25.10.2009

Neue Westfälische

Milan wartet auf seinen Vater

Eine junge deutsche Mutter kämpft darum, dass ihr Ehemann nicht in den Irak abgeschoben wird

VON HUBERTUS GÄRTNER

Bielefeld. Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Den einen treibt sie ins Glück, den anderen auf direktem Weg ins Desaster. Wohin die Reise für Anja Heinrich (23) und ihren fünf Monate alten Sohn Milan noch gehen wird, wissen die beiden noch nicht.

Derzeit fährt die Bielefelderin mit ihrem Kleinkind fast jeden Tag von ihrem Wohnort Bielefeld nach Büren, wo auf einem ehemaligen NATO-Militärgelände Deutschlands größtes Abschiebegefängnis steht. Heinrich besucht dort ihren Ehemann Sharhank H. (25). Er ist seit dem 4. August inhaftiert und soll bald in seine Heimat Nordirak abgeschoben werden.

Das Ehepaar will das verhindern, und vor allem Heinrich kämpft wie eine Löwin. Die junge deutsche Frau setzt alles in Bewegung. Sie hat Anwälte eingeschaltet, Behörden besucht und an Politiker geschrieben.

„Der Schutz der Familie steht im Grundgesetz“, sagt der Bielefelder Rechtsanwalt Feyzi Evin, der die Interessen von Sharhank H. vertritt. Sein Mandant beherrsche die deutsche Sprache perfekt, habe in der Vergangenheit hier gearbeitet und wolle nun mit seiner Frau und seinem Sohn ganz normal leben. Die geplante Abschiebung, erst recht aber die Abschiebehaft seien „unrechtmäßig und verfassungswidrig“, sagt Evin. H. habe wegen seiner deutschen Frau und wegen seines kleinen Sohnes ein Aufenthaltsrecht in Deutschland.

Ganz so einfach liegt der Fall aber nicht. Sharhank H. war am 16. September 2001 zum ersten Mal nach Deutschland eingereist und hatte Asyl beantragt. Sein Antrag wurde am 29. Oktober 2004 abgelehnt, auch ein sogenanntes Asylfolgeverfahren brachte kein Bleiberecht. Nachdem die Behörden Sharhank H. die Abschiebung androhten, reiste er am 3. August 2008 freiwillig in den Nordirak aus.

Damals waren H. und Anja Heinrich schon ein Paar. Sie hatten sich über das Internet kennengelernt. Als H. abreiste, war Heinrich schon schwanger. Nach einigen Monaten hielt es die junge Frau in Deutschland allein nicht mehr aus. Sie flog in den Nordirak. Am 20. November 2008 wurde in der Stadt Erbil Hochzeit mit Sharhank H. gefeiert. „Seine Familie war zwar dagegen, aber er ist doch meine große Liebe“, sagt Anja Heinrich.

Am 15. Dezember flog sie wieder zurück nach Deutschland. „Unser Plan war, dass mein Mann anschließend in das für den Nordirak zuständige deutsche Konsulat nach Ankara fährt, um ein Visum für die Wiedereinreise zu beantragen und die Familienzusammenführung zu betreiben“, erzählt Heinrich.

Das tat Sharhank H. am 18. Dezember 2008. Doch dann gab es Probleme. Die Echtheit der Heiratsurkunde wurde angezweifelt. Alles verzögerte sich beträchtlich. Am 21. März 2009 wurde der kleine Milan in Bielefeld geboren, Anja Heinrich war mit dem Baby allein. Sharhank H. saß in Erbil und hatte immer noch kein Einreisevisum. Anfang August, sein Sohn war schon vier Monate alt, verlor er die Geduld und reiste illegal in einem Lastwagen über die Türkei nach Deutschland ein. Am 4. August wurde er in der Wohnung von Anja Heinrich festgenommen. Sharhank H. verfüge zwar „über wesentliche persönliche Bindungen innerhalb des Bundesgebietes“, habe sich aber mit der illegalen Einreise „über die gesetzlichen Bestimmungen hinweggesetzt“.

Deshalb sei die Abschiebehaft rechtens, heißt es nun in einem Beschluss des Bielefelder Landgerichts (AZ: 9 XIV 5188 B). Der Antragsteller sei in Deutschland außerdem schon einmal zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Sharhank H. hatte eine ehemalige Lebensgefährtin geschlagen.

Anja Heinrich, die ihren Mann offenbar sehr liebt, hält das nicht für wichtig. Die Bielefelder Ausländerbehörde spricht von einem „besonders gelagerten Fall“, bei dem auch die Identität von Sharhank H. nicht genau feststehe. Mit der Abschiebung werde aber „keine Trennung auf Dauer“ angestrebt, sondern nur „sauber gearbeitet“, sagt ein Sprecher dieser Zeitung.

H. müsse in seiner Heimat ein Visum beantragen, um legal wieder einreisen zu dürfen. Rechtsanwalt Evin sagt, das sei „reiner Formalismus“. Alle Zweifel an der Heiratsurkunde und an der Vaterschaft seien gutachterlich ausgeräumt. Auch die Bewährungsstrafe seines Mandanten sei kein Grund, so hart zu verfahren. Evin hat nun weitere Klagen beim Oberlandesgericht Hamm und dem Verwaltungsgericht Minden eingereicht. „Auch diese Familie hat in Deutschland eine Chance verdient“, sagt er.

  

Zwangsweise alleinerziehend: Anja Heinrich hofft, dass ihr Ehemann Sharhank bald wieder bei ihr und dem kleinen Milan ist. Für sie ist der Iraker die große Liebe. FOTOS: BERHEIDE