01.04.2007

graswurzelrevoulution

Aachen und Paderborn treiben Jugendliche in die Illegalität

Aachen, Paderborn, Büren. Der minderjährige, unbegleitete Flüchtling Baljit Singh (Name geändert) wird von den Verwaltungen der Städte Aachen und Paderborn am 26.02.2007 in die Illegalität oder Obdachlosigkeit getrieben, da sich keine Verwaltung für ihn zuständig fühlt. Um sich dagegen wehren zu können, müsste dringend eine Vormundschaft eingerichtet werden, doch die Gerichte weigern sich.

Der Leidensweg des 17-jährigen Baljit Singh fing am 26.01.2007 an. Er reiste als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling an der belgischen Grenze bei Aachen ein. Bei einer Zugkontrolle der Bundespolizei wurde festgestellt, dass er keinen Pass mit sich führte. Die Bundespolizei hat ihn daraufhin der Ausländerbehörde der Stadt Aachen übergeben.

Anstatt das Jugendamt einzuschalten und den Jugendlichen in ein Kinderheim unterzubringen, beantragte die Behörde Abschiebehaft.

Der Antrag der Ausländerbehörde Aachen enthielt jede Menge Fehler. Es wurde nicht geprüft, ob überhaupt eine Abschiebung möglich ist oder ob es mildere Mittel als Abschiebehaft gibt.

Baljit sollte sofort für 3 Monate eingesperrt werden, obwohl bei Minderjährigen nur 6 Wochen erlaubt sind. Trotz dieser massiven Mängel gab das Amtsgericht dem Antrag statt, und Baljit kam in die Abschiebehaft der JVA Büren.

Als der Vorsitzende des Vereins "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.", Frank Gockel, von diesem Fall erfuhr, legte er am 3.2.07 Beschwerde gegen die Inhaftierung ein, worauf die Ausländerbehörde am 5.2.2007 Baljit aus der Haft entlassen hat. Gockel holte den Jugendlichen von dem Gefängnis ab und beantragte beim Jugendamt Kreis Paderborn, in dessen Bezirk die JVA Büren liegt, die Inobhutmaßnahme. Dieses wurde gesetzeskonform von der Behörde bewilligt, und Baljit wurde noch am gleichen Tag in einem Kinderheim in Paderborn untergebracht.

Baljit erhielt bei seiner Entlassung von der JVA Büren die Auflage, sich bis zum 9.2.07 bei der Ausländerbehörde Stadt Paderborn zu melden. Am 8.2.07 sprach er dort vor und beantragte eine Duldung. Die Stadt Paderborn weigerte sich, den Duldungsantrag zu bearbeiten, und wollte diesen lediglich an die Ausländerbehörde der Stadt Aachen weiterleiten. Baljit erhielt ein Schreiben, dass er sich bis zum 14.2.07 bei der Ausländerbehörde Stadt Aachen zu melden hätte.

In den darauf folgenden Telefongesprächen teilte die Ausländerbehörde der Stadt Aachen erst mit, sie sei zuständig und Baljit könne zu ihnen kommen. Da jedoch das Jugendamt der Stadt Aachen sich nicht zuständig fühlte, lehnte die Ausländerbehörde am 13.2.07 ihre Zuständigkeit ab. Damit Baljit nicht in die Obdachlosigkeit abrutschte, beschloss er, am 14.2.07 nicht nach Aachen zu fahren. Die Ausländerbehörde Paderborns gab ihm daraufhin erneut eine Frist, sich bis zum 26.2.07 bei der Ausländerbehörde der Stadt Aachen zu melden.

Nach Gesprächen am 23.2.07 mit der Ausländerbehörde Stadt Aachen erklärte diese sich wieder für zuständig, das Jugendamt Aachen lehnt jedoch weiterhin eine Zuständigkeit ab.

Damit droht Baljit, wenn er am Montag nach Aachen reist, die Obdachlosigkeit, da die Ausländerbehörde eine Wohnsitznahme in Aachen als Auflage erlassen wird und er damit nicht mehr zurück nach Paderborn kann.

Die Ausländerbehörde Stadt Paderborn will nicht zusagen, die Frist für die Fahrt nach Aachen erneut zu verlängern. Baljit muss sich also entscheiden: Entweder reist er am 26.2.07 nach Aachen, wo die Gefahr besteht, dass er in die Obdachlosigkeit geraten wird, oder er bleibt in Paderborn und wird damit illegal.

Um sich gegen das Verhalten der Behörden wehren zu können, braucht Baljit dringend anwaltlichen Rat. Da er über kein eigenes Geld verfügt, könnte er eine Kostenzusage beim Amtsgericht in Form eines Beratungsscheines beantragen. Das Amtsgericht Paderborn lehnt dieses jedoch ab, weil keine Vormundschaft über ihn existiert. Die Vormundschaft wird vom Amtsgericht Paderborn nicht eingerichtet, da Baljit nicht in Paderborn lebt. Das Amtsgericht Aachen lehnt die Einrichtung einer Vormundschaft ebenfalls ab, da er nicht in Aachen lebt.

Damit ist Baljit vogelfrei. Er darf viele Dinge nicht für sich selber regeln, da er noch keine 18 Jahre ist. Es gibt aber auch keinen Vormund, der für ihn entsprechende Entscheidungen treffen könnte. Sich in einem Rechtsstreit wehren, Verträge abschließen oder lebensnotwendige Operationen, dies alles ist nicht möglich. Es scheint darauf hinauszulaufen, dass die Städte Aachen und Paderborn und die Amtsgerichte alles daran setzen, das Baljit als Minderjähriger obdachlos und illegal auf der Straße lebt.

Selbst wenn sich nun eine Stadt für zuständig erklärt, so ist noch lange nicht der Aufenthaltsort für Baljit geklärt. Die Behörden werden dann ein besonderes Umverteilungsverfahren für geduldete Flüchtlinge veranlassen, was dazu führen wird, dass Baljit nach wenigen Tagen wieder umziehen muss und ein neuer Streit zwischen den Städten entstehen kann.

"Es ist ein Skandal, wie die Städte Aachen und Paderborn einen Jugendlichen einfach so aufreiben", so Frank Gockel. Er berät den Jugendlichen auch nach der Abschiebehaft weiter und versucht, mit ihm zusammen Lösungen zu finden. Baljit ist indes tief verzweifelt. Er bekommt mit, dass keiner ihn haben will und dass die Behörden es am liebsten sehen würden, wenn er in die Illegalität verschwinden würde. Für Gockel ist die Lösung einfach. Alle Behörden sollten sich zusammensetzen und nach einer Lösung suchen, die dem Minderjährigen gerecht wird.

Erst wenn alle Umverteilungsverfahren abgeschlossen sind und der endgültige Wohnort feststeht, sollte Baljit umziehen.

"Solange können sich die Behörden gegenseitig in Amtshilfe unterstützen", so Gockel, "doch sowohl Aachen als auch Paderborn bekämpfen sich lieber gegenseitig auf Kosten des Jungen, anstatt miteinander zu kommunizieren."

Frank Gockel

Foto: www.photocase.de