programm der «Ruhr.2010 - Kulturhauptstadt Europas». Genau dort trafen Wackerbarth und Rick Takvorian, Veranstaltungsmanager der Stadt Aachen, aufeinander - und damit schließt sich der Kreis. Wackerbarth, sogleich begeistert von dem internationalen Kulturfestival «across the borders», wusste schnell, mit welchem Thema er als Teilnehmer des Festivals auf seine «typische» Art Akzente setzen könnte: «Aachen - hier begegnet einem doch Karl der Große auf Schritt und Tritt.

Aachen und der Karlspreis, das sind doch zwei Seiten einer Medaille.» Damit war die Idee geboren: 60 «Carlies», also Namensverwandte, mit dem Abbild je eines der 60 Karlspreisträger auf dem Aachener Markt vor dem Karlsbrunnen auf die Rote Couch setzen und sich von jedem seine persönliche Geschichte erzählen lassen.

Das Ergebnis wird vom 12. bis zum 21. August in der Aula Carolina an der Pontstraße mit Videos, Fotos und anderen Aktionen dokumentiert. Eröffnet wird das Ganze am Freitag, 12. August, um 20 Uhr mit der Roten Couch auf dem Marktplatz und einer Tanzperformance der Duisburger Tänzer und Choreographen Avi Kaiser und Sergio Antonino.