14.03.2008

Vlothoer Anzeiger: Dort leben dürfen, wo die Füße stehen

Frank Gockel vom Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft berichtet im großen Sitzungssaal über Haftbedingungen

Herford (va). "Unser Traum bleibt die Abschaffung des Ausländerrechts", sagte Frank Gockel vom Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren" bei seinem Vortrag im großen Sitzungssaal des Rathauses. Auf Einladung des Kuratoriums Erinnern, Forschen, Gedenken berichtete er über Menschen und Haftbedingungen im Abschiebegefängnis Büren.

Von Ralf Bittner

 Der Verein nahm 1994 kurz nach der Umwandlung der Kaserne, in der während des Kalten Krieges von belgischen Soldaten bewachte Atomwaffen lagerten, seine Arbeit auf. Er betreut die Gefangenen im Gefängnis und betreibt außerhalb der Gefängnismauern Aufklärungsarbeit.

Die Abschiebehaft kann in Deutschland bis zu 18 Monaten dauern, damit zählt das Land zu den Spitzenreitern in Europa, in Frankreich etwa beträgt die Höchstdauer der Abschiebehaft 32 Tage. In Spitzenzeiten waren in der abgelegenen JVA Büren bis zu 600 Menschen inhaftiert, derzeit schätzt Gockel ihre Zahl auf etwa 300, da nach einem Umbau in der JVA jetzt auch Kurzzeitstrafhäftlinge untergebracht sind.

 Für Gockel ist die "Inhaftierung "zur Sicherstellung einer Verwaltungsmaßnahme" menschenunwürdig und unverhältnismäßig. "Die Menschen werden eingesperrt, obwohl sie unschuldig sind", so Gockel. "Ihr einziges Verbrechen besteht darin, irgendwann einmal dieses Land betreten zu haben". Die Vereinsmitglieder besuchen regelmäßig die Gefangenen, führen 70 bis 80 Gespräche in der Woche. Sie helfen bei der Übersetzung von Briefen, versuchen nach der Inhaftierung zurückgebliebene Papiere und Habseligkeiten zu beschaffen, vermitteln Kontakte zu Anwälten oder hören einfach nur zu. "Viele Gefangene können mit niemandem über ihre Haft reden, weil Haft ein gesellschaftlicher Makel ist", erklärt Gockel.

Inhaftierung immer auch mit Schuld verbunden

Dass die Gefangenen hinter Gittern sitzen, obwohl sie nichts verbrochen haben, verstehen ihre Freunde und Verwandte ebenso wenig wie die deutsche Öffentlichkeit, für die eine Inhaftierung immer auch mit irgendeiner Schuld verbunden ist. Da der Vortrag Gockels eine Begleitveranstaltung der Ausstellung "Schutzhaft - Polizeiwillkür im Raum Herford 1933 - 1945" des Kuratoriums Erinnern, Forschen und Gedenken im Zellentrakt ist, skizzierte der Träger des Aachener Friedenspreises auch die Entwicklung von Ausländerrecht und Abschiebehaft in Deutschland.

Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 war der erste Vorläufer des heutigen Ausländergesetzes. In der Weimarer Republik wurde die zuvor als eine neben anderen ordnungspolitischen Maßnahmen angewandte Abschiebehaft wichtiges Element einer auf Abschreckung ausgerichteten "Fremdenpolitik", die sich vor allem gegen die Ostjuden richtete. Weitere Verschärfungen schufen ein Gesetz, das den Anforderungen der seit 1933 regierenden Nationalsozialisten so genau entsprach, dass diese erst im August 1938 eine eigene Ausländerpolizeiverordnung erließen, die es im Oktober 1938 nach dem Erlass eines Aufenthaltsverbotes für Juden ermöglichte, 18 000 Juden in nur zwei Tagen in Abschiebehaft zu nehmen und an die polnische Grenze zu bringen.

Bestimmungen seit 1933 stetig verschärft

1951 übernahm die BRD die Verordnung von 1938, nicht etwa das bis 1933 geltende Recht. Seither wurden die Bestimmungen stetig verschärft, 1993 durch die Drittstaatenregelung das Grundrecht auf Asyl so weit ausgehöhlt, dass es für den Verein "nur noch ein Feigenblatt der Politik" ist. Auch das Zuwanderungsgesetz aus dem Jahr 2005, dessen voller Name "Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung" die eigentliche Zielsetzung verrate, habe weitere Verschärfungen gebracht.

Die neuesten Änderungen aus dem Jahr 2007, die Geduldeten den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen und eine straffreie Betreuung Illegalisierter ermöglichen, wurden von Gockel begrüßt. "Viel wäre geholfen, wenn die Ausländerbehörden nicht bei den Ordnungsbehörden angegliedert wären, sondern bei den Sozialbehörden", so Gockel, denn schließlich gehe es um Menschen. "Jeder Mensch sollte dort leben dürfen, wo seine Füße stehen", sagte Gockel. Bis dahin ist es ein weiter Weg.

 

 

Abgelegen: Acht Kilometer außerhalb Bürens liegt die Abschiebehaftanstalt. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist sie nicht erreichbar. Fotos: Ralf Bittner