05.05.2011

Bericht des Vorstandes zur Mitgliederversammlung 2011

Liebe Mitglieder, liebe Interessierte,

17 Jahre lang existiert nun schon der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren. Bei einem Menschen geht man davon aus, dass in diesem Lebensabschnitt der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen erfolgt. Auch der Verein hat sich in den letzten 17 Jahren weiter entwickelt. Von den ersten Gesprächen mit den Gefangenen bis heute haben wir viel miteinander erlebt. Meine Aufgabe wird es heute sein, einen Rückblick über das letzte Jahr zu geben.

Einen Kern der Vereinsarbeit bilden die Besuche in der JVA, bei denen uns Menschen mit den unterschiedlichsten Problemen begegnen. Wir erleben Gefangene, die eine wortwörtliche Todesangst vor der Abschiebung haben. Sie versuchen alles, um nicht abgeschoben zu werden. Wiederum andere resignieren, wissen nicht weiter oder geben auf. Besonders schlimm stellen sich die Schicksale von Jugendlichen und psychisch kranken Menschen dar. Obwohl wir zahlreiche Gefangene besuchen,  gab es fast im gesamten Berichtszeitraum immer wieder eine Warteliste. Wartezeiten von einigen Wochen sind leider nicht die Ausnahme sondern die Regel. Daher freuen wir uns, wenn wir, wie im Berichtszeitraum auch, immer wieder neue aktive Vereinsmitglieder finden.

Wichtig für die Arbeit ist aber auch eine sichere finanzielle Rücklage. Imran wird gleich mehr über die Zahlen sagen. Es ist schon eine beachtliche Summe, die der Verein als Spendengelder einnimmt. Wir möchten an dieser Stelle allen Spenderinnen und Spendern unseren Dank aussprechen.

Am 27. Mai 2010 fand hier, im Katholischen Pfarrheim, die letzte Mitgliederversammlung statt.

Während der Sommerferien haben wir regelmäßig bei Imran und Irene im Garten unsere Mitgliederversammlung abgehalten und neben den Diskussionen das schöne Wetter zum Beisammensein ausgenutzt. Unter anderem war in der Sommerzeit das Thema Geld immer wieder auf der Tagesordnung. So diskutierten wir zum Beispiel darüber, für welche Aufgaben Fahrtkosten finanziert werden können. Auch mussten wir im Sommer einen neuen Kopierer für unsere Arbeit in der JVA anschaffen. Positiv bei der Gelddiskussion war das Resultat, weil wir ab Juli wieder jedem Gefangenen wöchentlich eine Telefonkarte aushändigen können.

Im Juli 2010 nahm sich ein Flüchtling in der Abschiebehaft in Hannover das Leben. Einige Vereinsmitglieder beteiligten sich an der Demonstration. Zwei weitere Flüchtlinge in Abschiebehaft in Hamburg hielten im Berichtszeitraum ihre Verzweiflung nicht mehr aus und wählten ebenso den Freitod. Somit hat die Abschiebehaft allein im Berichtszeitraum drei Menschen das Leben gekostet.

Über das ganze Jahr beschäftigten wir uns mit dem Thema Rechtsberatungsanträge. Die Bediensteten der JVA haben die Regeln zum Stellen eines Rechtsberatungsantrages geändert. Wir dürfen das Formular nicht mehr in der Besuchsabteilung ausfüllen. Gerade bei Gefangenen ohne Deutschkenntnisse führt dieses zu Schwierigkeiten. Die Beamten scheinen ihnen nicht so zu helfen, wie dieses erforderlich ist. Immer wieder kommt es vor, dass der Gefangene nicht von dem Rechtsanwalt beraten wird, den er haben will oder es dauert verhältnismäßig lange, bis der Antrag durchkommt. Wir beschließen über einen langen Zeitraum, die Sache zu beobachten einige Vereinsmitglieder benutzen seit dem einen selbst entworfenen “Antrag auf ein Antragsformular“.

Immer wieder müssen wir feststellen, dass Minderjährige älter gemacht werden. Dieses erleichtert den Behörden die Inhaftierung. Hierbei tut sich besonders die Bundespolizei hervor. Sie verhaftet Minderjährige in Aachen, bringt sie dann zur Uniklinik und lässt dort das Alter auf fragwürdige Weise auf über 18 Jahre einschätzen.

Am 30. August fand vor der JVA Büren die Mahnwache als Erinnerung an Rachid Sbaai statt. Raschid Sbaai hatte sich am 30. August 1999 das Leben in der Abschiebehaftanstalt Büren genommen. Viele Fragen zu seinem Tod sind bis heute nicht geklärt worden.

Am 25. September fand eine Demonstration gegen die Abschiebehaftanstalt in Büren statt. Zuerst gab es eine Versammlung vor der JVA. Von da aus setzte sich ein Autokonvoi nach Paderborn in Bewegung. In Paderborn selber verlief die Demonstration vom Maspernplatz zur Ausländerbehörde und zum Amtsgericht. Ca. 250 Menschen haben daran teilgenommen.

Im Oktober erzählten Pater Hillebrand vom Jesuiten Flüchtlingsrat Berlin und einige Vereinsmitglieder über die Arbeit in der Abschiebehaft. Pater Hillebrand ist Seelsorger in der Abschiebehaftanstalt Berlin Köpenick. Ca. 25 Personen waren bei dem Gespräch anwesend.

Ein psychisch schwer kranker Gefangener hat im November bei einem Besuch seiner Familie sein Kleinkind auf den Boden geworfen. Für uns ergeben sich daraus viele Fragen. Am meisten beschäftigt uns, warum ein so schwer kranker Mann überhaupt in Abschiebehaft ist. In wenigen Tagen wird gegen den Mann der Prozess vor dem Amtsgericht Paderborn eröffnet.

Kurz nach Weihnachten haben 30 Gefangene einen Hungerstreik angefangen. Es machte den Eindruck, als ob jeder Gefangene einen anderen Grund hierfür angibt. Neben den schlechten Haftbedingungen, schlechtem Essen, teuren Einkaufsmöglichkeiten und Protesten gegen die Abschiebungen streikten auch einige Gefangene, weil sie Papiere unterschreiben sollten, die sie nicht verstanden. Die JVA reagiert wie üblich: Sie trennt die Hungerstreikenden voneinander und redet auf sie ein. Einige Gefangene berichten, dass ihnen die Beamten gesagt haben, sie würden bei längerem Hungerstreik Medikamente erhalten, die sie impotent machen würden.

Anfang Januar findet unser Vereinswochenende in Germete statt. Schwerpunkt des Seminars war die Zukunftswerkstatt, in der wir über den Ablauf unserer Gruppenstunden, Hierarchieabbau, Verstärkung der Gruppen durch Ehrenamtliche und Öffentlichkeitsarbeit diskutiert haben.

Im Januar verdichten sich die Gerüchte, dass die JVA Neuss geschlossen werden soll. Die sich dort befinden Frauen in Abschiebehaft sollen in die JVA Büren kommen. Das Gerücht stellt sich als nicht wahr heraus. Tatsache ist aber, dass es weiterhin Überlegungen gibt, wie die JVA Neuss geschlossen werden kann.

Immer wieder beschäftigen uns juristische Fragen. So ist am 24.12.2010 die EU Rückführungrichtlinie in Kraft getreten und der Gesetzgeber in Berlin plant weitere Änderungen auch im Bereich der Abschiebehaft. Im März veranstalteten wir ein Tagesseminar zum Thema Haftbeschluss. Erfreulich ist, dass das Landgericht Paderborn für einen zu Unrecht inhaftierten Gefangenen 50 € Schmerzensgeld pro Hafttag bewilligt hat.

Zum wiederholten Mal blockiert die Leitung der JVA im März die Arbeit von Journalisten. Ein Fernsehteam wollte einen Bericht über die Abschiebehaft drehen. Sie erhielten keine Drehgenehmigung. Ein weiteres, wichtiges Standbein in der Öffentlichkeitsarbeit sind die Vorträge, die Mitglieder des Vereins in der Öffentlichkeit halten. Zum zweiten Mal bestand zum Beispiel die Möglichkeit, bei einer Firmengruppe über unsere Arbeit zu berichten. Insgesamt gab es im Berichtszeitraum über 25 Vorträge zum Thema Abschiebehaft, die wir (mit) gestaltet haben.

Insgesamt war es ein sehr ereignisreiches Jahr. Das Ziel des Vereins, die Abschaffung der Abschiebehaft wurde auch im letzten Berichtszeitraum nicht erreicht. Dennoch ist die Arbeit sehr wichtig. Wir legen Zeugnis ab von dem unmenschlichen Geschehen hinter den Mauern der Abschiebehaft. Wenn wir nicht wären, würde niemand erfahren, was dort oben im Bürener Wald vor sich geht. Auch haben wir vielen Menschen durch unsere Arbeit geholfen. Sei es, dass wir an der Freilassung mitgewirkt, ihm mit materiellen Dingen, wie Kleidung und Telefonkarten geholfen oder dass wir Trost gespendet haben.

Wie ich eingangs erwähnt habe, wird der Verein im nächsten Jahr 18 Jahre alt und damit erwachsen. In dieser ganzen Zeit war unsere Arbeit wichtig und sie wird es wohl auch in Zukunft leider bleiben. Wir werden weiterhin regelmäßig die Gefangenen besuchen und unseren Einfluss auf die Politiker und die Öffentlichkeit dazu nutzen, die Mauern der JVA weiter zu schleifen.

Zum Schluss sei mir noch ein kleines, persönliches Wort erlaubt. Ich bin nun seit 3964 Tagen im Vorstand dieses Vereins. Eine lange Zeit, in denen es viele Höhen und Tiefen, wobei die Höhen überwogen haben, gab. Ich habe mich entschlossen, dass es keine 4000 Tage Vorstandsarbeit für mich geben soll und werde deswegen heute nicht mehr für den Vorstand kandidieren. Jedes Vereinsmitglied prägt den Verein als Ganzes auf seine besondere Art und Weise. Auch ich habe sicherlich den Verein ein kleines Stückweit mitgeprägt. Vielmehr hat jedoch die Arbeit der Vereinsmitglieder und des Vereins mich geprägt. Ich finde es absolut fantastisch, wie ihr alle, die ihr hier seid und auch die vielen anderen, die aus meist beruflichen Gründen die Arbeit nicht mehr fortführen können, all die Jahre durchgehalten habt und was für eine fantastische Arbeit jeder von euch geleistet hat. Diese Prägung von euch hat zu tiefen Veränderungen in meinem Leben geführt. Als ein kleines Beispiel sei einfach meine Berufswahl erwähnt. Auch in Zukunft werde ich, wie gewohnt, jeden Donnerstag zuerst in der JVA und dann mit euch hier zusammen meinen Nachmittag bzw. Abend verbringen. Auch wenn es nicht

heute oder morgen sein wird, ich glaube fest daran, dass wir es irgendwann schaffen werden, dass es keine Abschiebehaft mehr gibt. Dass die Menschen das Recht haben, dort zu bleiben, wo sie ihre Füße hin tragen. Dafür lasst uns weiter kämpfen.

Frank Gockel